Vitamin D sorgt wie kaum ein anderes Vitamin für Diskussionen – obwohl es streng genommen gar kein Vitamin ist, sondern ein Hormon. Der Körper kann es mithilfe der Sonne selbst herstellen. Vielen ist vor allem seine Bedeutung für den Knochenstoffwechsel bekannt. Doch zunehmend rückt auch seine Rolle für andere Körperfunktionen in den Fokus, insbesondere seine Wirkung auf das Immunsystem.
Während der Covid-19-Pandemie ist das Interesse an möglichen positiven Effekten von Vitamin D auf den Krankheitsverlauf stark gestiegen und noch immer werden regelmäßig Publikationen zum Thema veröffentlicht. Wie ist der derzeitige Stand?
Kann ein Vitamin-D-Mangel das Risiko, an Corona zu erkranken, erhöhen?
2021 hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) einen Überblick zur aktuellen Studienlage zum Zusammenhang von Vitamin D und Corona veröffentlicht. Demnach gibt es Hinweise darauf, dass ein niedriger Vitamin-D-Status mit einem erhöhten Risiko für eine Corona-Infektion zusammenhängen könnte. Laut der DGE sind die Ergebnisse der bisherigen Studien aber nicht ausreichend, um eine klare Ursache-Wirkungs-Beziehung nachzuweisen. Auf Anfrage teilte uns die DGE mit, dass es noch keine aktuellere Auswertung zu dem Thema gibt.
Experten sind sich auch 2024 nicht ganz einig. „Auch wenn belegt ist, dass der Biofaktor Vitamin D wichtig für ein funktionierendes Immunsystem ist und ein Mangel das Risiko für Virusinfektionen erhöhen kann, widersprechen sich die bisher publizierten Studienergebnisse im Hinblick auf den Nutzen von Vitamin D bei Covid-19“, heißt es in einer Publikation der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB).
Corona-Infektion: Einige Studien zeigen positive Ergebnisse
Wie das Deutsche Ärzteblatt berichtet, gab es seit Beginn der Pandemie nahezu wöchentlich neue Studien oder Berichte zum Thema. Eine „der ersten und aussagekräftigsten Beobachtungsstudien“ wurde an der Universitätsklinik in Heidelberg durchgeführt. Es wurde bei insgesamt 185 Patienten der Vitamin-D-Status bestimmt, die mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus kamen. 22 Prozent hatten einen starken Mangel mit Blutwerten unter 12 ng/ml. Menschen mit einem derart starken Mangel hatten laut der Studie ein sechsfach höheres Risiko, beatmet werden zu müssen.
Bei der Studie zeigte sich außerdem: Auch wenn die Vitamin-D-Werte der Betroffenen nicht so niedrig waren, dass man von einem echten Vitamin-D-Mangel sprechen könnte, war ein schlechter Vitamin-D-Status trotzdem mit einem schwereren Verlauf von Covid-19 verbunden. Das bedeutet, dass auch eine leicht unzureichende Versorgung mit Vitamin D das Risiko für einen schwereren Krankheitsverlauf erhöhen kann, schreibt das Ärzteblatt.
Wir haben das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zur aktuellen Studienlage zum Thema Vitamin D und Corona befragt. Laut den Experten hatte der größte Anteil der Studien ein sogenanntes retrospektives Design. Das bedeutet, dass die Daten schon vor Beginn der Studie gesammelt wurden. Solche Studien beobachten Zusammenhänge, können aber keine klaren Ursachen belegen.
Vitamin D und Corona: Einige Studienergebnisse sind widersprüchlich
In einigen Studien wurden die Teilnehmer rückblickend zu ihrer Vitamin-D-Einnahme oder Corona-Infektion befragt. Alternativ wurden diese Informationen aus bereits vorhandenen Daten gewonnen. Da die Forscher dabei auf das Erinnerungsvermögen der Befragten oder frühere Unterlagen angewiesen sind – die oft für andere Zwecke erhoben wurden – liefern solche Studien laut BfR weniger verlässliche Ergebnisse als Studien, bei denen gezielt Tests oder Experimente durchgeführt werden, sogenannte klinische Interventionsstudien. Diese gibt es zum Thema Vitamin D und Corona auch, sie zeigen laut BfR aber unterschiedliche Ergebnisse und variieren stark im Studiendesign, der Teilnehmerzahl, den Vitamin-D-Spiegeln und anderen Faktoren.
„Eine generelle Empfehlung zur Einnahme von Vitamin-D-haltigen Präparaten zur Vorbeugung einer SARS-CoV-2-Infektion ist daher auf Basis der derzeitigen wissenschaftlichen Datenlage weiterhin aus Sicht des BfR nicht begründbar. Da eine ausreichende Vitamin D-Versorgung zur normalen Funktion des Immunsystems beiträgt, sollte ein Vitamin-D-Mangel jedoch vermieden bzw. ein diagnostizierter Mangel behandelt werden“, sagt uns der BfR.
Vitamin D: Ärzte können bei einer Corona-Infektion individuell entscheiden
Laut dem Ärzteblatt gibt es hierzulande noch „keine gemeinsame Konsensusempfehlung relevanter Fachgesellschaften“. Ärzte sollten für jeden Patienten individuell entscheiden. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hat 2023 aber eine neue Leitlinie mit Handlungsempfehlungen für Ärzte veröffentlicht. Darin heißt es, dass Vitamin D im Rahmen der Corona-Pandemie empfohlen wurde, sich aber zur Behandlung einer akuten Infektion als „nicht wirksam erwiesen“ habe und „nicht eingesetzt werden“ solle. Laut den Experten können aber ältere Personen, vor allem Altenheimbewohner, von einer täglichen Vitamin-D-Einnahme profitieren, da es bei bis zu 4000 IE am Tag keine relevanten unerwünschten Wirkungen gibt und es Hinweise darauf gibt, dass bei einer ausreichenden Versorgung seltener Atemwegsinfekte auftreten.
Stephan Scharla, Facharzt für Innere Medizin, hingegen schrieb 2023 im Journal für Mineralstoffwechsel & Muskuloskelettale Erkrankungen, dass es genügend Indizien gebe, auch bereits Erkrankte mit Vitamin D zu behandeln, obwohl noch keine Aussagen über eine optimale Dosierung gemacht werden können. Die Vitamin-D-Supplementation habe laut dem Internisten „in empfohlener Dosierung (1000–2000 IE tgl.) nur ein sehr geringes Nebenwirkungspotenzial“. Außerdem solle ein Mangel an Vitamin D ausgeglichen werden, da dies laut einigen Studien dazu beitragen kann, das Risiko einer Corona-Infektion zu reduzieren. Darin sind sich zumindest fast alle einig.
Obwohl der BfR, die DGE und die DEGAM keine klare Empfehlung für die Einnahme von Vitamin D aussprechen oder diese sogar ablehnen, betonen einige Experten dessen potenziell positive Wirkung im Zusammenhang mit Corona – trotz einer nicht vollständig gesicherten Studienlage.
Übrigens: Bei Frauen kann sich ein Vitamin-D-Mangel anders äußern als bei Männern.