Frau Dutschke-Klotz, wie darf man Sie anreden?
Gretchen Dutschke-Klotz: Gretchen. Da bin ich dran gewöhnt. Meine Enkelkinder nennen mich auch Gretchen.
Und der Name Dutschke – ist das noch ein Teil ihres Namens? Sie führen ja Ihren Mädchennamen Klotz.
Dutschke-Klotz: Ja. Das geschah schon in den Siebzigerjahren, als Rudi noch lebte. Rudi wollte, dass ich zur SPD gehe und dort ein wenig spioniere. Und wir wussten, dass das nicht gehen wird, wenn ich als Gretchen Dutschke in die SPD eintrete. Also habe ich meinen Namen offiziell in Klotz geändert und bin eingetreten. Aber das hat nur etwa sechs Monate gedauert, dann wurde ich entdeckt und rausgeschmissen. Die Begründung war, dass ich mit falschem Namen eingetreten bin. Dabei hatte ich das Dokument vorgezeigt, dass ich meinen Namen geändert habe. Ich wurde aber trotzdem rausgeschmissen.
Was sollten Sie denn da ausspionieren?
Dutschke-Klotz: Rudi dachte, dass es bei der SPD eigentlich Leute geben müsste, die den konservativen Kurs nicht so gut finden und vielleicht unglücklich darüber waren. Und dass man die Chance hätte, eine USPD wiederherzustellen, wie es sie in den 20er Jahren einmal gegeben hat, wenn genug Leute daran interessiert wären. Aber das war nicht so.
Wie geht es Ihnen heute?
Dutschke-Klotz: Oh – ich merke schon, dass ich langsam älter werde. Es gibt ein paar Altersprobleme. Aber insgesamt geht es mir okay.
Wenn Sie heute die Gesellschaft und speziell die Rolle der Frauen betrachten – wo sehen Sie Spuren, die Sie 1968 hinterlassen haben?
Dutschke-Klotz: Junge Frauen haben es heute besser, weil ihnen mehr Möglichkeiten offenstehen. Aber es gibt für Frauen immer noch Schwierigkeiten. Die Frauenbewegung Ende der sechziger und in den Siebzigerjahren war schon sehr wichtig. Vieles, das heute erreicht ist, hat mit der Frauenbewegung zu tun.
Die große Zeit der Frauenbewegung kam erst in den Siebzigern. War die Studentenbewegung 1968 noch eine reine Männersache?
Dutschke-Klotz: Das hat sehr männlich angefangen. Der SDS zum Beispiel, Zentrum der Theorie- und Praxisdiskussion, war sehr männlich bestimmt. Die Frauen hatten kaum Chancen, zu Wort zu kommen, sie wurden niedergeredet und nicht ernst genommen. Erst Ende der 68er haben die Frauen rebelliert.
Wie ging es Ihnen in dieser Hinsicht in der Beziehung mit Rudi Dutschke?
Dutschke-Klotz: Ich habe ihm beschrieben, wie ich die Rolle der Frau gesehen habe. Darüber hatte er sich zuvor keine Gedanken gemacht. Andererseits hat er zu Hause schon begriffen, dass es nicht richtig ist, wie getrennt dort die Rollen waren und hat sich Mühe gemacht, sich zu verändern. Und er hat schon versucht, all diese Dinge wie Kinderbetreuung, Haushalt und Kochen zu machen. Ich komme ja aus den USA - und damals war es dort noch ganz anders, zumindest da, wo ich herkam. Für mich war das Macho-Verhalten der Männer in Deutschland ein Schock. Wenn man bedenkt, wie es heute in den USA ist – dieses Machoverhalten der ganzen Trump-Typen…
Die Studentenbewegung war ja nicht nur politische Theorie, sondern auch sexuelle Revolution. Waren zumindest da die Frauen gleichberechtigt?
Dutschke-Klotz: Natürlich war das auch eine sexuelle Freiheit für Frauen. Aber die Männer haben es vor allem so interpretiert, dass sie mit jeder Frau schlafen können, mit der sie wollen. Und wenn eine Frau nicht wollte, wurde sie deshalb angemacht. Frauen hatten dieses Recht zwar auch, aber wenn der Mann nicht wollte, konnten sie es nicht moralisch durchsetzen. Die Männer haben das aber versucht.
Was ist für Sie das wichtigste inhaltliche Erbe der 68er?
Dutschke-Klotz: Demokratisierung. Für Deutschland war das sehr, sehr wichtig. Das Land kam damals aus einer Periode des autoritären Nazismus. Der Anfang der Bundesrepublik war extrem konservativ, da hat man nicht danach gefragt, was vorher war. Da herrschte mehr oder weniger eine Fortsetzung des Nazibewusstseins. Dazu kam, dass man in Deutschland zwar eine Verfassung hatte, die zwar Demokratie vorsah, diese aber nur minimal umgesetzt wurde. Die 68er haben formuliert, was Demokratie für uns wirklich heißt – das alles einmal durchzugehen, was Demokratie wirklich bedeutet und wie wir das Land demokratischer machen können. Die 68er haben das Bewusstsein für Demokratie geschaffen und dafür, wie sie funktioniert.
Halten Sie diese Demokratie in den heutigen Zeiten der neuen Rechten für gefährdet?
Dutschke-Klotz: Ja. Deutschland ist zwar immer noch eine Ausnahme, weil diese Rechts-Strömung noch nicht eine regierungsfähige Mehrheit erfasst – wie in Österreich, Polen oder den USA. Demokratisches Bewusstsein, das Erbe der 68er, ist noch da, aber ich halte es schon für gefährdet. Der böse Keim ist drin. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, ja. Ich hoffe, dass die Gegenbewegung noch stärker wird.
Welche Spuren der 68er sehen Sie in der Gesellschaft, die es ohne die Bewegung nicht gegeben hätte?
Dutschke-Klotz: Vielleicht als Erstes, dass es in Deutschland keine rechte Mehrheit gibt. Und, dass es in Deutschland vielleicht mehr als in allen anderen westlichen Ländern dieses demokratische Bewusstsein gibt. Das ist 68. Und das andere ist, dass es damals diese antiautoritäre Bewegung gab. Die ganzen autoritären Strukturen, die es damals in Erziehung und Ausbildung in der Gesellschaft gab, wurden durch die antiautoritäre Bewegung bekämpft und durch offenere, tolerantere Strukturen ersetzt. Auch in der Art, wie die Menschen generell miteinander umgehen (nicht das ständige Schimpfen, sondern Akzeptanz), hat sich das sehr stark durchgesetzt.
Welchen Platz, glauben Sie, würde Rudi Dutschke in dieser Gesellschaft eingenommen haben?
Dutschke-Klotz: Rudi hat sich am Ende seines Lebens für die Grünen engagiert, und ich glaube, er hätte mit ihnen weitergemacht. Er hätte sicher versucht, die gesellschaftskritische Richtung bei den Grünen zu stärken. Die Grünen sind heute sehr angepasst. Ob Rudi heute noch bei den Grünen wäre? Das lässt sich sehr schwer sagen. Vielleicht würde er sagen, dass wir an dem Punkt sind, wo wir eine neue außerparlamentarische Opposition brauchen.
Brauchen wir die?
Dutschke-Klotz: Ja. Derzeit sind die wirtschaftlichen Positionen der Parteien ziemlich ähnlich. Neoliberale Politik hat einigen wenigen Menschen auf der einen Seite sehr viel Reichtum gebracht und auf der anderen Seite für eine stärkere gesellschaftliche Spaltung und das zunehmende Verschwinden der Mittelklasse gesorgt.
Wie politisch sind Sie heute?
Dutschke-Klotz: Ich bin zwar Mitglied der Grünen, aber sonst nicht mehr aktiv, abgesehen davon, dass ich ein Buch geschrieben habe und bei Veranstaltungen auftrete oder mit Leuten rede. Es gibt noch eine amerikanische Gruppe, "American Voices Abroad", zu der ich auch Bezug habe. Da geht es aber meistens um Kritik an den Schweinereien, die die USA hervorbringen.
Haben Sie noch Kontakt zu Mitstreitern aus den 68ern?
Dutschke-Klotz: Wenig. Zu einigen ja. Von denen, die damals so richtig hervorgetreten sind, sind viele tot. Beim Begräbnis von Fritz Teufel vor einigen Jahren habe ich sie alle zum ersten Mal – und viele auch zum letzten Mal – wiedergesehen. Es war schon interessant damals, aber leider ein trauriger Anlass.
Ist das Kapitel "1968" für Sie abgeschlossen?
Dutschke-Klotz: Das kann man nicht sagen. Das Erbe von 1968 ist so wichtig. Und wenn es Kräfte gibt, die es zerstören wollen, muss man dagegen kämpfen. Es ist so wichtig für Deutschland, dass es nicht entdemokratisiert wird und dass diese Hassideologie nicht gewinnen kann.
Zur Person: Als 22-Jährige lernte die Amerikanerin Gretchen Klotz – geboren 1942 in Oak Park, Illinois – bei einem Deutschlandbesuch Rudi Dutschke kennen. 1966 heirateten die beiden in Westberlin. Nachdem Dutschke bei einem Attentat 1968 schwer verletzt wurde, lebte die Familie unter anderem in Dänemark, wo Dutschke 1979 an den Spätfolgen starb. Aus der Ehe stammen drei Kinder und sieben Enkel. Gretchen Dutschke lebt heute wieder in Berlin.