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Vatikan: Das Rätsel um ein verschwundenes Mädchen und einen früheren Papst

Vatikan

Das Rätsel um ein verschwundenes Mädchen und einen früheren Papst

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    Immer wieder gab es seit dem Verschwinden des Mädchens Demonstrationen, wie hier ein "Marsch für Wahrheit und Gerechtigkeit für Emanuela" im Jahr 2012.
    Immer wieder gab es seit dem Verschwinden des Mädchens Demonstrationen, wie hier ein "Marsch für Wahrheit und Gerechtigkeit für Emanuela" im Jahr 2012. Foto: Andrew Medichini, dpa (Archivbild)

    Der Fall Emanuela Orlandi beschäftigt die Öffentlichkeit in Italien seit 40 Jahren. Ebenso lang währen die Geheimnisse um das Schicksal des damals 15 Jahre alten Mädchens. 1983 verschwand die Vatikan-Bürgerin und Tochter eines auf mysteriöse Weise. Seither versucht die Familie, Licht ins Dunkel zu bringen. Zuletzt mit großen Fortschritten. Im Januar erteilte Papst Franziskus der Vatikan-Staatsanwaltschaft das offizielle Mandat für umfangreiche Ermittlungen. Zwei Monate später richtete das italienische Parlament eine Untersuchungskommission ein.

    Vergangene Woche vernahm der Vatikan erstmals Emanuelas Bruder Pietro als Zeugen. Der 66-Jährige ermittelt seit Jahrzehnten auf eigene Faust. Acht Stunden lang dauerte das Gespräch mit Staatsanwalt Alessandro Diddi, in dem Orlandi unter anderem Namen von noch lebenden Zeugen der Affäre nannte, innerhalb und außerhalb des Vatikans. Brisante Behauptungen haben die gerade erst begonnene Kooperation zwischen Vatikan und Familie Orlandi nun abrupt beendet.

    Der Vatikan soll die Organisierte Kriminalität um Hilfe gebeten haben

    Am Dienstag hatte Orlandi im Fernsehsender La 7 aus einer Tonbandaufnahme zitiert, die ihm im vergangenen Jahr zugespielt worden sei. Darin beschuldigt Marcello Neroni, ein ehemaliger Exponent der römischen Unterwelt, Papst Johannes Paul II. (1978–2005) der Pädophilie. Der damalige Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli habe angesichts der Tragweite des Falles die römische Magliana-Bande um Hilfe gebeten. Nach jener nicht belegten Hypothese hätten die Männer der Organisierten Kriminalität Emanuela Orlandi verschwinden lassen, um das Ansehen des Papstes und der katholischen Kirche nicht zu beschädigen. Orlandi sagte in der Sendung auch: "Man hat mir erzählt, dass Wojtyla manchmal abends mit zwei polnischen Monsignori den Vatikan verließ, und zwar sicher nicht, um Häuser zu segnen."

    Weil das unerhörte Vorwürfe sind, meldete sich am Sonntag sogar Papst Franziskus zu Wort. Beim Angelus-Gebet auf dem Petersplatz erinnerte der 86-Jährige an "den Heiligen Johannes Paul II., in diesen Tagen Objekt beleidigender und unbegründeter Unterstellungen". Zuvor hatten die Vatikan-Medien scharf reagiert. Auf dem offiziellen Informationsportal Vaticannews bezeichnete Mediendirektor Andrea Tornielli die Anschuldigungen als "verleumderisch" und "schäbig". Die anonymen Anschuldigungen hätten "die Herzen von Millionen von Gläubigen und Nichtgläubigen gleichermaßen verletzt". Kardinal Stanislaw Dziwisz, während der Amtszeit von Johannes Paul II. dessen Privatsekretär, bezeichnete Orlandis Aussagen als "schändlich, unrealistisch, lächerlich, wenn sie nicht tragisch, ja sogar kriminell" wären. Franziskus hatte Johannes Paul II. 2014 heiliggesprochen.

    Der Bruder behauptet: "Pädophilie war 1983 im Vatikan akzeptiert"

    Die Behauptungen könnten sich nun auch auf die Ermittlungen der Vatikan-Justiz auswirken, die der Weisungsbefugnis des Papstes unterliegt. Staatsanwalt Diddi bezeichnete die Anspielungen als "schweren Rückschlag für den Auftrag des Papstes, die Wahrheit in vollem Umfang zu ermitteln". Man spiele nicht mit der Figur und dem Andenken eines Heiligen. Orlandi entgegnete, er selbst habe keine Beweise. Er hätte den Vatikan-Ermittlern nur die Namen in den Fall verwickelter Personen genannt, diese könnten nun weiter ermitteln.

    "Pädophilie war 1983 im Vatikan akzeptiert", hatte Orlandi in der Fernsehsendung behauptet. Er sei außerdem überzeugt, dass Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Papst Franziskus über das Schicksal seiner Schwester Bescheid wüssten. "Emanuela ist im Himmel", habe ihm Franziskus bei einer Begegnung kurz nach seiner Wahl im Jahr 2013 versichert. Offiziell konnte der Tod des Mädchens, das heute 55 Jahre alt wäre, jedoch nie festgestellt werden. Ihr Körper wurde bis heute nicht gefunden.

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