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35 Jahre nach dem Mauerfall: Deutschland am Wendepunkt

Kommentar

Vom Glück des 9. November 1989

Peter Müller
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    Jubelnde Menschen auf der Berliner Mauer am Brandenburger Tor am 10. November 1989. Am Abend zuvor waren die Grenzen geöffnet worden.
    Jubelnde Menschen auf der Berliner Mauer am Brandenburger Tor am 10. November 1989. Am Abend zuvor waren die Grenzen geöffnet worden. Foto: dpa

    Womöglich ist der 9. November 1989 der glücklichste Tag in der deutschen Geschichte. Mutige Bürgerinnen und Bürger hatten bereits seit Wochen gegen das DDR-Regime demonstriert, was in Leipzig begann, hatte längst das ganze Land ergriffen. Der Mauerfall, die offene Grenze in die Bundesrepublik lieferte traumschöne Bilder und den Wunsch nach Freiheit, unter dem das SED-Regime bald kollabierte. Es folgten Jahrzehnte, in denen es dem Land (trotz der Umbrüche im Osten) alles in allem besser ging als je zuvor.

    Gut möglich, dass aus Sicht von Historikern der 6. November dieser Woche, also 35 Jahre später, einmal als Datum gilt, wo dieser weitgehend glückliche deutsche Sonderweg sein symbolisches Ende findet. In der Nacht zum Mittwoch kehrt Donald Trump mit Wucht ins Amt des US-Präsidenten zurück. Wenige Stunden später scheitert in Berlin die Ampel-Koalition. So wie es derzeit aussieht, will Noch-Kanzler Olaf Scholz mit einer Regierung ohne Mehrheit bis zum Frühjahr weiterwursteln, inmitten weltpolitischer Erschütterungen, die für die Republik größer nicht sein könnten.

    Der Mauerfall war möglich, weil die USA ihre schützende Hand über Europa hielten

    Erneut kumulieren an einem Tag Entwicklungen, die sich schon länger abzeichneten. Der Mauerfall 1989, die Wiedervereinigung, wurden möglich, weil die USA ihre schützende Hand über Europa hielten. In den folgenden Jahren versank Russland in internem Chaos, Deutschland und Europa schienen im ewigen Frieden zu leben, „von Freunden umzingelt“, wie ein Verteidigungsminister einst sagte.

    China, das seine eigene Demokratiebewegung wenige Monate zuvor am Tiananmen-Platz grausam niedergeschlagen hatte, öffnete sich wirtschaftlich immer weiter, so dass findige deutsche Unternehmen ihre Rendite vom Aufbau Ost des eigenen Landes in Fernost nahtlos weiter einfahren konnten. Die Bundeswehr brauchte man bestenfalls noch, um Bündnisverpflichtungen wie beim Einsatz in Afghanistan zu erfüllen, eine Spezialisten-Truppe, die mit der Landesverteidigung nichts mehr zu tun hatte.

    Das günstige Gas strömt nicht mehr, der Exportmarkt China droht wegzubrechen

    Heute sieht die Welt ganz anders aus, und die Veränderungen treffen insbesondere das Land, das in den vergangenen 35 Jahren mehr als andere von einer friedvollen Globalisierung profitieren konnte. Putin steht an Europas Grenzen, um das russische Riesenreich wiederzubeleben, das günstige Gas strömt nicht mehr. Und der Exportmarkt China droht wegzubrechen, zum einen, weil die Volksrepublik selbst wirtschaftlich in Schwierigkeiten steckt, vor allem aber, weil deutsche Firmen, bräsig vom Erfolg, entscheidende Entwicklungen (E-Auto) verschlafen haben. Deutschland bricht, um kurz in den Unternehmer-Sprech zu wechseln, das Geschäftsmodell weg.

    Das ist der düstere Hintergrund, vor dem in Berlin die Ampel-Koalition an ihren inneren Widersprüchen zerbricht. Sicher, es waren auch die Regierungen Angela Merkels, die den Deutschen vorgaukelten, die gute Zeit sei endlos. Die Bundeswehr beispielsweise hat nicht die Ampel kaputtgespart, auch der gleichzeitige Ausstieg aus Atom und Kohle und damit der Einstieg in die Abhängigkeit von russischem Gas ist nicht das Werk von Olaf Scholz. Selbst die Bahn hat nicht der Kanzler ramponiert, sondern drei CSU-Verkehrsminister hintereinander.

    Die Ampel hat nie die nötige Betriebstemperatur erreicht

    Dennoch hat die Ampel – mit der (bemerkenswerten) Ausnahme ihres unmittelbaren Krisenmanagements nach Putins Überfall auf die Ukraine - nie die Betriebstemperatur erreicht, die es gebraucht hätte, um das Land für die kommenden Herausforderungen zu wappnen. Gut, dass die Quälerei nun ein Ende hat.

    Wahr ist aber auch: die neue Regierung wird bald vor den gleichen Problemen stehen, an denen die alte zerbrochen ist. Man kann jeden verstehen, dem es in diesen Tagen Angst und Bange wird. Der 9. November war nicht immer ein positives Datum in der deutschen Geschichte, doch der 9. November des Jahres 1989 kann Mut machen. So wie die Menschen vor 35 Jahren in der DDR ihr Schicksal in die Hand genommen haben, müssen das auch die Deutschen des Jahres 2024 wieder tun.

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    7 Kommentare
    Maja Steiner

    Das ist ja bezüglich der Ampel ein halbwegs fairer Kommentar. Erwähnen hätte er noch können, dass diese nicht zuletzt wegen ihres kleinsten Partners diese Probleme hatte. Ausgerechnet die Liberalen verstanden sich als Finanzpolizei, versagten sich der Notwendigkeiten der Zeit. Hielten zugunsten ihrer Klientel an überholten Freiheitsbegriffen fest (Freie Fahrt für freie Bürger), kippten auch in der Flüchtlingsfrage immer weiter nach rechts ab. Richtig: Viele der Probleme hat die Ampel von den Vorgängerregierungen und ihren Ministern geerbt. Viele neue Probleme wurden ihr aufs Auge gedrückt. Scholz war von Anfang an ein Verlegenheitskanzler, weil man keine Alternative sah und das verübelte man ihm nachhaltig. Erinnert an die Demontage von BP Wulff. Darf man hoffen, dass eine neue Regierung es besser macht? Kommt mir vor wie beim Fußball, wo man nach unbefriedigenden Leistungen auch immer nach einem neuen Trainer ruft. Wohin das führt sieht man an HSV, Schalke etc.

    Walter Fischer

    Was bitte war daran ein Glücksfall ? Das die Westdeutschen seit damals die Ostdeutschen finanziell unterstützen müssen ? Mit welchem Recht bekam seinerzeitz.B. jeder 100 DM Begrüßungsgeld ? Oder das auf Kosten der Westdeutschen das Verkehrswegenetz in Ostdeutschland saniert worden ist ?

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    Maja Steiner

    Der Glücksfall war, dass Sie nicht in der DDR leben mussten. Denn dafür können Sie nichts, es sei denn, sie sind dort mal rausgekommen, was aber den Wenigstens gelingen konnte. Insgesamt ist es doch eher erfreulich, wenn zwei künstlich getrennte Bruder-/Schwesterstaaten wieder vereint werden. Ihre Argumentation ist in meinen Augen egoistisch und kurzsichtig. Ärgerlich ist nur, dass der Osten sich auch nach 35 Jahren noch benachteiligt fühlt, trotz der ganzen Bemühungen und Aufwendungen des Westens und dass das in ein unakzeptables Wahlverhalten mündet.

    Maria Reichenauer

    Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, dass die 100 Eur Begrüßungsgeld kein Almosen waren, sondern fast zu 100 % wieder in den Konsum geflossen sind – wer waren die Nutznießer? Die Geschäfte im Westen. Aber: Nicht nur der Westen musste investieren, auch den Menschen im Osten ging auf einen Schlag viel verloren. Nicht nur Lebensgewohnheiten, Arbeitsplätze usw. waren dahin, alles war auf einmal schlecht, ob es das Waschmittel oder der angestammte Betrieb war. Das Leben vieler Menschen wurde einfach auf den Kopf gestellt. Viele sehnten sich – mit Recht – nach Freiheit, mussten aber dafür viele westdeutsche Kröten schlucken. Zahlreiche Betriebe wurden liquidiert, informieren Sie sich doch bitte, wer die Nutznießer waren – die Menschen im Osten waren es nicht. Die Treuhand verstand sehr wohl, Nutzen aus der Situation zu ziehen.

    Walter Fischer

    Wieso unakzeptabel ? Das Abschneiden einer bestimmten Partei in den östlichen (leider) Bundesländern zeigt doch wohl was die Büger dort wollen. (soviel zum Thema Migrationspolitik unser unfähigen Bundesregegierung). Wenn Sie Frau Steiner das ärgerlich finden,das sich der Osten noch benachteiligt fühlt, dann unterstützen Sie die Bürger dort aus eigen finanziellen Mittel. Aber das wird ihnen wahrscheilich im Traum nicht einfallen. Sie haben seinerzeit vermutlich auch den naiven Slogan "Wir schaffen das" einer bestimmten Politikerin begrüßt, und standen ebenfalls mit Äpfeln usw. an den Bahnsteigen .

    Richard Merk

    Warum so ein böser Kommentar Herr Fischer? Ich stand 2015 auch am Bahnhof und freute mich über den Satz: " Wir schaffen das". Dieser Satz hat geholfen, dass Deutschland mit großem Aufwand eine riesige Leistung vollbracht hat. Sozialneider tragen nicht dazu bei einen sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu leisten.

    Maria Tkacuk

    Sehr geehrte Frau Reichenauer, welche "Kröten" meinen Sie? Der deutschen Treuhand blieb gar nichts anderes übrig als so zu handeln, wie gehandelt wurde. Kein einziger der DDR -Betriebe war auch nur annähernd wirtschaftlich überlebensfähig! Was Leute wie Sie vergessen (absichtlich oder sie wissen es nicht besser): die richtigerweise Abkehr von der (menschenverachtenden) Dintatur namens "Sozialismus" fand nicht nur in der DDR statt, sondern in allen Ländern des sowjetischen Machtbereiches in Europa: Polen, Ungarn, CSSR, die baltischen Staaten, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Ukraine! Überall dort mußten sich die Menschen umorientieren, es wurden Fabriken geschlossen und Arbeitsplätze verschwanden. Das "alte" Leben dort verschwand ebenso. Nur in diesen Ländern trauerten nur die Kommunisten, die Spitzel und Schergen Moskaus dem Ende nach! In diesen Ländern hören Sie niemand mehr klagen ! Nur in Ihrem Ostdeutschland - wird selbst heute noch geklagt und der DDR nachgeweint

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