Einem Reporter des Nachrichtenmagazins Der Spiegel war es zu verdanken, dass Fernsehdeutschland vor Samstagabend, 20.15 Uhr, ziemlich genau wusste, was Thomas Gottschalk so alles machte, um sich auf „Wetten, dass ..?“ vorzubereiten: Urlaub am Vierwaldstättersee mit seiner Lebensgefährtin und seinem Weggefährten Mike Krüger und dessen Frau. Dort nahm er viel Rohkost zu sich und stieg täglich in ein Algen-Sprudel-Bad. Man wusste auch, dass die Herstellung seiner Fernsehfrisur anderthalb Stunden dauert.
Der 72-Jährige, der immer noch „Thommy“ genannt wird, hätte also rundum frisch sein müssen, als er in Friedrichshafen vor sein „Wetten, dass ..?“-Hallen-Publikum trat und den minutenlangen Applaus genoss. Es sollte anders kommen.
Ob das groß war, was da am Samstag über drei Stunden lief? Darüber gehen die Meinungen nun weit auseinander
Dabei wirkte anfangs alles wie im vergangenen Jahr, als 14 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer eine Neuauflage der Show erlebten. Nachgefeiert wurde nicht nur der 70. Geburtstag des Entertainers, beschworen wurde vor allem eine unbeschwerte Vergangenheit, zu der Gottschalk genauso gehört wie die Bagger-Wette.
Hatte er zunächst eine Fortsetzung der als einmalig angekündigten Ausgabe abgelehnt, schloss der damalige ZDF-Programmdirektor und heutige Intendant Norbert Himmler dies umgehend danach nicht mehr aus – zu gut waren die Quoten, zu einhellig das Lob, zu verlockend die Aussicht, aus einem großen Fernsehmoment weitere große Fernsehmomente zu generieren.
Ob das groß war, was am Samstagabend über drei Stunden lang zu besichtigen war – darüber gehen die Meinungen nun auseinander. Die Welt befand immerhin, die jährliche Rückkehr von „Wetten, dass ..?“ sei „faszinierendes Fernsehen“: „Es ist, kühne Behauptung, bitte nicht lachen, systemrelevant.“ Denn hier würden die großen Linien der gesellschaftlichen Entwicklung verhandelt.
Wenn es richtig peinlich zu werden drohte, kündigte Michelle Hunziker schnell die nächste Wette an
Auf Twitter dagegen wurde schon während der Sendung anderes „verhandelt“, etwa von Oliver Kalkofe. Er habe das Gefühl, schrieb der Satiriker, man habe Co-Moderatorin Michelle Hunziker vorher gesagt: „Rede viel und laut, lenk vom Opa ab, du hast den Überblick, du machst die Show!“ In der Tat hatte Hunziker Thomas Gottschalk ein ums andere Mal aus der Patsche geholfen, wenn der Namen oder Daten vergaß oder wild durcheinanderschmiss und durch seine Sendung irrlichterte. Wenn es richtig peinlich zu werden drohte, kündigte sie schnell die nächste Wette an. Sie hatte sich übrigens nicht mit Algen-Sprudel-Bädern vorbereitet, sondern mit einem Einkaufsbummel in Lindau.
Im Unterschied zur Welt stellte eine Kritikerin auf ntv.de ernüchtert fest: Das „warme Gefühl der Nostalgie, das vor einem Jahr die Herzen der TV-Nation flutete“, sei „einer gewissen Fremdscham gewichen“. Watson.de berichtete von wütenden Fans und peinlichen Patzern Gottschalks. Und Die Zeit merkte ironisch an, „Wetten, dass ..?“ sei „wieder die größte und beste Fernsehunterhaltungssendung der Welt“ gewesen – „und zwar genau von halb acht bis Viertel nach acht“. Dann nämlich, wenn „wir Zuschauer uns in Vorfreude an eine Show erinnern, die es vielleicht niemals gab“.
Es gab zwei Momente, in denen die Nostalgie-Show ein klitzekleines bisschen „heutig“ wurde
Gottschalk und das ZDF werden Häme und Kritik verschmerzen können bei einem Marktanteil von 39,5 Prozent und etwas mehr als zehn Millionen Zuschauern. Allein in der Gruppe der 14- bis 59-Jährigen schalteten 4,72 Millionen Menschen ein. Sie sahen Vertrautes und (älter gewordene) Bekannte. Sänger Robbie Williams, Comedian Michael „Bully“ Herbig oder Schauspielerin Veronica Ferres – sie alle waren häufig in der Show und bewarben mehr oder weniger lustvoll ihr jeweiliges Album oder ihre jeweiligen Filme.
Machte Herbert Grönemeyer auch, der seine neue Ballade „Deine Hand“ grönemeyerte – und als Einziger einen Wetteinsatz zu bieten hatte, der sich von Wackelpudding-essen-und-als-Mann-Cancan-Tanzen abhob. Einen Monat lang will er jetzt die Kosten für die Berliner Tafel übernehmen. „Ich habe große Hochachtung vor den Menschen, die in dieser Zeit ehrenamtlich den Menschen beistehen und sie unterstützen“, sagte er.
"Lützi bleibt!": Wettkönig wird schließlich ein Klimaaktivist
Es war einer von zwei Momenten, in denen „Wetten, dass ..?“ ein klitzekleines bisschen „heutig“ wurde. Sieht man vielleicht davon ab, dass bei der Bagger-Wette eine junge Frau in Pumps in einem Bagger balancierend Eier anpikste. Wettkönig wurde schließlich ein Klimaaktivist, der das nordrhein-westfälische Dorf Lützerath vor seinem Ende durch die Braunkohleförderung bewahren möchte. Der 3-D-Grafiker erkannte mit seinem „Kreuzblick“ Fingerabdrücke und gewann 50.000 Euro. Die wolle er für Lützerath einsetzen, sagte er. „Lützi bleibt!“, wurde im Publikum skandiert.