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Sigmar Gabriel im Interview: "Nicht wegen Trump in Panik verfallen"

Interview

"Müssen aufpassen, dass nicht alle wegen Trump in Panik verfallen"

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    "Ich würde Joe Biden nicht abschreiben." Ex-Außenminister Sigmar Gabriel setzt auf den US-Präsidenten.
    "Ich würde Joe Biden nicht abschreiben." Ex-Außenminister Sigmar Gabriel setzt auf den US-Präsidenten. Foto: Carsten Koall, dpa (Archivbild)

    Herr Gabriel, glauben Sie, Donald Trump würde als US-Präsident tatsächlich Nato-Partner, die nicht genug in ihre Verteidigung investieren, einem russischen Angriff ausliefern?

    Sigmar Gabriel: Seien sie mir nicht böse, aber ich finde die Frage etwas zu dramatisch. Russlands Armee ist durch die schweren Verluste in der Ukraine gewiss nicht in der Lage, sich in einen großen Krieg mit den europäischen Nachbarstaaten zu stürzen. Man muss in diesen Tagen aufpassen, dass nicht alle in Panik beim Gedanken an Trump im Weißen Haus verfallen. 

    Wladimir Putin dürfte sich jedenfalls über diese Panik freuen.

    Gabriel: Die größte Gefahr der Politik Donald Trumps geht davon aus, dass er immer wieder Zweifel sät an der Bereitschaft der USA, ihren Beistandsverpflichtungen für die Europäer nachzukommen. Wenn das über längere Zeit passiert, dann wirkt es wie eine Einladung an Wladimir Putin, uns mal zu testen, zum Beispiel in Estland, wo es eine russischsprachige Minderheit gibt. Wir Deutschen hoffen noch immer, irgendwer würde diesen furchtbaren Krieg in der Ukraine beenden und dann könnte alles wieder wie früher werden. Die Realität ist aber, dass Putin Russland zur Großmacht machen will und dafür bereit ist, Krieg wieder zum Mittel der

    Trump hat die Nato schon früher für tot erklärt. Sehen Sie die Gefahr, dass die USA das Bündnis sogar aufkündigen?

    Gabriel: Die USA werden selbst unter Donald Trump nicht aus der Nato austreten, denn dazu wäre eine Zweidrittelmehrheit im US-Senat erforderlich. Die wird es nicht geben, weil dort genug kluge Politiker sitzen, die wissen, dass selbst die großen USA im 21. Jahrhundert Verbündete und Alliierte brauchen, um die Welt im Gleichgewicht zu halten. Aber unser wichtigster Verbündeter wird in Zukunft mehr nach Westen und in den Indopazifik blicken und weniger nach Europa, Afrika oder den Nahen Osten. Denn dort leben inzwischen zwei Drittel der Menschheit, dort werden zwei Drittel des Weltsozialprodukts hergestellt und dort gibt es inzwischen fünf Atommächte. 

    Was bedeutet das für Europa?

    Gabriel: Es ist auch in unserem europäischen Interesse, dass die einzige westliche Supermacht dort zum Beispiel die Handelswege offenhält. Das bedeutet umgekehrt, dass wir hier zu Hause wesentlich mehr für unsere eigene Verteidigungsfähigkeit tun müssen. Wir sind nicht viel weiter gekommen mit den hehren Versprechungen der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die EU müsse eine "geopolitische Macht" werden. In Wahrheit provinzialisieren wir derzeit eher – und das liegt nicht zuletzt an Deutschland.

    Sollten die USA bei einem Angriff tatsächlich das Beistandsversprechen, das sich die Nato-Partner gegeben haben, brechen – würde das Bündnis ad absurdum geführt.

    Gabriel: Noch einmal: Es gibt in den USA und auch in der Partei Donald Trumps, den Republikanern, jede Menge Befürworter der Nato. Und zwar nicht, weil sie uns Europäer so lieb haben, sondern weil sie wissen, dass nur solche Allianzen die Macht Amerikas in der Welt multiplizieren können. Aber schon Zweifel an der amerikanischen Bereitschaft, für Europa einzustehen, ist gefährlich. Unsicherheit und Instabilitäten können schnell verlockend sein, die eigene Macht militärisch auszubauen und andere Staaten zu bedrohen, zu erpressen oder abhängig zu machen. Wer das verhindern will, muss dem potenziellen Gegner – in diesem Fall also Russland – zeigen, dass wir willens und fähig sind, uns zu verteidigen.

    Also noch mehr in Rüstung investieren?

    Gabriel: Das beginnt nicht mit Panzern und Soldaten, sondern mit der festen Haltung einer Gesellschaft, sich nicht einschüchtern zu lassen Trotz aller Krisen, trotz mancher politischer Fehler und trotz allem gelegentlichen Frust über die Politik im eigenen Land, muss unsere Gesellschaft den Willen zu Freiheit und Demokratie ausstrahlen und damit auch die Bereitschaft, unser Modell vom Zusammenleben zu verteidigen. Daran sollten wir alle arbeiten. Und natürlich brauchen wir dann auch alle militärischen Mittel, um entlang der neuen Grenze der europäischen Demokratien zu Russland zu zeigen, dass wir in der Lage sind, uns zu verteidigen. 

    Trump will Putin sogar "ermutigen", zu tun, was immer er vorhat. Wie sollte Europa auf diese Drohung reagieren?

    Gabriel: Zuallererst mal sollte man das tun, was beispielsweise die beiden ehemaligen britischen Premierminister Boris Johnson und David Cameron gerade getan haben: mit Republikanern reden, die auch dem nächsten US-Senat und dem Kongress angehören werden. Wir brauchen Verbündete in den USA, um diese beschriebenen Gefahren abzuwehren. 

    In dieser Woche trifft sich die Welt zur Sicherheitskonferenz in München. Der richtige Ort, um damit anzufangen?

    Gabriel: Das wird gewiss in fast allen Gesprächen hinter vorgehaltener Hand dort eines der zentralen Themen sein. Aber Vorsicht: Ich würde Joe Biden nicht abschreiben. Der mag zwar gelegentlich stolpern, aber er ist im Kopf vielfach klarer als so mancher europäische Politiker, der 40 Jahre jünger ist.

    Ob Deutschland in den kommenden Jahren das Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu stecken, erfüllen wird, ist fraglich. Provoziert die Bundesregierung damit die USA ohne Not?

    Gabriel: Ich habe mich über die Freude von CDU und CSU gewundert, als das Bundesverfassungsgericht den Haushalt der Bundesregierung gestoppt hat. Denn wenn die Union wirklich an die Regierung will, wird sie vor dem gleich Dilemma stehen: Alle sagen zu Recht, dass wir immensen Nachholbedarf bei der Bundeswehr, aber auch im Bildungswesen und in der Infrastruktur haben. Das kostet sehr viel Geld. Und danach sind sich meist alle einig, dass man das auf keinen Fall mit neuen Schulden machen darf und natürlich auch nicht mit neuen Steuern. Mal ganz ehrlich: Wie soll dieser Dreisatz denn aufgehen? 

    Ein Plädoyer gegen die Schuldenbremse?

    Gabriel: Nach meiner festen Überzeugung müssen wir die Schuldenbremse so verändern, dass wir diese Aufgaben stemmen können. Wenn wir dann noch endlich unsere Unternehmen von den täglich neuen bürokratischen Auflagen befreien und Investitionen in Deutschland wieder interessant machen würden, könnten wir dieses Mehr an Schulden durch eine besser laufende Wirtschaft auch wieder reduzieren. 

    Der Bundeskanzler scheint in erster Linie darauf zu hoffen, dass  Biden wiedergewählt wird. Ist Deutschland für den Fall, dass diese Hoffnung enttäuscht wird, gut vorbereitet?

    Gabriel: Ganz Europa und vermutlich sogar China hoffen darauf. Weil Joe Biden ein rationaler Politiker ist. Auf Donald Trump sind wir schon deshalb nicht vorbereitet, weil man nie weiß, was er tatsächlich tun wird. Aber egal, wer US-Präsident wird: Auf Europa kommen unbequeme Zeiten zu. Nur wir diskutieren ja lieber über die Einführung der Viertagewoche. Während andere Länder 150 Prozent leisten wollen, um endlich wirtschaftlich, kulturell und politisch zum Westen aufschließen zu können, wollen wir uns mit einer 75-Prozent-Gesellschaft zufriedengeben. Wenn wir auf diesem Trip weitergehen, werden wir ärmer und schwächer. Wer das nicht will, muss nicht gleich die Parole "Gürtel enger schnallen" ausgeben, aber die Ärmel hochkrempeln sollten wir schon.

    Zur Person: Sigmar Gabriel war bis März 2018 Bundesaußenminister. Nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik wurde der ehemalige SPD-Chef Vorsitzender der Atlantik-Brücke, die Netzwerke zwischen den USA und Deutschland pflegt.

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