Franz Josef Strauß ist grantig. Seit mehr als fünf Jahren dümpelt die Union jetzt schon in der Opposition herum. Keine Aussicht auf einen Machtwechsel - und das trotz Wirtschaftsflaute. Nicht einmal der skandalumwitterte Sturz von Kanzler Willy Brandt ein paar Monate zuvor hatte die Koalition von SPD und FDP ernsthaft in Schwierigkeiten gebracht. Was also tun?
Es ist der 19. November 1974, im noblen Hochzeitszimmer des Hotels „Sonnenalp“ in Ofterschwang bei Sonthofen gehen die Bundestagsabgeordneten der CSU in Klausur. Der Parteichef ergreift das Wort - und weiß noch nicht, dass er gleich Geschichte schreiben wird.
50 Jahre später sitzt Theo Waigel am selben Ort und schaut nachdenklich in die Allgäuer Herbstsonne. In der Ferne sind Kuhglocken zu hören. Waigel war damals als junger Abgeordneter mit dabei, als Strauß sich in Rage redete, über die FDP herzog und auch über ein paar CDU-Parteifreunde und er der SPD unterstellte, von RAF-Sympathisanten durchsetzt zu sein. „Man merkte ihm den Frust schon an, wir sahen trotz des grandiosen Sieges bei der Landtagswahl in Bayern kaum Chancen, in absehbarer Zeit wieder an die Regierung zu kommen. Strauß sprach eine Stunde lang - frei und hinter verschlossenen Türen. Keiner ahnte in diesem Moment, dass daraus ein Skandal werden könnte“, erzählt der inzwischen 85-jährige Waigel. Doch wenige Monate nach dem Treffen in Sonthofen landet ein Protokoll der Rede ausgerechnet beim Spiegel.
Wer hat die „Sonthofener Rede“ an die Medien durchgestochen?
Bis heute ist unklar, wer dem Nachrichtenmagazin, das Strauß in herzlicher Abneigung verbunden war, die Mitschrift zugespielt hat. Alle Abgeordneten hatten sie erhalten, so hätte jeder zum „Maulwurf“ werden können. Der Spiegel-Artikel schlägt in Bonn jedenfalls ein wie eine Bombe. Die „Sonthofen-Strategie“ wird zum Sinnbild für einen Politikstil, der sich nicht am Wohle des Landes, sondern allein an eigenen Machtinteressen orientiert. Der Vorwurf: Strauß wolle Deutschland absichtlich vor die Hunde gehen lassen, um damit den Boden für einen Regierungswechsel zu bereiten.
Die Strauß-Strategie: Nur anklagen, aber keine konkreten Rezepte
„Es muss wesentlich tiefer sinken, bis wir Aussicht haben, politisch mit unseren Vorstellungen, Warnungen, Vorschlägen gehört zu werden. Es muss also eine Art Offenbarungseid und ein Schock im öffentlichen Bewusstsein erfolgen“, sagt der CSU-Vorsitzende in Sonthofen und rät der Landesgruppe im Bundestag: „Zur Taktik jetzt: Nur anklagen und warnen, aber keine konkreten Rezepte nennen.“ Angesichts der politischen Großwetterlage dürfe man sich nicht aus der Deckung wagen, warnt Strauß. Es sehe gar keinen Grund, sich in dieser Situation an der Verantwortung für die Misere des Landes zu beteiligen.
Sind solche Passagen ein Beleg dafür, dass der ehrgeizige Bayer, der damals noch selbst von der Kanzlerschaft träumte, in Wahrheit nicht das Beste für sein Land wollte, sondern nur das Beste für sich und seine CSU? Waigel, der sich in jungen Jahren durchaus immer wieder mit der Partei-Ikone anlegte, sieht das anders. „Strauß hat ein realistisches Bild der damaligen Lage gezeichnet und festgestellt, dass die Regierung fest im Sattel sitzt und nur dann in Schwierigkeiten geraten würde, wenn die wirtschaftliche Lage sich weiter verschärft. Der Spiegel hat ihm dann unterstellt, er würde sich eine Krise wünschen, das war schon sehr überspitzt“, sagt er - und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Dass diese Rede öffentlich wurde, hat uns natürlich trotzdem geschadet.“
Fünf Jahrzehnte später stehen CDU und CSU wieder vor der Frage: Soll man dem taumelnden Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen rot-grüne Rest-Regierung mit einer Tüte Popcorn genüsslich beim Untergehen zuschauen, um danach als Retter alles wieder in Ordnung bringen zu können? Der CSU-Ehrenvorsitzende Waigel rät dringend von einer Blockadehaltung ab: „In den entscheidenden Momenten der deutschen Geschichte hat die Union nie Opposition um ihrer selbst willen betrieben. Das Wohl des Landes muss auch jetzt für uns an erster Stelle stehen, wir tragen als Volkspartei eine Verantwortung“, sagt er und betont: „Wenn diese Regierung etwas vorschlägt, das wir für richtig halten, sei es eine Steuerentlastung, ein Konjunkturpaket, eine realistische Migrationspolitik oder zuletzt die Zeitenwende für die Bundeswehr, dann dürfen CDU und CSU nicht aus Prinzip dagegen stimmen.“
Waigel will Strauß nicht mit Populisten von heute vergleichen
Die These, Strauß habe mit seiner „Sonthofen-Strategie“ nichts anderes im Sinn gehabt als die Populisten von heute, weist Waigel scharf zurück. „Mit Sahra Wagenknecht und der AfD sind heute zerstörerische Parteien am Werk, die ihre Kraft allein aus Untergangszenarien schöpfen und weder Ideen noch ein Interesse daran haben, die Situation in Deutschland zum Besseren zu wenden.“ Schon deshalb dürfe die Union angesichts der geplatzten Bundesregierung das Land nicht weiter in die Krise schlittern lassen. „Davon würden am Ende nicht wir profitieren, sondern Wagenknecht und die AfD“, ist Waigel sicher.
Er erinnert zugleich daran, dass alle drei bisherigen Ampel-Parteien auch potenzielle Koalitionspartner nach der Bundestagswahl seien könnten. „Das sollte man im Umgang miteinander immer bedenken“, sagt der langjährige Bundesfinanzminister, der übrigens auch ein Bündnis mit den Grünen nicht per se ausschließen will, sollte es mit SPD und FDP nicht reichen.
Franz Josef Strauß hätte die Frage nach einer Koalition mit den Grünen wahrscheinlich für Satire gehalten. Inbrünstig lederte er seinerzeit gegen das „rot-grüne Narrenschiff Utopia“. Dass dem 1988 gestorbenen CSU-Übervater dessen „Sonthofener Rede“ bis heute angelastet wird, hält Waigel für ungerecht. Der so oft polternde Vollblutpolitiker sei stets Patriot gewesen, wenn es darauf ankam. „Er wusste um seine Verantwortung und hat beispielsweise Willy Brandts Ostverträge passieren lassen, später den Nato-Doppelbeschluss von Helmut Schmidt mitgetragen und er stand auch in Zeiten des RAF-Terrors fest an der Seite der Regierung.“
Im Gegensatz zu Herrn Waigel, der die politischen Zustände der 70er Jahre glättet und relativiert bin ich der Meinung, dass Strauss damls es ernst meinte mit der Sonthofen-Strategie. Wie lederte er gegen die Ostpolitik, politische Gegner, vorzugsweiselinke Intellektuelle, waren für ihn Ratten und Schmeissfliegen. Seine Bulldozzerstrategie mündete dann zwei Jahre später in den Kreuther Trennungsbeschluss. Ihn heute im Kontext des Zusammenbruchs der desaströsen Ampel als Patriot zu stilisieren, der immer dem Staatswohl das Parteiinteresse hintangestellt hat, gehört ins politische Märchenbuch der Republik.
>>Sind solche Passagen ein Beleg dafür, dass der ehrgeizige Bayer, der damals noch selbst von der Kanzlerschaft träumte, in Wahrheit nicht das Beste für sein Land wollte, sondern nur das Beste für sich und seine CSU? << Warum fällt mir da sofort Söder ein? Ganz abgesehen davon: Nach der Wahl 2021 war die CDU/CSU erst einmal geschockt vom Machtverlust. Aber in den letzten beiden Jahren wurde prinzipiell alles schlecht geredet, was die Ampel machte. Selber hatte man keine brauchbaren Vorschläge, aber im Zusammenspiel mit Medien hat man es jetzt geschafft, dass die Ampel zerbrach. Gewinner sind Parteien wie AfD und BSW. Merz und Söder sollten sich schämen, denn sie sind mit verantwortlich für die Probleme. Aber zum schämen braucht es auch Anstand, nur fehlt der beiden Herren.
Besser hätte ich es kaum rüber bringen können und vor allem werden sie vor genau den selben Problemen stehen incl. der selbst durch die Klage verursachten Schuldenbremse. Notwendige Gelder freimachen wird wohl wieder die schwächsten treffen.
Der entscheidende Schritt war die Verfassungsklage mit dem ungewöhnlich rigorosen Urteil, das der Ampel den finanziellen Stecker zog. Da hat das Bundesverfassungsgericht Politik gemacht. Die allgemeine Empörung über den angeblich verfassungswidrigen Haushalt war pure Heuchelei. Damit war das Ende der Ampel angesichts des Ukrainekriegs und der Rezession wegen des schwächelnden Weltmarkts vorgezeichnet, Wir werden bald sehen, wie die Union die Geldschatullen öffnet.
Schon vor 50 Jahren hat Franz Josef Strauß ein ernüchterndes Urteil über die FDP gefällt. In seiner berühmt gewordenen Sonthofener Rede sagte er damals, am 19. November 1974: „Die Charakterlosigkeit der FDP verbunden mit ihrem Selbsterhaltungstrieb ist eine der zuverlässig berechenbaren Komponenten. Nun, man könnte wohl schwerlich sagen, FJS sei ein Vorreiter für "politische Korrektheit" gewesen. Er selbst bezeichnete sich als "führendes Mitglied des Vereins für deutliche Aussprache". Aber bräuchten wir heute nicht mehr Politiker, die Mitglieder in diesem Verein sind? Und vielleicht weniger von denen, die meinen, die Fähigkeit zu finanzpolitischen Irrwegen sei die beste Referenz für das Amt des Bundesfinanzministers?
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