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Europawahl: Das Dilemma der Ursula von der Leyen

Europawahl

Das Dilemma der Ursula von der Leyen

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    Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, spricht mit Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, und Bundeskanzler Olaf Scholz. Wer zieht im Hintergrund die Fäden?
    Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, spricht mit Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, und Bundeskanzler Olaf Scholz. Wer zieht im Hintergrund die Fäden? Foto: dpa

    Wenn Mitte Juni die 27 EU-Staats- und Regierungschefs zum informellen Abendessen in Brüssel zusammenkommen, dürfte es an Olaf Scholz liegen, ob es die Spitzenpolitiker bis zum Dessert schaffen. Der deutsche Bundeskanzler muss bei jenem Gipfeltreffen seinen Kollegen die große und für Europa mitentscheidende Frage beantworten: Schlägt er Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin vor – oder nicht? Falls er Nein zu der Deutschen sagt, können die europäischen Staatenlenker gleich wieder abreisen. Dann herrscht abermals Krise in Brüssel. Und darauf deutet zurzeit einiges hin. 

    „Wenn die nächste Kommission gebildet wird, darf sie sich im Parlament nicht auf eine Mehrheit stützen, die auch die Unterstützung von Rechtsextremen braucht“, hatte Scholz vergangene Woche betont. Er sei „sehr bedrückt über die Uneindeutigkeit manch politischer Aussage, die wir zuletzt gehört haben“. Meinte er damit von der Leyen? Die amtierende Brüsseler Behördenchefin und Spitzenkandidatin der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) hatte zuletzt für Aufsehen gesorgt, weil sie eine Kooperation mit den „Europäischen Konservativen und Reformern“ (EKR) nicht ausgeschlossen hatte. Unter diesem Dach versammeln sich unter anderem die postfaschistischen Fratelli d’Italia von Regierungschefin Giorgia Meloni, aber auch die rechtskonservative PiS aus Polen. Von der Leyens Bedingung für den Austausch: Die Gesprächspartner müssen drei Prinzipien erfüllen und demnach „pro Europa, pro Ukraine, pro Rechtsstaat“ sein. Meloni, so sagte die Deutsche, sei „ganz klar proeuropäisch, gegen Putin und für den Rechtsstaat“. Wenn das so bliebe, biete sie ihr die Zusammenarbeit an. 

    Wird Deutschland Ursula von der Leyen die Stimme verweigern?

    Ist damit alles gut? Nicht ganz. Denn Italiens ultrarechte Ministerpräsidentin mag sich auf EU-Ebene als „konstruktive“ Realpolitikerin etabliert haben und mit von der Leyen eine fast freundschaftliche, wertschätzende Beziehung pflegen. Doch sie begeisterte eben auch jahrelang ihre Anhänger mit ihrer EU-Feindschaft und nationalistischen Tönen. Die Sozialdemokraten haben deshalb eine rote Linie für ihre Unterstützung von der Leyens definiert. So wollen etwa die Europaabgeordneten von der Leyen im EU-Parlament ihre Stimme verweigern, sollte sie eine Zusammenarbeit mit der EKR eingehen, kündigte der Vorsitzende der Europa-SPD, René Repasi, an. Deshalb sei es nur konsequent, „dass sich der SPD-Mann Scholz die Frage stellt, ob er eine Kandidatin vorschlagen soll, die von der SPD im EU-Parlament nicht gewählt wird“. Die CDU/CSU, EVP-Chef Manfred Weber und von der Leyen müssten anfangen zu begreifen, „dass es keine konsequenzlosen Flirts mit Rechtsaußen geben kann“, sagt Repasi. 

    Würde die Deutsche tatsächlich die Unterstützung aus der Heimat verlieren – und damit auch ihren Posten, der ihr derzeit so gut wie sicher scheint? Tatsächlich dürfte Scholz erheblich unter Druck geraten. Nominiert er von der Leyen nicht für die Spitze der Brüsseler Behörde, wandert das Vorschlagsrecht für den Vertreter Deutschlands in der EU-Kommission laut Ampel-Koalitionsvertrag zu den Grünen. Dann könnte der erfahrene Ex-Zentralbankchef Mario Draghi als Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten zurück im Gespräch sein. Die Gerüchte in der Brüsseler Blase halten sich hartnäckig, dass der Italiener und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Putsch gegen von der Leyen aushecken. 

    Wo zieht Olaf Scholz seine rote Linie?

    Schlägt Olaf Scholz dagegen die CDU-Politikerin vor, „muss er sie mit qualifizierter Mehrheit durchbringen, um keinen Gesichtsverlust zu erleiden“, wie ein Insider meinte. In diesem Fall sprach dieser von der „absurden Möglichkeit“, dass dann ausgerechnet die Vertreter der Ampelparteien die Spitzenkandidatin von der Leyen im EU-Parlament ablehnen. Am Ende dürfte den Ausschlag geben, wo Scholz die Trennlinie im rechtspopulistischen Lager zieht. Immer wieder ist zu hören, dass Meloni noch als akzeptabel gilt, während etwa jeglicher Austausch mit der französischen Rechtsnationalistin Marine Le Pen ausgeschlossen bleiben soll. 

    Tatsächlich könnte Meloni nach den Wahlen im Juni zur Schlüsselfigur werden, wenn sich im EU-Parlament die politischen Lager neu sortieren. Die Macht in Brüssel und Straßburg wird neu verteilt und – will man den Umfragen glauben – nach rechts verschoben. Meloni kann sich entscheiden: für von der Leyen oder für Le Pen. Längst wirbt die Französin aktiv um Meloni, „sich zu vereinen“. Jetzt sei der Moment gekommen. „Wenn wir Erfolg haben, können wir die zweitgrößte Fraktion im Europäischen Parlament werden“, sagte Le Pen am vergangenen Wochenende. Würden die zwei Politikerinnen ihre Differenzen, etwa in Sachen Ukraine-Unterstützung oder transatlantisches Bündnis, beiseiteschieben können und sich verbünden? Noch gehören die prominenten Frauen zwei verschiedenen Fraktionen im EU-Parlament an. Hier die italienischen Fratelli in der EKR, dort Le Pens rechtsextreme ID-Fraktion, die sich gerade erst von der AfD gelöst hat, weil ihr die Deutschen zu radikal geworden sind. Der Glanz der italienischen Ministerpräsidentin, um die nach anfänglichem Misstrauen inzwischen viele europäische Regierungschefs buhlen, soll auf Le Pens rechtsextreme Rassemblement National übergehen – das Präsidentenamt ist schon lange Le Pens Ziel, Meloni hat es ihr vorgemacht.

    Die Italienerin muss sich entscheiden. Will sie einen neuen ultrarechten Block gründen und wenn ja, unter welcher Führung? Oder plant die Italienerin, sich moderater zu präsentieren und mit einer – falls erfolgreich – mächtigen Ursula von der Leyen an ihrer Seite ihren Einfluss in Brüssel dauerhaft zu festigen? 

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