100 Jahre sind vergangen, aber das Geschehen von damals ist noch immer sichtbar. Wer in die Gegend um Verdun kommt, sieht die Hügellandschaft, die als Folge der wuchtigen Bombeneinschläge entstand. Die Knochenbunker und Soldatenfriedhöfe zeugen bis heute von der Heftigkeit des Krieges. Zwischen Februar und Dezember 1916 tobte hier eine der brutalsten Schlachten des Ersten Weltkriegs, bei der mehr als 300.000 junge Männer aus beiden Ländern starben.
Zugleich ist die Zeit vor 100 Jahren sehr, sehr weit entfernt. So erschien es am Sonntag den 4000 deutschen und französischen Jugendlichen, die durch die Wälder liefen, in denen sich ihre Vorfahren einst bekriegten, vorbei an den weißen Kreuzen über den Gräbern. Die Idee dazu stammte von Volker Schlöndorff; der Élysée-Palast hatte den deutschen Regisseur beauftragt, die Gedenkfeier mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande am Sonntag in Verdun mit einer etwas anderen Inszenierung anzureichern. Schlöndorff erklärte im Vorfeld, er wolle die Zeremonie „Politikern und Militärs wegnehmen und den Jugendlichen geben“.
100 Jahre Verdun: "Für uns ist nur Frieden vorstellbar, weil wir gleich sind"
Schon Tage vor der Feier waren die Neuntklässler aus allen Regionen Deutschlands und Frankreichs zu Workshops über das Kriegsthema zusammengekommen. Eingeladen hatten sie das Deutsch-Französische Jugendwerk, das Rektorat der Akademie Nancy-Metz, die Französische Botschaft in Deutschland und das Canopé-Netzwerk. Selbst aus Übersee-Departements wie Guadeloupe und La Réunion reisten Jugendliche zum Treffen mit deutschen Partnerklassen an.
Zu ihnen gehörten Ida Neumann und Juliette Le Yaouanc, die das deutsch-französische Gymnasium in Saarbrücken besuchen und im Gespräch beide Sprachen ganz natürlich mischen. Der Gedanke an Krieg zwischen ihren Ländern erscheine ihnen „absurd“, erklärten die Deutsche und die Französin: „Für uns ist nur Frieden vorstellbar, weil wir gleich sind.“
Trotzdem war es den einstigen Feinden ein Anliegen, an das zurückliegende Grauen zu erinnern und es als Aufgabe für das Auf- und Weiterbauen Europas aufzufassen. 32 Jahre nach dem Gedenken ihrer Amtsvorgänger Helmut Kohl und François Mitterrand am Beinhaus von Douaumont, wo ein legendär gewordenes Foto die beiden Hand in Hand zeigt, kamen am Sonntag Angela Merkel und François Hollande an die einstigen Schlachtfelder. Ein einziger Regenschirm schützte beide vor dem Regen. Es war zugleich genau 50 Jahre her, dass der damalige französische Präsident Charles de Gaulle der Hölle von Verdun gedachte – damals noch ohne deutsche Beteiligung.
Angela Merkel: Man darf sich nicht abzuschotten
Der Name der Stadt Verdun stehe für „unfassbare Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Krieges wie auch für die Lehren daraus und die deutsch-französische Versöhnung“, sagte Merkel bei einer Zeremonie im Rathaus der ostfranzösischen Stadt. Dafür, dass sie eine Botschaft der Hoffnung aussende, wurde sie mit dem Adenauer-de-Gaulle-Preis ausgezeichnet. Hollande sagte, Verdun bedeute gleichzeitig „das Schlimmste“, weil Europa sich hier verloren habe, und „das Beste“, weil es der Stadt gelang, sich für den Frieden und die deutsch-französische Freundschaft einzusetzen. Sie sei nicht in einem Kult der Toten erstarrt, sondern blicke nach vorne.
Zuvor hatte er an der Seite der Kanzlerin und in Begleitung von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Martin Schulz den deutschen Soldatenfriedhof Consenvoye besucht. Am Nachmittag weihten Merkel und Hollande die neu gestaltete Gedenkstätte von Verdun ein.
Die Kanzlerin dankte Hollande und sagte: „Uns trennen keine Gräben mehr.“ Zu den Lehren, die Europa aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gezogen habe, gehöre die Fähigkeit und Bereitschaft zu erkennen, „wie lebenswichtig und notwendig es ist, sich nicht abzuschotten“. Eine Botschaft, die, von Verdun ausgesendet, umso eindrucksvoller klang.