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Wie gefährlich ist hochdosiertes Vitamin D? Das sagen Experten

Vitamin D

Wie gefährlich ist hochdosiertes Vitamin D? Das sagen Experten

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    Einige Experten sehen in hochdosiertem Vitamin D große Chancen für Patienten mit Autoimmunerkrankungen. Andere warnen ausdrücklich davor.
    Einige Experten sehen in hochdosiertem Vitamin D große Chancen für Patienten mit Autoimmunerkrankungen. Andere warnen ausdrücklich davor. Foto: Valerii Honcharuk, stock.adobe.com (Symbolbild)

    Vitamin D ist ein essenzieller Nährstoff, der eine Schlüsselrolle für Knochen, Immunsystem und Stoffwechsel spielt. Der Körper stellt es mithilfe der Sonne selbst her. Doch wie viel davon braucht man wirklich? Während manche Experten vor einer Überdosierung warnen, setzen andere gezielt auf hohe Mengen, um Krankheiten wie Autoimmunerkrankungen oder Osteoporose entgegenzuwirken. Besonders umstritten ist das sogenannte Coimbraprotokoll, das bei Multipler Sklerose und anderen Autoimmunerkrankungen eingesetzt wird. Doch welche Dosierungen gelten als sicher, und was sagt die Wissenschaft zu hochdosiertem Vitamin D?

    Was macht Vitamin D im Körper?

    Vitamin D ist unter anderem wichtig für den Aufbau und Erhalt gesunder Knochen, spielt aber auch eine Rolle im Immunsystem. Wer ausreichend mit Vitamin D versorgt ist, kann das Risiko für Atemwegsinfektionen, Autoimmunerkrankungen und andere Krankheiten verringern. Die Gesellschaft für angewandte Vitaminforschung (GVF) teilte uns auf Anfrage mit, dass einige Studien darauf hindeuten, dass Vitamin D auch das Herz-Kreislaufsystem unterstützen und das Risiko für Herzerkrankungen sowie Bluthochdruck senken kann. Bei all diesen positiven Eigenschaften könnte es nahe liegen hohe Mengen zu nehmen. Allerdings ist das nicht ganz so einfach.

    Ist hochdosiertes Vitamin D gefährlich?

    Laut der GVF kann eine hochdosierte Einnahme von Vitamin D ohne ärztliche Empfehlung zu negativen Folgen führen. „Insbesondere wenn sie über einen längeren Zeitraum oder in sehr hohen Dosen erfolgt“, sagen die Experten. Bei einer Überdosierung von Vitamin D kann es nämlich zu einem Überschuss an Kalzium kommen, was zu einer Hyperkalzämie führen kann. „Dies wiederum kann zu verschiedenen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Müdigkeit und in schweren Fällen sogar zu Nierenproblemen oder Herzrhythmusstörungen führen“, sagt die GVF.

    „Wer höhere Dosen von Vitamin D einnehmen möchte, sollte dies in Absprache mit einem Arzt tun.“ Trotzdem ist eine Unterscheidung wichtig, Vitamin D ist nämlich nicht gleich Vitamin D. Es gibt drei verschiedene Formen, die anders im Körper reagieren. Nephrologin und Stoffwechselexpertin Helena Orfanos-Boeckel geht in ihrem Ratgeber „Nährstofftherapie“ näher auf die verschiedenen Formen ein:

    • Vorstufe (Vitamin D3, Cholecalciferol): Wird über die Nahrung aufgenommen oder über die UVB-Sonneneinstrahlung in der Haut aus einer Vorstufe von Cholesterin hergestellt.
    • 25-OH-D (Calcidiol): Das modulierende Vitamin-D-Speicherhormon, das meistens im Blut gemessen wird, um den Vitamin-D-Status zu bestimmen.
    • 1,25-(OH)2-D (Calcitriol): Das aktive Vitamin D-Hormon, das hauptsächlich in den Nieren aus Calcidiol gebildet wird.

    Diese Unterscheidung ist wichtig, denn wenn vor Nebenwirkungen gewarnt wird, ist meist nur von Vitamin D die Rede, obwohl laut der Ärztin eigentlich Calcitriol gemeint ist, das in hohen Mengen viel Calcium in kurzer Zeit aus den Knochen freisetzen kann. Sie hält bei entsprechender Indikation auch hohe Calcidiol-Spiegel von 150 ng/ml für unproblematisch, solange das Serum Calcium im Normbereich und die D-Ratio unter 1,0 ist. Eine Überdosierung sei kein akutes Problem, solange der Calciumstoffwechsel richtig reguliert ist. Für eine gute Vitamin-D-Therapie ist also nicht nur der Vitamin-D-Spiegel, sondern laut Orfanos-Boeckel auch die Vitamin-D-Ratio wichtig. Deshalb sind Blutwerte entscheidend.

    Hoch dosiertes Vitamin D: Diese Dosierungen gelten als sicher

    Wie viel Vitamin D am Tag benötigt wird, ist sehr individuell, deswegen ist auch die maximale Tagesdosis vom persönlichen Bedarf abhängig. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat trotzdem eine Höchstmenge festgelegt, die bei täglicher Einnahme bei den meisten Menschen gesundheitlich unbedenklich ist. Sie liegt bei Erwachsenen bei 4000 IE am Tag.

    Laut der GVF hat die EFSA diese Empfehlung vergangenes Jahr erst wieder auf wissenschaftlicher Grundlage bewertet und kam zu dem Schluss, dass die obere tolerierbare Aufnahmemenge nicht geändert werden müsse. Älteren Menschen werden höhere Dosierungen am Tag empfohlen, allerdings nur unter ärztlicher Aufsicht. Die hohen Dosierungen sollten verhindern, dass die Knochendichte abnimmt und Osteoporose entsteht.

    Stoffwechselexpertin Helena Orfanos-Boeckel macht in ihrer Praxis keine Vitamin-D-Therapie ohne Blutwerte. „Wenn man mit dem Hormon Vitamin D sicher und effektiv arbeiten will, muss man den dazugehörigen Stoffwechsel messen, so wie man das auch sonst in der Inneren Medizin macht. Man gibt ja auch keine Blutdrucksenker, ohne vorher und unter Therapie den Blutdruck zu messen“, erklärt die Ärztin. Trotzdem ist sie der Meinung, dass auch höhere Dosierungen an Vitamin D meist keinen Schaden anrichten.  „Die meisten Menschen in meiner Praxis mit Hauttyp 2-3 brauchen 4000 bis 5000 IE täglich, begleitet von den Cofaktoren Calcium, Magnesium, Bor und Vitamin K2, um einen 25-OH-VD Spiegel von 60 ng/ml mit einer D-Ratio von 0,5 zu halten. Einige wenige brachen nur 1000IE täglich, um sehr gut versorgt zu sein, andere brauchen bis zu 20.000 IE täglich, um gut eingestellt zu sein“, sagt sie im Interview.

    Hilft hoch dosiertes Vitamin D bei Autoimmunerkrankungen?

    Patienten mit Autoimmunerkrankungen durchlaufen oft einen langen Leidensweg und sind auf starke Medikamente angewiesen. Der brasilianische Neurologe Dr. Cicero Coimbra hat eine alternative Therapie entwickelt, die auf besonders hohe Vitamin-D-Dosen setzt. Dabei soll Vitamin D gezielt das Immunsystem modulieren, um fehlgeleitete Abwehrreaktionen zu dämpfen und so das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Die empfohlenen Vitamin-D-Mengen sind deutlich höher als die üblich empfohlenen Richtwerte der Gesundheitsorganisationen. Manche Patienten nehmen laut der GVF unter ärztlicher Aufsicht 10.000 IE oder weit höhere Dosen ein - teilweise bis zu 60.000 IE wie Susanne Sander, die selbst unter einer Autoimmunerkrankung litt, in ihrem Buch „Vitamin D (...) Die Therapieoption bei Autoimmunerkrankungen“ schreibt. Sie konnte durch das Coimbraprotokoll ihre Myositis, eine schmerzhafte Entzündung der Muskeln, in Remission bringen.

    Wie die GVF allerdings anmerkt, sind die Meinungen über die Wirksamkeit und Sicherheit des Coimbraprotokolls unter Experten geteilt. Einige halten diese Therapie für extrem gefährlich - zum Beispiel Tjalf Ziemssen, Leiter des Zentrums für klinische Neurowissenschaften & Multiple Sklerose in Dresden. Wie er im Interview mit dem MDR erklärt, kann es unter dieser Therapie zum Verlust einer Niere kommen. Vor allem, wenn man nicht sehr diszipliniert sei und seine Ernährung umstelle. Wichtig bei einer derartigen Therapie sei nämlich eine kalziumarme Kost. Auch Neurologe Friedemann Paul klärt Patienten über die Risiken der Therapie auf. Er leitet an der Charité in Berlin das Zentrum für experimentelle und klinische Forschung und behandelt Patienten mit hochdosiertem Vitamin D. Obwohl die wissenschaftliche Grundlage fehlt, gibt es laut ihm mehrere Fallberichte von Patienten mit Multipler Sklerose oder anderen Autoimmunerkrankungen, in denen das Coimbraprotokoll positive Wirkungen zeigt und die Symptome deutlich verbessern kann. „Für ein Heilsversprechen ist es zu früh, weil es bislang keine wissenschaftlichen Belege aus gut gemachten Studien gibt, dass diese Therapie wirkt“, sagt er im Interview mit dem MDR. Obwohl viele Experten davor warnen, hebt er die positiven Wirkungen aus folgendem Grund hervor: „Jeder Mensch, der an einer chronischen, teilweise behindernden Erkrankung leidet, hat natürlich das Recht, sich alternative oder andere Heilwege zu suchen und neue Dinge zu probieren.“ Trotzdem sagt auch der Experte, dass eine Behandlung nur unter engmaschiger Beobachtung möglich ist.

    Übrigens: Bei Frauen zeigt sich ein Vitamin-D-Mangel anders als bei Männern. Die Symptome sind unterschiedlich. Auch bei Depressionen spielt Vitamin D eine große Rolle.

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