Plötzlich spricht er über Toiletten. In Parks und in den Straßen. Er lächelt dabei wie ein kleiner Junge, die Augen zugekniffen. Er grinst, als hätte er etwas ausgefressen. Toiletten in Stawropol im Nordkaukasus. Aus der Gegend stammt er. Ein Bauernsohn. Michail Gorbatschow spricht leise, seine Stimme ist brüchig, alt ist er geworden. Geschichten aber, Erinnerungen aus seiner Jugend, aus seinem späteren Politikerleben, die kann er bis heute erzählen. Stundenlang könnte er da sitzen, schwärmen, bedauern. Dann räuspert er sich, fährt sich über den Mund, hebt manchmal den Finger. Denn eines weiß er mit seinen 80 Jahren: Er selbst ist Geschichte.
Der unerfüllte Traum von einer demokratischeren Sowjetunion
Gorbatschow ist gefragt in diesen Tagen. Klar, dass es dabei nicht um Toiletten geht im hügeligen kaukasischen Vorland. Es geht um sein Land, damals und heute. Ein Land, das sich neu erfinden musste vor 20 Jahren, als altkommunistische Hardliner, Parteifunktionäre, mit denen er arbeitete, die er teils in die Partei aufgenommen hatte, sich gegen ihn richteten, ihn einsperrten auf seiner Datscha am Schwarzen Meer, dort, wo er seit dem Staatsstreich am 19. August 1991 nie mehr gewesen ist.
Viele wollen ihn treffen, vielen sagt er ab. Sein Moskauer Büro ist im Dauereinsatz und bereitet schließlich eine Pressekonferenz vor. Gorbatschow erzählt, als säßen seine Enkel vor ihm, mit manchen scherzt er, anderen teilt er harsch mit, er verstehe nicht, worauf sie hinauswollten. Er weiß, was er sagen kann, was er lieber für sich behält.
Die Sowjetunion, sie hätte noch Bestand. Davon ist der Mann, der mit 19 Jahren den Kommunisten beitrat und eher zufällig in die Parteispitze aufstieg, zwei russische Worte Perestroika (Umbau) und Glasnost (Offenheit) in die Welt trug und mit dem Konzept dahinter ein ganzes Reich verspielte, noch heute überzeugt. Nur demokratischer hätte sie sein müssen. Mit Pressefreiheit und Achtung von Menschenrechten. „Es waren Idioten, die damals putschten“, meint er. Sicherlich habe er gewusst, wie viel sich hinter seinem Rücken abgespielt habe. Dass er viele Gegner hatte, die ihm Schwäche vorwarfen, seine Reformen für Dummheit hielten. Doch er habe die Kluft zwischen der Partei und dem Volk kleiner machen, diesen Eisernen Vorhang einreißen wollen.
Gescheitert sei er, ja. „Alles fängt mit einem Bruch an. Ich wollte demokratisieren, nicht zerstören.“ Doch genau das werfen ihm seine Landsleute bis heute vor: Ein Totengräber sei er. „Stille, die Menschen streben immer nach Stille. Aber es muss sich etwas ändern im Land, auch heute. Es müssen echte Wahlen her, eine echte Modernisierung.“ Eines Tages werde das Volk gegen das heutige Regime aufbegehren. „Wir müssen sehr dringend ein neues Zukunftsprogramm aufstellen“, sagt er. Mit Putin als Präsident? „Russland wird leben“, sagt Gorbatschow. „Ich kann Putin nicht verhindern.“