„Wie fühlt es sich an, ein Schnabeltier zu sein?“, wird das pelzige Wesen hinter Glas gefragt. „Es ist, als würde man zur vielfältigsten Symphonie der Natur tanzen“, antwortet es. „Im Wasser sind meine Sinne geschärft. Mit meinem Schnabel nehme ich das elektrische Rauschen des Flusses wahr und spüre Lebewesen auf, die sich unter der Oberfläche verbergen. Jeder Tauchgang ist wie eine Entdeckungsreise mit einem unsichtbaren Führer”, führt es wortgewandt aus.
Tatsächlich ist das ausgestopfte Schnabeltier im Zoologischen Museum der Universität Cambridge gewissermaßen zum Leben erwacht. Mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) vermitteln die Ausstellungsmacher den Eindruck, die Tiere könnten Fragen beantworten. Mehr als ein Dutzend Exponate – von einer amerikanischen Kakerlake über das Skelett eines Finnwals bis zum ausgestopften Kleinen Panda – informieren die Besucherinnen und Besucher so über ihre jeweiligen Erfahrungswelten. So können diese von den Kreaturen etwa erfahren, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert waren oder sind.
Die Tiere von Cambridge sprechen mehr als 20 Sprachen
„Museen setzen KI auf viele verschiedene Arten ein, aber wir glauben, dass dies die erste Anwendung ist, bei der aus der Perspektive des Objekts gesprochen wird“, sagt Jack Ashby, stellvertretender Direktor des Museums. Ausgestattet mit einer Persönlichkeit und einem individuellen Akzent, kommunizieren die konservierten Kreaturen und Skelette über das Smartphone per Stimme oder Text mit den Gästen. Dabei passen sich die Exponate in Tonfall und Sprache sogar dem Alter der Gesprächspartner an und können sich in mehr als 20 Sprachen unterhalten, darunter Spanisch und Japanisch. Das Schnabeltier spricht mit einem australischen Akzent, und die Stockente, ein auch in Großbritannien weitverbreiteter Vogel, klingt britisch.
Die KI für das Projekt wurde von Nature Perspectives entwickelt, einem von Absolventen und Absolventinnen der Universität Cambridge gegründeten Unternehmen, das mithilfe der Technologie die Verbindung zwischen Mensch und Natur stärken will. „Wir haben etwas aufgebaut, das wir einen digitalen Verstand nennen“, erklärt Gal Zadir, Mitbegründer der Firma. Dieser enthalte so viele bekannte wissenschaftliche Informationen wie möglich über das Tier, beispielsweise über seine „evolutionäre Anpassung“ und eine „Gedächtnisdatenbank mit Dingen, die es erlebt haben könnte“, so der Experte.
Ashby hofft, dass die Besucherinnen und Besucher des Museums mehr über die ausgestellten Exponate erfahren, wenn sie gewissermaßen persönlich mit ihnen sprechen. „Teil des Experiments ist es, herauszufinden, ob die Menschen anders über diese Tiere denken, wenn sie sich selbst äußern”, sagt er. Kann die öffentliche Wahrnehmung etwa einer Kakerlake verändert werden, indem diese eine Stimme erhält? Dieser Frage wollen die Wissenschaftler in Cambridge auf den Grund gehen. „Wenn man mit diesen Tieren spricht, treten sie wirklich als Persönlichkeiten auf, es ist eine sehr merkwürdige Erfahrung“, sagt Ashby.
Ein ausgestelltes Dodo-Skelett äußert sich etwa zur Frage, ob der Mensch versuchen sollte, die Art durch Klonen wieder zum Leben zu erwecken. „Selbst mit fortschrittlichen Techniken würde die Rückkehr des Dodos nicht nur unsere DNA erfordern, sondern auch das empfindliche Ökosystem von Mauritius, das unsere Art beherbergt”, antwortet es. Dies sei eine Erinnerung daran, dass das Wesentliche allen Lebens über den genetischen Code hinausgeht. „Es ist eng mit seinem natürlichen Lebensraum verbunden“, betont das Wesen und antwortet damit wie ein philosophischer Vogel.
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