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Wie Schulen Kinder glücklicher machen wollen

Schule

„Glück“ – als Schulfach: Wie kann man das lernen?

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    Meryam (7) ist eine von dreizehn Kindern, die seit diesem Jahr an der Grundschule das Unterrichtsfach Glück besuchen dürfen. Es ist eins ihrer Lieblingsfächer.
    Meryam (7) ist eine von dreizehn Kindern, die seit diesem Jahr an der Grundschule das Unterrichtsfach Glück besuchen dürfen. Es ist eins ihrer Lieblingsfächer. Foto: Anna Mohl

    Hingebungsvoll malt die siebenjährige Meryam auf ihrem Blatt herum. Es ist Freitagmorgen in der ersten Klasse der Theodor-Storm-Grundschule in Berlin-Neukölln, gerade haben die Kinder eine kleine Pause. Vorne steht Lehrerin Katharina Geiger, die nun ein Windspiel in die Hand nimmt. Melodisch kündigt es die nächste Stunde an: Das Unterrichtsfach „Glück“ beginnt. Die vergangenen Stunden sei es um Gefühle und Stärken gegangen, ruft Geiger den Kindern ins Gedächtnis. „Jeder hat verschiedene Stärke-Kärtchen bekommen“, erinnert sie ihre Klasse ruhig. Jedes Kind bekommt nochmal eins ausgeteilt. Geiger geht zu Meryam. „Du kannst gut Geschichten erzählen“, lobt sie und gibt ihr ein Kärtchen. Um sie herum wird es lebhafter. Der kleine Yussuf ist angesichts der sommerlichen Temperaturen damit beschäftigt, Fächer zu basteln. „Stopp!“, ruft Geiger irgendwann. „Nicht jetzt.“

    Glück als Schulfach – das können Kinder hier und in mehreren hundert anderen Schulen bundesweit in Form eines Projektunterrichts mittlerweile lernen. Was sich hinter dem luftigen Begriff verbirgt, hat viel mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Glück, das für viele mit Erfüllung oder Wohlbefinden zu tun hat, wird im Klassenzimmer gelehrt, indem sich die Kinder mit ihren eigenen Gefühlen auseinandersetzen und ihre Bedürfnisse kennenlernen. Es geht um Stärken und Schwächen, Ziele, Sinnfragen. Gerade in der ersten Klasse sei es herausfordernd, den Kindern komplexe Themen wie Wut oder Trauer verständlich zu machen, erklärt Geiger, während ihre Kollegin Mareike Alisch übernimmt. „Wir passen viel an, probieren viel aus“, sagt Geiger.

    Die Idee entstand 2007 in Heidelberg

    Als es an die Anwendung der Stärken der Kinder geht, zeigt Alisch vorne das Bild eines Aliens, auf dessen Planeten die Kinder gelandet seien. Die Kinder sollen überlegen, was sie nun tun können. „Schlagen“, sagt ein kleines Mädchen. „Mutig sein“, sagt ein anderes. Die Schule, die in einer Nebenstraße der Sonnenallee gelegen ist, gilt als Brennpunktschule. Eine der ersten Fragen, die die Erstklässler neben der nach Lieblingsfarbe und Lieblingsessen stellen, ist: „Palästina oder Israel?“ Der Migrationsanteil der Klasse ist hoch, nicht alle sprechen fließend Deutsch. Vor allem der kleine Mateja aus Serbien kann seine Wut über ein mutmaßlich geklautes Stärke-Kärtchen kaum ausdrücken. Des Öfteren ist es lauter – auch, weil das Sommerfest naht und die Hitze drückt. Kein einfacher Auftrag, den die beiden Lehrerinnen heute haben.

    Den Kindern werden verschiedene Szenarien gezeigt. Sie sollen sich überlegen, welche Stärke sie am besten anwenden können.
    Den Kindern werden verschiedene Szenarien gezeigt. Sie sollen sich überlegen, welche Stärke sie am besten anwenden können. Foto: Anna Mohl

    Im Lehrplan steht „Glück“ bisher nicht. Die Idee geht auf einen ehemaligen Schuldirektor zurück, der sie 2007 in Heidelberg entwickelt hat. Einer der Bildungsträger, der die Weiterbildung anbietet, ist das gemeinnützige Unternehmen „Sethasa“, bei dem auch Geiger und Alisch qualifiziert wurden. Es hat schon über 750 Glücks-Lehrkräfte ausgebildet, betreut knapp 30 Schulen in Berlin und über 70 Schulen deutschlandweit. Die Schulen zahlen für ein Jahr Glücksunterricht, der von zwei Glückslehrkräften zwei Stunden pro Woche unterrichtet wird. Deren einjährige Weiterbildung gehört dazu, Studierende können kostenlos teilnehmen.

    Psychotherapeutin denkt: Es braucht eine andere Haltung im Schulwesen

    Aber kann man Glück so überhaupt lernen? Julia Tiedge, ehemalige Lehrerin und inzwischen Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, ist skeptisch. „Grundsätzlich finde ich es gut, dass man überhaupt über das Glücklichsein nachdenkt“, sagt sie. Glücklichsein habe viel mit der Erfüllung von Bedürfnissen zu tun – Grundbedürfnisse, aber auch nach menschlicher Anbindung. Viele Menschen könnten gar nicht oder nur sehr begrenzt kommunizieren, was sie brauchen. Der Ansatz sei daher gut. Sie sehe aber gleichzeitig, dass die Umsetzung innerhalb des kriselnden Bildungssystems und überlasteten Lehrkräften schwierig sei. Aus ihrer Perspektive sei es sinnvoller, wenn Lehrkräfte die Möglichkeit hätten, unterrichtsübergreifend tiefere Bindungen zu ihren Schülern aufzubauen. „Dass die Kinder sich gesehen und beachtet fühlen, weil es etwa kleinere Lerngruppen gibt. Dafür müsste es aber eine andere Haltung im Schulwesen geben und nicht ein anderes Schulfach“, findet die Expertin.

    Den Anspruch, ein neues Schulfach einzuführen, hat Sethasa laut Geschäftsführerin Ellen Scheiter nicht. Es gehe vielmehr darum, die Arbeit an persönlichen Kompetenzen in der Schule zu ermöglichen und Impulse im Bildungssystem zu setzen. Mit Ende des Schuljahres ende das Projekt, die meisten Schulen führen das Fach dann selbstständig weiter. Dass Glück im Tandem unterrichtet wird, finden Geiger und Alisch gut. Geiger ist auch froh, Klassenlehrerin der 1a zu sein, um Gelerntes in anderen Fächern anzuwenden und die Kinder näher zu kennen.

    Bei den Kindern kommt das Fach an

    „Dass etwas bei den Kindern ankommt, merken wir meist nicht direkt, aber insgesamt“, sagt sie. Die Kinder könnten sich und ihre Bedürfnisse inzwischen besser ausdrücken. „Auch ich habe gelernt, Situationen anders zu entschärfen“, sagt sie. Den konstant mit Fächer falten beschäftigten Yussuf beauftragt sie etwa damit, allen Kindern einen Fächer zu basteln. Die Aufgabe wirkt Wunder: Sofort geht er von Kind zu Kind, erkundigt sich gewissenhaft, wer noch einen benötige und macht sich ans Falten.

    Lehrerin Katharina Geiger macht der Glücksunterricht Spaß. Sie ist auch Klassenlehrerin.
    Lehrerin Katharina Geiger macht der Glücksunterricht Spaß. Sie ist auch Klassenlehrerin. Foto: Anna Mohl

    Auch, was den Umgang mit den Außerirdischen betrifft, hat Yussuf eine gute Idee: mit den Aliens Fußball spielen. Die Lehrerinnen loben. „Ich würde dem Monster eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen, und wenn es einschläft, hau ich ab“, sagt ein quirliges Mädchen ganz vorne. Die stillere Meryam scheut sich nicht, beim Zeichnen nach Hilfe zu fragen. Der Konflikt um Matejas Kärtchen kann aufgeklärt werden, es lag nur auf dem Boden. Mateja entschuldigt sich. Die Gemüter würden sich schnell erhitzen, sagt Geiger, aber die Kinder könnten sich auch entschuldigen. Dass sie schon in der ersten Klasse „Glück“ unterrichten kann, freut sie sehr. Vermisst habe sie das Fach vorher nicht. „Aber jetzt, wo ich es kenne, würde ich sagen, dass es im Lehrplan fehlt. Es sollte bei Bildung nicht nur um kognitive Bildung gehen.“

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    2 Kommentare
    Klara Rasper

    Nachdem Jahrzehnte Glueck fast nur durch Geld, Erfolg und Karriere definiert war, kenne ich heute einige junge Leute, die anders aufgestellt sind. Abere eben nur zufaellig. Wenn Schueler erfahren koennen, wie man zufrieden und damit gluecklich sein kann, ist das eine gute Sache. Der Sinn des Lebens wird selten ueber Reichtum definiert, z.B. nicht bei Camus,Kant oder Goethe. Ich wuensche dem Projekt viel Akzeptanz und Erfolg.

    Marianne Böhm

    Ich denke wenn man Menschen, vom Kindesalter bis zum Rentner bei bringen, erklären muss was Glück ist.. dann stimmt mit uns was nicht mehr.. So wie unser Fingerabdruck ist, so hat ein jeder sein eigenes Glück, Emotionen Gefühl.. das kann man nicht lernen sondern nur fühlen.. Wut, Trauer muss man noch nicht lernen, wenn es noch nicht eingetreten ist.. und hat rein gar nichts mit Bildung zutun .. sondern da geht es um jedem einzelnen selber.. ! In der Situation da sein, helfen ja, aber vorher Nein..

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