"Wann, in Gottes Namen, werden wir uns gegen die Waffenlobby durchsetzen?" Diese Frage stellte US-Präsident Joe Biden am Dienstag. Vorausgegangen war ein Amoklauf an einer Grundschule in Texas, bei dem ein 18 Jahre alter Täter 19 Kinder und eine Lehrkraft tötete. Eine Tat, die erneut die ohnehin allgegenwärtige Diskussion um die US-amerikanische Waffenlobby NRA wieder in den Fokus rückt. "Wir müssen handeln", sagte Biden. Doch was bedeutet das, wer ist die NRA und wie mächtig ist sie? Ein Überblick über eines der größten Streitthemen in den USA.
Was ist die NRA?
Die National Rifle Association (NRA) wurde im Jahr 1871 von zwei Veteranen des Amerikanischen Bürgerkrieges in New York gegründet. Sie hat sich schnell zur größten Organisation in der Waffenlobby der Vereinigten Staaten entwickelt. Das anfängliche Ziel der NRA war es, Menschen in einer Ausbildung an der Waffe und auch das Sportschießen zu fördern. Sie vertritt außerdem eine zentrale Meinung: Das Recht auf Waffenbesitz ist unantastbar. Dieses Recht ist in der US-amerikanischen Verfassung verankert, was auch ein Verdienst der NRA ist.
In den Anfangsjahren war die Organisation aus politischer Sicht noch kaum in Erscheinung getreten. Die NRA radikalisierte sich aber ab den 70er Jahren. Der Anlass dafür war die Verabschiedung des Gun Control Act, einem Gesetz für Waffenkontrolle. Seitdem pocht die Organisation auf den Zweiten Verfassungszusatz, der nach der Meinung der NRA besagt, dass Waffen uneingeschränkt besessen und getragen werden dürfen. Seither versucht ein Lobby-Arm der National Rifle Association, jeden Versuch das Waffenrecht zu verschärfen, im Keim zu ersticken. Dabei beruft sie sich immer wieder auf das Thema Sicherheit. Der Leitsatz: "Das einzige, was einen bösen Menschen mit einer Waffe stoppen kann, ist ein guter Mensch mit einer Waffe". Gesagt hat diesen Wayne LaPierre, der seit über 30 Jahren Geschäftsführer der Waffenlobby in den USA ist. Der Satz macht deutlich, dass die Organisation nicht in den Waffen eine Gefahr für die Gesellschaft sieht, sondern in den Menschen, welche sie benutzen.
Wie wichtig ist die NRA in den USA?
Die NRA hat sich über die letzten Jahrzehnte zu der einflussreichsten politischen Organisation in den USA überhaupt entwickelt. Sie hat zahlreiche bekannte Unterstützer um sich gescharrt. Chuck Norris, Tom Selleck und Sarah Palin, die ehemalige republikanische Vize-Präsidentschaftskandidatin, sind nur drei von ihnen. Auch Ex-Präsident Donald Trump ist ein Sympathisant der Lobby.
Nach Angaben der NRA werden jährlich rund eine Million Waffenbesitzer im Umgang mit Waffen geschult. Dafür sind mehr als 100.000 Ausbilderinnen und Ausbilder im Einsatz. Das jährliche Budget beträgt eine Viertelmilliarde US-Dollar, welches sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen zusammensetzt.
Der Fokus der mächtigen Lobbyorganisation liegt auf der Politik in Washington. Sie wird vor allem durch Politiker der Republikaner getragen, das hat Tradition. Die NRA ist aber längst in allen US-Bundesstaaten aktiv. Immer wenn es Diskussionen um eine Verschärfung des Waffenrechts gibt, treten die Lobbyisten in Aktion. Erfolgreich war das beispielsweise im Jahr 1986, als ein Teil des Gun Control Acts von 1968 wieder gestrichen wurde.
Die Macht der NRA zeigte sich auch in den Jahren 1993 und 1994, in denen der demokratische Präsident Bill Clinton das Waffenrecht verschärfte. Bei den Zwischenwahlen agierte die NRA gegen die Befürworter im Kongress. Letzterer, von den Republikanern dominiert, ließ das eingeführte Gesetz 2004 wieder auslaufen. Ein Jahr später wurde die Waffenindustrie außerdem durch ein Gesetz vor Klagen geschützt. Es gab einige Erfolge, welche sich die Organisation auf die Fahnen schreiben kann. Clinton sagte zu seiner Zeit: "Die NRA ist der Grund, dass die Republikaner das Abgeordnetenhaus kontrollieren."
Die NRA ist der Grund dafür, warum sich trotz vieler Gegner der Waffengesetze über die Jahre kaum etwas an der Waffengesetzgebung geändert hat. Die Diskussionen, die nach Massenschießereien und Amokläufen aufkommen, verlaufen sich auch wegen der Lobby immer wieder im Sande.
Die Strategie der National Rifle Association
Es gibt mehrere Gründe dafür, dass es der NRA immer wieder gelingt, die Gesetzgebung in den USA zu beeinflussen. Ein Weg sind Kampagnen, Spenden und Zuwendungen. Im Wahlkampf 2016 kamen Trump beispielsweise rund 30 Millionen Dollar von der Lobby zugute. Allerdings spenden auch andere Lobbyorganisationen fleißig für Wahlkämpfe und Politiker. Die Tabakindustrie tut das beispielsweise mit deutlich höheren Beträgen. Im Jahr 2016 hat die NRA einen eigenen Fernsehsender (NRATV) ins Leben gerufen. In diesem sind rund um die Uhr Botschaften der Waffenlobby zu sehen.
Die dritte – und wohl wichtigste – Strategie der NRA ist die Wählermobilisierung. Dadurch entsteht auch eine Furcht der Politiker, welche es sich wegen Angst vor Stimmen- und Sitzverlust nicht mit der Waffenlobby verscherzen wollen. Hintergrund ist, dass Befürworter von Waffen besonders stark mit Blick auf die Waffengesetzgebung wählen. Sie sind für eine Propaganda der NRA anfällig und stellen gleichzeitig eine wichtige Wählergruppe dar. Da jeder Versuch, gegen das Recht auf Waffenbesitz vorzugehen, als extremer Eingriff dargestellt wird, sehen viele Bürger solche Vorstöße als Angriff auf die Freiheit und die Grundrechte von Menschen. Es ist in den USA kein Mythos, dass die NRA Präsidentschaftswahlen mitentscheiden kann.
Ist die Waffenlobby in den USA unantastbar?
Im Jahr 2021 feierte die NRA ihr 150-jähriges Bestehen. Ihr Einfluss ist weiterhin groß, doch unantastbar schien sie zuletzt nicht. Trump hatte die Lobby enttäuscht, als er für bessere Kontrollen beim Kauf von Waffen eingetreten war. Außerdem gab es jüngst Skandale und Veruntreuungsvorwürfe. Auch russisches Geld soll für den Wahlkampf 2016 gewaschen worden sein. Im März 2022 entging die NRA einer gerichtlich angeordneten Auflösung der Organisation. Hintergrund waren Ermittlungen gegen NRA-Chef LaPierre. Gegen ihn laufen weiterhin Verfahren, die Lobby selbst muss aber zunächst nichts befürchten.
So manche Rückschläge zeigen aber, dass die NRA nicht mehr in der Stellung ist, in welcher sie einmal war. Ein großer Teil der Lobby ist bereits älter, männlich, weiß und auf dem Land lebend. Die Botschaft der National Rifle Association könnte daher immer weniger zeitgemäß sein und immer weniger Menschen treffen. Einen ersten Hinweis auf die weitere Entwicklung wird die Diskussion nach dem Amoklauf in Texas liefern.