Trumps nächster Sturm aufs Weiße Haus
Immer skrupelloser wütet Trump gegen die US-Demokratie. Trotzdem könnte der 77-Jährige schon im März als Präsidentschaftskandidat der Republikaner feststehen.
Eines kann man ihm nicht vorwerfen – dass er die Öffentlichkeit über seine Absichten im Unklaren ließe. Die meisten Amerikaner saßen gerade beim Weihnachtsessen, als ihr früherer Präsident die Festtagsstimmung störte. "May they rot in hell!", mögen sie in der Hölle verrotten, geiferte Donald Trump am 25. Dezember auf seiner Onlineplattform Truth Social unvermittelt in Richtung jener Mitmenschen, die ihn nicht unterstützen. Das anschließende "Merry Christmas" klang ziemlich sarkastisch. Wenige Stunden später postete der 77-Jährige eine sogenannte Wortwolke eines britischen Boulevardblatts. Die Grafik illustrierte, welche Begriffe Wählerinnen und Wähler in den USA laut einer Umfrage am stärksten mit einer möglichen zweiten Trump-Amtszeit verbinden. "Vergeltung", "Macht" und "Diktatur" waren die häufigsten Antworten. Trump gefiel das offensichtlich.
Seit Monaten schwört der Mann, der vor drei Jahren einen Putschversuch inszenierte und nun mit aller Macht zurück ins Weiße Haus drängt, Rache. Gegner diffamiert er als "Ungeziefer", seinem einstigen Generalstabschef Mark Milley droht er mit der Todesstrafe. Und was der Ex-Präsident ganz generell von demokratischen Institutionen und Gesetzen hält, demonstriert er derzeit eindrücklich bei seinem Betrugsprozess in New York. "In God We Trust" steht an der Wand des Gerichtssaals 300, in dem er als Zeuge vernommen wird. Doch Trump denkt gar nicht daran, die Fragen höflich zu beantworten. "Eine Schande ist das", pöbelte er und zeigte auf den Richter: "Der Betrüger ist er, nicht ich!"
Immer ernsthafter wird in den USA ein Szenario diskutiert, das lange komplett undenkbar schien: der Untergang der stolzen amerikanischen Demokratie. "Eine Trump-Diktatur ist zunehmend unausweichlich", schlug Robert Kagan, einer der bedeutendsten Neokonservativen, kürzlich in der Washington Post Alarm. "Wir schlafwandeln in eine Diktatur", warnte auch Liz Cheney, die ehemals dritthöchste Republikanerin im Repräsentantenhaus. Und die Abonnenten des Intellektuellen-Magazins The Atlantic fanden zum Jahreswechsel ein monothematisches Heft mit schockrotem Cover und dem Titel "Falls Trump gewinnt" in ihren Briefkästen. Über dem Leitartikel stand: "Eine Warnung".
Elf Monate verbleiben bis zu den Präsidentschaftswahlen – in der Politik eine kleine Ewigkeit
Noch sind die Vereinigten Staaten von Amerika nicht verloren. Elf Monate verbleiben bis zu den Präsidentschaftswahlen – in der Politik eine kleine Ewigkeit. Bislang ist Trump auch nicht Kandidat seiner Partei, Umfragen lagen in der Vergangenheit oft daneben. Dennoch mahnen selbst abwägende Beobachter wie Jeff Rathke, der zweieinhalb Jahrzehnte im diplomatischen Dienst der USA stand und jetzt das American-German Institute (AGI) in Washington leitet: "Dass Trump die realistische Chance auf eine Rückkehr ins Weiße Haus hat, kann man nicht bestreiten."
Tatsächlich wird der Weg dorthin immer kürzer. Bald starten im Bundesstaat Iowa die republikanischen Vorwahlen, bei denen der Präsidentschaftskandidat der Partei gekürt wird. Bundesweit kann Trump bei Umfragen derzeit rund 60 Prozent der Republikaner-Wählerschaft hinter sich versammeln, seine wichtigsten Herausforderer Nikki Haley und Ron DeSantis kämpfen mit jeweils rund elf Prozent um den zweiten Platz. In Iowa sind die Konkurrenten etwas stärker. Aber auch hier liegt der Ex-Präsident mit mindestens 30 Punkten Abstand vorn.
Offiziell wählen die Republikaner ihren Kandidaten dann erst auf einem Parteitag Mitte Juli in Milwaukee. Aber wenn Haley oder DeSantis in den Wochen nach Iowa bei den "Primaries" in New Hampshire und South Carolina nicht noch ein Sensationserfolg gelingt, könnte Trump bereits Anfang März die erforderlichen Delegiertenstimmen beisammen haben. Was hieße, dass es im November zu einer Neuauflage des Duells mit Joe Biden von 2020 kommen würde. In aktuellen Umfragen liegt Trump dieses Mal knapp vorn.
Trump stilisiert sich zum Opfer einer monströsen politischen Intrige
Wer wissen will, was ein Wahlsieg des Rechtspopulisten für Amerika und den Rest der Welt bedeuten würde, der muss ihm nur bei seinen Kundgebungen zuschauen. Dort zeichnet er ein dystopisches Bild des Landes, das von Linksradikalen und Marxisten zugrunde gerichtet werde, verspricht Recht und Ordnung und wettert gegen Rassismus-kritischen Unterricht wie gegen Transidentitäten. Im Zentrum allerdings steht Trumps Selbst-Stilisierung zum Opfer einer monströsen politischen Intrige. Seine vier Anklagen vor Gericht wegen 91 mutmaßlicher Straftaten haben seiner Popularität bei treuen Anhängern dabei nicht geschadet. Im Gegenteil. Für sie ist Trump ein Märtyrer. "Unsere Feinde wollen mir meine Freiheit wegnehmen, weil ich niemals zulassen werde, dass sie euch eure Freiheit wegnehmen", sagte er zum Beispiel – und die Menge jubelte.
Außenpolitisch würde Trump in einer zweiten Amtszeit seine "America-First"-Politik knallhart durchziehen. Amerika zuerst! Dass er die Militärhilfen für die Ukraine und die Nato-Mitgliedschaft der USA beenden würde, hat er unmissverständlich angekündigt. Die Folgen wären in beiden Fällen fatal. Doch die enorme Gefahr für die Alliierten beginnt wesentlich früher. "Trump muss gar nicht aus der Nato austreten, um das Bündnis auszuhöhlen", sagt AGI-Chef Rathke. Die zentrale Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 sei nämlich nur solange effektiv, wie Russland oder andere potenzielle Gegner daran glauben, dass die USA und ihre Verbündeten einem angegriffenen Alliierten bedingungslos militärisch zur Seite stehen würden. Ein einziger Tweet von Trump könnte das beenden. "Wenn man den amerikanischen Beistand offen infrage stellt, ist die Abschreckungswirkung der Nato von vorneherein halbiert."
Nicht allein Rathke hegt Zweifel, dass Europa auf einen Trump-Sieg hinreichend vorbereitet ist. Äußerungen führender deutscher Politiker nähren den Verdacht, dass in Berlin der Ernst der Lage entweder nicht erkannt oder bewusst schöngeredet wird. Trump werde sich im Amt schon mäßigen, die Institutionen würden ihn bremsen, und keineswegs alle Republikaner seien auf seiner Linie, ist immer wieder zu hören. Gerade so wie Anfang 2017 nach dem ersten Wahlsieg Trumps.
Es werden bereits "konservative Krieger" gesucht für eine geplante Säuberungsaktion der Ministerien
Befürchtet wird, dass eine zweite Amtszeit seine erste, wie ein Wohlfühlbad erscheinen lassen könnte. Damals hatte sich der einstige Reality-TV-Star mit Generälen und Geschäftsleuten umgeben. Sein Regierungshandeln wurde von diesen Leuten etwas eingehegt. Oder es wurde von Drama, Inkompetenz und Chaos überlagert. Das würde dieses Mal wohl anders sein. Denn seit Monaten wird bei der rechten Denkfabrik Heritage unter dem Namen "Project 2025" der Machtwechsel generalstabsmäßig vorbereitet. Eine 887-seitige Blaupause zum "Abriss des Tiefen Staats" steht im Netz. Gleichzeitig werden "konservative Krieger" gesucht, damit Trump bei einer geplanten Säuberungsaktion der Ministerien rund 50.000 Staatsdiener gegen linientreue Gefolgsleute austauschen kann. Sein Kabinett wird aus loyalen Vertrauten bestehen, das scheint gewiss.
Aus seiner Verachtung für die Demokratie macht Donald Trump keinen Hehl. Anfang Dezember saß er in einer Gesprächsrunde mit Publikum beim rechten Fernsehsender Fox News. Moderator Sean Hannity, ein glühender Fan, wollte offensichtlich das zweifelhafte Autokraten-Image seines Gastes aufpolieren. "Versprechen Sie, dass Sie ihre Macht nicht zur Vergeltung gegen irgendjemanden einsetzen werden?", fragte er. Die Antwort für einen amerikanischen Präsidentschaftsbewerber wäre im Grunde klar gewesen. Trump nickte zunächst, daraufhin jedoch schoss sein Zeigefinger in die Höhe: "Außer am ersten Tag!" Das Publikum lachte. Nicht zum Lachen ist vor diesem Hintergrund, was er bei Wahlkampfauftritten sagt. "Wir werden die Kommunisten, Faschisten und linksradikalen Gangster ausrotten, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben", meinte er erst Mitte November bei einer Rede in New Hampshire. Wenige Tage vor Weihnachten warnte er in direkter Anlehnung an Adolf Hitlers Rassenideologie vor Einwanderern aus Lateinamerika: "Sie vergiften das Blut unseres Landes." Seine Umfragewerte stiegen.
Republikaner trauen sich kaum, gegen Trump Position zu beziehen
Wenige Republikaner trauen sich, gegen den haushohen Favoriten für die Präsidentschaftskandidatur aufzustehen. Von den Mitbewerbern übt der mit drei oder vier Prozent abgeschlagene Ex-Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, offene Kritik. Die Fraktion im Repräsentantenhaus ist längst zu einer Art Trump-Sekte mutiert, und der altersschwache Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, ist verstummt. So kommt es, dass ausgerechnet die erzkonservative Ex-Abgeordnete Liz Cheney, die den Irak-Krieg ihres Vaters Dick unterstützte, 2016 und 2020 für Trump stimmte und als Mitglied der Fraktionsführung seine Gesetze durchdrückte, zur lautesten Mahnerin aufgestiegen ist. Ihre Arbeit als Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Kapitol-Sturm vom 6. Januar 2021 hat der 57-Jährigen die Augen geöffnet. "Es gibt keine Grauzone. Wer die Verfassung achtet, der kann Trump nicht unterstützen", erklärte sie.
Rund 750 Menschen sind an einem Abend im Dezember zur ausverkauften Vorstellung ihres aktuellen Buches in eine ehemalige Synagoge in Washington gekommen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind ungewöhnlich hoch. Im Saal hat Cheney ein Heimspiel: Mehr als 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in der US-Hauptstadt haben für Joe Biden gestimmt. Cheneys Botschaft ist alarmierend auch für manche Liberale, die sich mit dem Gedanken trösten, das Parlament oder die Gerichte würden einen Präsidenten Trump schon vom Schlimmsten abhalten. "Eine der wichtigsten Lehren des 6. Januar ist, dass sich Amerikas Institutionen nicht selbst verteidigen", sagt sie also. "Sie benötigen Menschen, die das tun." Es klingt, als habe die Republikanerin ernste Zweifel, dass das amerikanische System der "checks and balances", der Gewaltenteilung, dem Anführer ihrer Partei standhalten würde.
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In einer Demokratie wählen die Bürger. Wer die Mehrheit auf sich vereinen kann, gewinnt die Wahl. So auch in den USA.