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USA: Bidens Akten-Affäre wird für die Republikaner zum Geschenk

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Bidens Akten-Affäre wird für die Republikaner zum Geschenk

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    Die Zufahrtsstraße zum Haus von US-Präsident Biden in Wilmington, Delaware. Die Affäre um den Fund geheimer Regierungsdokumente in Privaträumen von Biden weitet sich aus.
    Die Zufahrtsstraße zum Haus von US-Präsident Biden in Wilmington, Delaware. Die Affäre um den Fund geheimer Regierungsdokumente in Privaträumen von Biden weitet sich aus. Foto: Carolyn Kaster, dpa

    Etwas hat sich verändert auf dem Washingtoner Kapitolshügel. Man spürt es bald, wenn man das Longworth-Bürogebäude an der Independence Avenue betritt und sich von dort durch das Labyrinth unterirdischer Gänge zum Plenarsaal im Südflügel des Kongress-Tempels vorarbeitet. "Yes! We're open", verkünden jetzt rote Schilder an den Türen vieler Abgeordnetenbüros – ein Hinweis auf die angeblich neue Transparenz und die Abschaffung aller Corona-Restriktionen durch die frisch vereidigte republikanische Parlamentsmehrheit. Aus einigen Zimmern dringt ein ungewohnter Zigarrengeruch nach draußen, seit das Rauchen erlaubt wurde. Der größte Auftrieb aber herrscht vor Raum 1117, wo Reporter und Fotografen dem prominentesten republikanischen Parlamentsneuling auflauern: Er heißt George Santos und hat seine Herkunft, seine Religion und seinen gesamten beruflichen Werdegang frei erfunden. 

    Man könnte nun unbemerkt mit einer Waffe ins Repräsentantenhaus marschieren

    Am Eingang des großen Sitzungssaals des Repräsentantenhauses sind die Metalldetektoren abgebaut worden. Man könnte jetzt also unbemerkt mit einer Waffe in den Saal marschieren. Drinnen sind die meisten Bänke nach dem chaotischen Wahlmarathon in der Auftaktwoche inzwischen leer.

    Davon unbeeindruckt peitscht der neue Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, mit einem schwindelerregenden Tempo neue Geschäftsordnungen, Gesetzesinitiativen und Ausschüsse durch. "Am Montag haben die Republikaner ein Gesetz eingebracht, das den Vermögenden helfen soll, bei ihren Steuern zu betrügen und so den Lifestyle der Reichen und Schamlosen unterstützt. Am Dienstag wurde ein Ausschuss eingesetzt, um die Justiz zu behindern und Aufrührer zu beschützen. Am Mittwoch haben sie klargemacht, dass sie alles tun werden, um ein bundesweites Abtreibungsverbot durchzusetzen", lässt Hakeem Jeffries, der Fraktionschef der Demokraten, die vergangenen Wochen Revue passieren. Die neue Mehrheit, warnt er in Anspielung auf Donald Trumps Slogan "Make America Great Again", treibe eine "extreme MAGA-Agenda voran". 

    Handlungsfähigkeit beweisen und die rechten Mobilisierungsthemen bedienen – das sind die Maximen der neuen, mit 222 zu 212 Stimmen denkbar knappen rechten Mehrheit. Freilich werden die meisten gesetzgeberischen Aktivitäten, die die Republikaner derzeit entfalten, symbolisch bleiben, weil sich der demokratisch dominierte Senat und das Weiße Haus querstellen. Dort dürfte sowohl eine bundesweite Verschärfung des Abtreibungsrechts wie auch die drastische Kürzung des Budgets der ohnehin notorisch unterfinanzierten Steuerbehörde IRS gestoppt werden.

    Bidens Akten-Affäre hilft den Republikanern

    Je weniger die Republikaner an konkreten Reformen hinbekommen, desto mehr setzen sie auf ihren Kulturkampf, der auch die inhaltlichen Differenzen der Fraktion zu überdecken hilft. Der Kampf gegen den von Verschwörungsideologen dämonisierten "Washingtoner Sumpf", die Zerstörung der vorgeblichen linken Meinungsdiktatur sowie die Diskreditierung und Amtsenthebung von Joe Biden stehen ganz oben auf der rechten Agenda. Und da hat ihnen der Präsident höchstpersönlich mit der unsachgemäßen Lagerung von vermutlich rund zwei Dutzend geheimen Regierungspapieren schöne Munition geliefert. "Viele Fragen sind offen", sagt Parlamentschef McCarthy und legt demonstrativ besorgt seine Stirn in Falten: "Die gute Nachricht ist, dass die amerikanische Öffentlichkeit einen Kongress hat, der Antworten sucht." 

    Der gelernte Marketingmann McCarthy, 57 Jahre alt und stets frisch geföhnt, ist im Parlament im letzten Vierteljahrhundert schon hinter vielen Büschen gesessen. Nach dem Kapitolsturm vom 6. Januar 2021 schlug sich der Karrierist auf die Seite von Donald Trump, dem er seine demonstrative Aufwartung in dessen Golfclub Mar-a-Lago machte. Nach einer weiteren tiefen Verbeugung vor den rechtsextremen Rebellen in den eigenen Reihen in der vorigen Woche leitet er nun eine Mission, die auf die Sabotage möglichst vieler Biden-Vorhaben und die Dauer-Attacke der Regierung durch zahllose Untersuchungsausschüsse hinausläuft. 

    Die erste Gelegenheit zur öffentlichkeitswirksamen Blockade dürfte sich bei der spätestens im Sommer fälligen Anhebung der Schuldenobergrenze bieten. Eigentlich ist der öffentliche Streit über die neuen Staatskredite ein Ritual, das sich alle paar Jahre wiederholt und kurz vor Torschluss beigelegt wird. Doch dieses Mal fühlt es sich anders anders an. Die Fraktions-Rechten haben McCarthy die feste Zusage abgehandelt, dass jede Anhebung der Schuldengrenze mit massiven Kürzungen einhergehen muss und zudem die nicht gesetzlich vorgeschriebenen Ausgaben den Stand von 2022 nicht übersteigen dürfen. Das ist völlig utopisch. Die Demokraten bräuchten bei den Wahlen in zwei Jahren gar nicht mehr anzutreten, wenn sie den erforderlichen brutalen Billionen-Kahlschlag bei den Sozial- und Gesundheitsleistungen im Senat mittragen würden. 

    Eine globale Finanzkrise könnte drohen

    Wenn sich aber das Repräsentantenhaus, der Senat und der Präsident nicht einigen, drohen ein dramatischer Zahlungsausfall der größten Wirtschaftsnation der Welt und eine globale Finanzkrise. Doch Trump und seine Verbündeten schreckt das nicht. "Dem zuzuschauen, wird eine wunderbare und beglückende Sache sein", fabulierte der Ex-Präsident kürzlich auf seiner Propaganda-Plattform Truth Social. Und Sean Hannity, der prominenteste Fox-News-Moderator, nahm Parlamentschef McCarthy bei einem Interview regelrecht in die Zange: Er dürfe bei diesem "Angsthasenspiel" bloß nicht nachgeben. 

    Mit ähnlich harten Bandagen gehen die Republikaner auch bei der Einrichtung von Untersuchungsausschüssen vor. Deren Aufgaben stehen schon vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit fest: Sie sollen nicht nur die Missstände an der Grenze zu Mexiko und das Versagen der Biden-Regierung beim Afghanistan-Abzug offenlegen. Ein Gremium will den renommierten Immunologen Anthony Fauci für die behauptete Freisetzung des Coronavirus in einem Labor verantwortlich machen, ein anderes die Verwicklung des Präsidenten in die tatsächlich nicht unproblematischen Geschäftsaktivitäten seines zeitweise drogensüchtigen Sohnes Hunter nachweisen.

    Wahlleugner leiten in Washington nun einen eigenen Ausschuss

    Die weitreichendsten Kompetenzen aber hat der neue Ausschuss zur Untersuchung der vermeintlichen politischen Instrumentalisierung der Justiz, der von dem radikalen Wahlleugner und glühenden Trump-Fan Jim Jordan geleitet wird und praktisch unbegrenzte Befugnisse von der Vorladung anderer Politiker bis zur Herbeiziehung brisantester Geheimdienst-Unterlagen hat. Kritiker befürchten eine Hexenjagd wie zu Zeiten des Kommunistenjägers Joe McCarthy während des Kalten Krieges. 

    Die ersten Zielpersonen stehen fest: Joe Biden und sein Justizminister Merrick Garland. Eigentlich hatte der Präsident einen schlauen Plan, wie er das Sperrfeuer der Rechten ins Leere laufen lassen könnte: Einerseits verstärkte er das Juristenteam im Weißen Haus und ging mit harrscher Kritik an den "radikalen MAGA-Republikanern" zunehmend in die Offensive. Gleichzeitig reist er durchs Land und vermarktet die politischen Erfolge seiner billionenschweren Investitionspakete: Während sich die rechten Republikaner in Washington selbst zerfleischten, posierte er demonstrativ mit Senats-Minderheitsführer Mitch McConnell, einem traditionell-konservativen Republikaner der Vor-Trump-Ära, bei der Einweihung einer Brücke in Kentucky. 

    Ein schönes Bild, ein eindrucksvoller Kontrast, zumal die lange drückende Inflation sinkt und die Umfragewerte Bidens zuletzt stiegen. Doch als der Präsident am vorigen Donnerstag im Weißen Haus die positiven Konjunkturdaten verkünden wollte, interessierte sich niemand für die Zahlen. "Geheime Regierungsdokumente neben der Corvette?", rempelte ihn der Korrespondent des rechten TV-Senders Fox News an: "Was haben Sie sich dabei gedacht?" Der Präsident reagierte ebenso schmallippig wie verdattert: Er nehme den Schutz vertraulicher Unterlagen sehr ernst und arbeite mit der Justiz zusammen, betonte er. Im Übrigen stehe sein legendärer grüner Oldtimer-Sportwagen vom Typ in dessen Nähe Geheimakten gefunden wurden, in einer abgeschlossenen Garage bei seinem Haus in Wilmington: "Es ist nicht so, dass der auf der Straße parkt." 

    Joe Biden schweigt zum Fund von brisanten Akten

    Seitdem schweigt Biden, während scheibchenweise immer neue Informationen ans Tageslicht kommen. Offenbar wurden in den vergangenen zwei Monaten in Bidens Büro bei einer Washingtoner Denkfabrik, in seinem privaten Haus in Wilmington und in dessen dortiger Garage vertrauliche Unterlagen aus seiner Zeit als Vizepräsident gefunden, die dort nicht hingehören. Zwar weist das Weiße Haus zurecht darauf hin, dass es gravierende Unterschiede zwischen Bidens mutmaßlicher Schlamperei und dem Beiseiteschaffen von Unterlagen durch seinen Vorgänger Trump gibt: Nicht nur hatte der 300 Geheimakten auf sein privates Anwesen Mar-a-Lago schaffen lassen, während es bei Biden offenbar zwei Dutzend sind. Auch weigerte sich Trump, die Papiere herauszugeben und versuchte später, das Nationalarchiv hinters Licht zu führen, während Bidens Anwälte mit dem Justizministerium zusammenarbeiten. 

    Doch Biden, der Trumps Umgang mit den Akten "unverantwortlich" genannt hatte, hat nun ein dickes Glaubwürdigkeitsproblem, zumal er die Öffentlichkeit erst stark zeitversetzt und tröpfchenweise informierte. Das ist weniger juristisch als politisch fatal: Eine Anklage von Trump ist in dem extrem polarisierten Meinungsklima der USA kaum noch denkbar. Gleichzeitig befindet sich der amtierende Präsident schwer in der Defensive. "Natürlich ist das unangenehm", gestand Debbie Stabenow, eine der ranghöchsten Demokraten im Senat am Wochenende ein: "Das ist der Stoff, den die Republikaner lieben." 

    So hat sich die Stimmungslage auf dem Kapitol innerhalb weniger Tage erneut komplett gedreht. Vom Chaos bei den Republikanern, von der faktischen Machtübernahme der Extremisten in der Fraktion und von der Schwäche McCarthys, der 15 Wahlgänge brauchte und sich aus Angst vor einem Mandatsverlust nicht einmal traut, einen dreisten Hochstapler zum Rücktritt zu drängen, ist plötzlich kaum noch die Rede. 

    Dabei lässt der frischgebackene New Yorker Abgeordnete George Santos mi seinen aberwitzigen Lügengeschichten selbst Felix Krull wie einen Chorknaben aussehen: Die vor dem Holocaust geflohenen jüdischen Vorfahren, sein Studium, seine Karriere bei den besten Banken – alles hat der 34-Jährige erfunden. Tatsächlich steht er im Verdacht des Scheckbetrugs, hat unter anderem Namen bei einem windigen Schneeball-Finanzvertrieb mit gefälschten Bescheinigungen gearbeitet und mutmaßlich mit einer Spende an seine Kampagne Geld gewaschen. Der Republikaner ist ein Prachtexemplar des korrupten Washingtoner Sumpfes. Bei jedem normalen Unternehmen wäre er längst gefeuert - nicht aber im Kongress der USA. "Wo bleibt die Razzia?", erregte sich dessen selbsternannter Chef-Aufklärer Jim Jordan vor wenigen Tagen. Er redete natürlich über Joe Biden.

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