„Es ist eine stille Katastrophe, die in einem rapiden Tempo und doch nahezu unbemerkt vor sich geht“, schreibt der WWF. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) sagt: „Nicht nur die Zahl der Arten, sondern auch die der Individuen befindet sich in einem dramatischen Sinkflug.“ Und Greenpeace schreibt: „Die Wissenschaft bestätigt, was längst für uns alle spürbar ist: Es ist stiller und farbloser geworden in unserer Welt.“ All das sind Zitate zum Insektensterben, vor dem längst nicht nur Umweltschutzorganisationen warnen, sondern auch Wissenschaftler.
In diesem Text erfahren Sie, was wir bisher über das Insektensterben wissen, wie ernst die Lage wirklich ist und was wir tun können, um Insekten besser zu schützen - und zwar auch privat.
Das Insektensterben in Zahlen
Mehr als die Hälfte aller Tierarten sind Insekten. Laut dem Bundesamt für Naturschutz gibt es allein in Deutschland 33.300 verschiedene Insektenarten. Doch 42 Prozent davon gelten als bestandsgefährdet, extrem selten oder bereits ausgestorben. Bei 45 Prozent der Insektenarten ist der Bestand rückläufig. Dazu zählen etwa Ameisen und Großschmetterlinge, Wildbienen, Köcherfliegen und Tagfalter. „Innerhalb von 27 Jahren“, warnt der WWF, „ist die weltweite Biomasse von Insekten um 76 Prozent zurückgegangen.“
Warum wir Insekten brauchen
Das Insektensterben ist eine dramatische und gefährliche Entwicklung. Denn: Insekten sind unerlässlich für die Stabilität unserer Ökosysteme.
- „Insekten“, sagt der WWF, „bilden das Fundament der Nahrungskette“. Sie dienen anderen Tieren als Futter. Man danke nur an Amseln, die im Garten Regenwürmer aus dem Boden picken. Aber nicht nur Vögel, sondern auch viele Säugetiere, Amphibien und Reptilien fressen mit Vorliebe Insekten. Gibt es weniger Insekten, ist deswegen auch die Nahrungsgrundlage von vielen anderen Tierarten bedroht.
- Auch für die Pflanzenwelt sind Insekten unverzichtbar. Laut dem WWF kann eine einzige Wildbiene bis zu 5000 Blüten bestäuben. Ohne Insekten würden unsere Landschaft veröden.
- Außerdem, schreibt der NABU, sind Insekten „unersetzbar“ für die Fruchtbarkeit unserer Böden. Sie fressen verwesende Tiere, Pflanzenreste und Totholz.
- „Mehr als 85 Prozent aller Pflanzenarten sind abhängig von Bestäubung“, schreibt das Wissens-Magazin Quarks. „Darunter viele Pflanzen, die zur Grundlage der weltweiten Ernährung zählen“. Wie Äpfel, Avocados und Brokkoli. „Ohne Insekten würde es weniger Früchte, Gemüse und Nüsse geben.“ Auch für uns.
- Der NABU weist außerdem daraufhin, dass Insekten wichtige Nützlinge in der Forst- und Landwirtschaft sind. So verzehren die Larven der Florfliege pro Entwicklungsphase bis zu 500 Blattläuse oder Milben — und schützen so das Ökosystem Wald.
Seit wann wissen wir vom Insektensterben?
Dass immer mehr Insekten sterben, wissen wir seit 2017 mit Gewissheit. In diesem Jahr ist die sogenannte „Krefelder Studie“ erschienen. Darin hat eine Gruppe von ehrenamtlichen Insektenkundlern festgestellt, dass die Fluginsekten-Biomasse in Deutschland innerhalb von 27 Jahren um 76 Prozent zurückgegangen ist. Mittlerweile sind zahlreiche andere Studien veröffentlicht worden, die alle zu ähnlichen Ergebnissen kommen — nicht nur für Deutschland, sondern global. Die Zahl der Insekten nimmt ab.
„Weltweit“, schreibt der WWF, sind inzwischen 40 Prozent aller Insektenarten vom Aussterben bedroht. Dabei scheint es allerdings einige Besonderheiten zu geben. So hat die Süddeutsche Zeitung eine Studie ausgewertet, die 2021 im Fachjournal PNAS über das Insektensterben erschienen ist. Die SZ-Autorin schreibt: „Die Häufigen werden selten. Anders als bei vielen anderen Tieren schwinden bei den Insekten nicht vor allem seltene Arten, sondern auch solche, die früher stark verbreitet waren.“ Das Wissens-Magazin Quarks erwähnt außerdem eine andere Studie, die gezeigt hat: Die Zahl der im Wasser lebenden Insekten steigt im Gegensatz zu der Zahl der an Land lebenden Insekten wieder an.
Dass die Forschungslage so unübersichtlich wirkt, hat einen einfachen Grund: Das Zählen von Insekten ist enorm aufwendig und dauert oft Jahrzehnte. Deswegen ist die Insekten-Forschung auch auf ehrenamtliche Helfer angewiesen. So wie bei der Krefelder Studie. Josef Settele, Insektenforscher am Umweltforschungsinstitut Leipzig-Halle, hat in einem ARD-Interview einmal gesagt: Diese Art von Erfassung sei wissenschaftlich nicht so spannend. „Das heißt, die Wissenschaft macht da wenig, und man ist darauf angewiesen, dass Ehrenamtler so was machen, was immer schon der Fall war.“ Forscher schätzen sogar, dass wir bisher nur ein Drittel aller Insektenarten auf der Welt entdeckt haben.
Warum sterben immer mehr Insekten?
Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Es gibt viele verschiedene Gründe fürs Insektensterben. Doch so unterschiedlich sie sein mögen, sie alle haben eine große Gemeinsamkeit: Die Art, wie der Mensch mit der Natur umgeht.
- Der NABU macht unter anderem den „Einsatz von Pestiziden“ fürs Insektensterben verantwortlich. Pestizide wirken nicht nur gegen Schädlinge, „sondern auch auf sogenannte ‚Nichtziel-Organismen‘ wie Wild- und Honigbienen.“ Viele Pestizide, sagt der NABU, lagern sich auch im Boden ab und vergiften so auch andere Lebensräume, wie umliegende Gewässer.
- Der WWF betont außerdem: „In unserer von Monokulturen und dem Einsatz von Insektiziden, Herbiziden und Düngemitteln geprägten Landwirtschaft haben Insekten kaum noch eine Chance. Sie brauchen abwechslungsreiche Lebensräume mit vielfältigen Strukturen und Landschaften.“
- Der NABU weist auf einen ähnlichen Punkt hin und nennt auch den „Bau von Straßen, Siedlungen, Industrie- und Gewerbegebieten“ als einen Grund fürs Insektensterben: „Verstärkter Infrastrukturausbau zerstört natürliche Lebensräume“, schreibt der NABU. „Dadurch gehen Nistmöglichkeiten und Nahrungsquellen verloren.“
- Auch der menschengemachte Klimawandel wirkt sich auf die Insekten aus. Der NABU schreibt: „Stärkerer Regen kann zum Beispiel Nester zerstören und durch mildere Winter breiten sich Krankheitserreger und schädliche Pilze aus, weshalb weniger Individuen den Winter überstehen.“
Es gibt nicht den einen Grund fürs Insektensterben. Sondern viele verschiedene, die unterschiedlich zusammenwirken. Die Forscher der PNAS-Studie aus dem Jahr 2021, die die Süddeutsche Zeitung ausgewertet hat, sprechen deswegen von: „Death By A Thousand Cuts“ - Tod durch tausend Schnitte.
Was können wir gegen das Insektensterben tun?
Gegen das Insektensterben kann jeder Einzelne von uns etwas tun.
- „Wer einen eigenen Garten hat“, rät der NABU, „sollte hier auf den Einsatz von Pestiziden komplett verzichten.“ Außerdem sollte der Garten so vielfältig wie möglich bepflanzt werden. Man kann auch darüber nachdenken, ob man einen Teil des Gartens verwildern lässt. Je länger das Gras ist, desto wohler fühlen sich Insekten. Hier finden Sie noch weitere Tipps, mit welchen Pflanzen Sie Hummeln, Bienen und Schmetterlinge anlocken können.
- Gerade bei hohen Temperaturen kann man auch darüber nachdenken, ob man Wassertränken für Insekten aufstellt. Dabei sollte man darauf achten, Landeplätze für die Insekten einzurichten, damit sie nicht ertrinken. Etwa aus Stein oder Moos.
- Wer Insekten schützen will, kann man auch sein Konsumverhalten verändern. Gerade billig produziertes Fleisch aus Massentierhaltung ist ein Problem. Denn um die Tiere zu ernähren, werden Wälder abgeholzt und Mais- und Sojafelder angelegt. Fleischkonsum und monokulturelle Landwirtschaft hängen eng zusammen. „Im Zweifel“, schreibt der NABU, sollte man „möglichst regional, saisonal und Bio einkaufen“.
Allerdings muss man sich regional, saisonal und Bio auch erst einmal leisten können. Um das Insektensterben aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen, ist letztendlich die Politik gefragt.