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Mittels mRNA-Technik: Besiegen wir bald den Krebs?
![Mit Hilfe der mRNA-Technik wird nicht nur ein Schutz gegen Corona aufgebaut. Auch gegen Krebs könnte schon bald eine Impfung möglich sein. Mit Hilfe der mRNA-Technik wird nicht nur ein Schutz gegen Corona aufgebaut. Auch gegen Krebs könnte schon bald eine Impfung möglich sein.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715673836705-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Die mRNA-Technik macht dem Coronavirus den Garaus. Dabei wurde diese eigentlich entwickelt, um eine ganz andere Geißel der Menschheit zu bekämpfen.
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Mit dem Krebs ist es bekanntlich ein Kreuz. In der westlichen Welt erkrankt fast jeder Zweite im Laufe seines Lebens daran, fast jeder Vierte stirbt. Was viele nicht wissen: So gut wie jeden Tag entwickeln sich in jedem von uns bösartig veränderte Zellen. Die meisten von ihnen sterben ab, weil sie wesentlich empfindlicher und lebensuntüchtiger sind als normale Körperzellen. Andere entartete Zellen werden rasch von unserer Immunabwehr erkannt und ausgeschaltet. Aber manchmal klappt das nicht, weil die Körperabwehr die Krebszellen doch nicht erkennt oder zu sehr inaktiv bleibt, was in einer persönlichen Katastrophe enden kann. Forscher wollen deshalb dem Immunsystem massiv auf die Sprünge helfen. Mit einer innovativen Technik, die inzwischen auch dem Coronavirus den Garaus machen kann.
Erreger sollen dann keine Chance haben
Diese sogenannte Messenger-RNA-Technik ist für den medizinisch wenig Kundigen etwas schwer verständlich. Bei Covid-19 funktioniert sie so: Jedes Coronavirus enthält ein charakteristisches Eiweiß, das Spike-Protein. Bei der mRNA-Technik wird dem Körper ein Bauplan geimpft, wonach Muskelzellen und immununterstützende Zellen nicht Coronaviren nachbauen, sondern nur das besagte charakteristische Eiweiß des Virus, das für sich genommen aber harmlos ist. Doch auf dieses Protein – es handelt sich dabei um ein Antigen – reagiert das Immunsystem des Körpers mit der Bildung von Gegenstoffen, sogenannten Antikörpern. Wenn dann Coronaviren einen Körper „entern“ wollen, haben sie gegen die bereits existierenden Antikörper kaum eine Chance.
Herkömmliche Impfstoffe funktionieren übrigens ähnlich: abgetötete oder inaktive Viren werden gespritzt – und der Körper bildet Antikörper. Die Herstellung von herkömmlichen Impfstoffen, für die oft Millionen von Hühnereier nötig sind, ist aber teuer und fehleranfällig. Mit der neuen mRNA-Technik kann Impfstoff hingegen rasch in riesigen Mengen erzeugt werden. Auch das Umstellen auf einen Impfstoff mit einem anderen Wirkprofil – etwa zur Behandlung neuer Virusmutationen – ist wesentlich einfacher. Zudem gilt das System als effektiver.
Was hat das Ganze jetzt mit Krebs zu tun? Mit Hilfe der mRNA-Technik soll bald schon eine Art Impfung gegen einen Tumor möglich sein. Dazu wird – ganz individuell bei jedem betroffenen Patienten – Zellmaterial des Krebses entnommen. Dann entwickelt der Hersteller des Impfstoffes daraus einen RNA-Bauplan der Eiweiße, die typisch für den individuellen Tumor sind und sonst in dieser Form im Körper nicht vorkommen. Dieser Bauplan wird als Impfstoff in den Muskel des Patienten injiziert. Dieser produziert dann ungefährliche Bestandteile dieses Tumors. Daraufhin erwacht die bislang vielleicht noch inaktive, sozusagen dem Tumor gegenüber „blinde“ Immunabwehr des Patienten – und die Antikörper, die dann in Scharen entstehen, zerstören den Tumor. Zusätzlich zu den Antikörpern bilden sich Abwehrzellen, die erkannte Krebszellen direkt abtöten können. Also: Statt wie bei Corona das Immunsystem gegenüber einem Virus zu sensibilisieren, wird es gegenüber bestimmten Tumorzellen scharfgemacht.
Auch in Augsburg wird an der Krebstherapie geforscht
„Bislang gibt es dazu aber nur klinische Studien, an denen auch wir begleitend teilnehmen werden“, erläutert Professor Martin Trepel, Direktor der Klinik für Onkologie an der Uniklinik Augsburg. „Ich rechne aber damit, dass auch bei uns die ersten Patienten in etwa drei Jahren auf diese Weise behandelt werden können.“ Der 53-Jährige setzt große Hoffnung in die Wirksamkeit eines solchen Impfstoffes, gerade weil er individuell auf den Krebs des Patienten zugeschnitten sein wird. „Der Nachteil ist: Das Medikament gibt es nicht von der Stange, es wird voraussichtlich in jedem Fall individuell hergestellt und daher sehr teuer sein.“ Aber eine Krebstherapie ist auch mit den bisherigen Behandlungsformen kostenintensiv. Sollte die Impfung effektiv heilen, würden die anderen Therapiemöglichkeiten in vielen Fällen nicht mehr in dem Maße nötig sein. Und somit blieben die Kosten unterm Strich vielleicht gleich. Wobei man das nie genau sagen könne, weil jeder Krebs anders sei.
Heilungsrate bei Krebs steigt weiter
Schon jetzt sei die Medizin viel besser als früher in der Lage, bei Krebs zu helfen. Die Heilungsrate steige immer weiter. „Und heute leben selbst unheilbar Kranke oft noch jahrelang, weil der Krebs zumindest in Schach gehalten werden kann. Die frühere Behandlungs-Trias aus OP, Bestrahlung und Chemotherapie gelte inzwischen nicht mehr. Statt von „Chemotherapie“ sprechen Onkologen von „Medikamentengabe“ oder „systemischer Therapie“ als dritter Säule der Behandlung. Zwar gebe es immer noch die Chemotherapie, die im Grundsatz alle Zellen schädigt, vor allem aber Krebszellen, weil diese viel empfindlicher sind. „Doch inzwischen ist auch die Immuntherapie Bestandteil der dritten Säule.“ Einmal ist das die Gabe von bestimmten Eiweißen, die die Immunabwehr stark aktivieren soll. Dann gibt es noch die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren. „Jede Immunzelle hat eine Art Gas- und Bremspedal. Manche Tumore sind in der Lage, bildlich gesprochen, die Bremse der Immunzellen zu drücken. Dann befindet sich die Abwehrzelle zwar vor der Tumorzelle – aber sie tut nichts.“ Checkpoint-Inhibitoren bilden eine Art Schutzschicht für das Bremspedal. Und die Immunzelle kann aktiv werden. Zur Immuntherapie wird es dann wohl auch bald noch die Impfung gegen den Krebs geben – in der bereits beschriebenen Form der mRNA-Technologie.
Insgesamt gibt es rund 200 verschiedene Krebsarten. „Manche werden wir vielleicht mit der Impfung allein bekämpfen können.“ Das könnten laut Trepel etwa Melanome, Nierenzellkarzinome, Lymphknotenkrebs und Lungenkrebs sein. Andere Tumorarten wird man wohl weiter mit Kombinationstherapien behandeln müssen. Dennoch ist Martin Trepel zuversichtlich, dass zumindest bestimmte Krebsarten bald besiegt sein könnten – sofern der Patient nicht zu spät behandelt wird. Denn wenn der Krebs schon überallhin gestreut hat, wird die Prognose freilich immer schlechter. Selbst wenn eine Impfung existiert.
Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Institutes, das in Deutschland für die Zulassung von Medikamenten verantwortlich ist, gibt es beim Thema Tumorimpfungen mittels mRNA-Technik „aktuell 30 klinische Prüfungen in verschiedenen Phasen, die entweder aktiv oder schon beendet sind: 17 aktiv, 13 beendet“. Auch der Mainzer Corona-Impfstoff-Hersteller Biontech forscht in dieser Richtung.
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