Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Uruguay: Auf dem Trockenen: Einer Millionenstadt geht das Trinkwasser aus

Uruguay

Auf dem Trockenen: Einer Millionenstadt geht das Trinkwasser aus

    • |
    Das Trinkwasser wird knapp – und die Bewohner der uruguayischen Hauptstadt Montevideo sind zunehmend besorgt und verärgert.
    Das Trinkwasser wird knapp – und die Bewohner der uruguayischen Hauptstadt Montevideo sind zunehmend besorgt und verärgert. Foto: Matilde Campodonico, dpa

    Kürzlich offenbarte die Tageszeitung El Observador ihren Leserinnen und Lesern das ganze Ausmaß der Misere: "Die harte Realität" stand auf dem Titelblatt, dazu erschreckende Bilder aus dem nahezu ausgetrockneten Stausee Paso Severino. Der liegt gut zwei Autostunden nördlich von Montevideo, der Hauptstadt des südamerikanischen Staates Uruguay. Er stellt die Trinkwasserversorgung für 1,4 Millionen Menschen sicher. So war es jedenfalls bislang.

    Schlimmste Dürre in Montevideo seit 115 Jahren

    Doch eine historische Dürreperiode, die es so seit 115 Jahren nicht mehr gab, ließ Woche für Woche seinen Pegel sinken. Vor einer Woche maß man im Stausee noch drei Prozent seines normalen Fassungsvermögens von 67 Millionen Kubikmetern Wasser. Am vergangenen Donnerstag waren es 2,4 Prozent. Der Paso Severino ist nahezu komplett leer. Wenn er ausgetrocknet ist, bleiben über kurz oder lang die Wasserhähne in der Hauptstadt trocken. Im Moment muss man eher von kurz, nicht von lang ausgehen.

    Wirtschaftsministerin Azucena Arbeleche kündigte bereits einen Gesetzentwurf an, der die Gründung eines Notfonds für den Wassernotstand vorsieht. Das Arbeits- und Sozialministerium will je zwei Liter Trinkwasser an 500.000 besonders Bedürftige verteilen. Vizeumweltminister Gerardo Amarilla sprach davon, dass man einen Regenschauer sehr vermisse. Jeder Tropfen hilft, zumindest bringt er ein wenig Entspannung – so denkt nicht nur der Minister, der mehr und mehr ins Zentrum der Krise rückt.

    Viele Menschen decken sich mit Trinkwasserflaschen ein, besonders begehrt sind die großen Sechs-Liter-Kanister.
    Viele Menschen decken sich mit Trinkwasserflaschen ein, besonders begehrt sind die großen Sechs-Liter-Kanister. Foto: Tobias Käufer

    Zur historischen Dürre kommen hausgemachte Probleme

    Die Menschen erwarten von ihm, der uruguayischen Regierung um den konservativen Präsidenten Luis Lacalle Pou sowie von der linken Bürgermeisterin Montevideos, Carolina Cosse, Lösungsvorschläge und Konzepte. Cosse hatte schon Mitte Mai befürchtet, das Trinkwasser reiche in ihrer Stadt bloß noch für 30 Tage. Die konservative "Partido Liberal" und das Linksbündnis "Frente Amplio", die sich in den vergangenen Jahrzehnten an der Macht abwechselten, haben gleichermaßen die Gefahr unterschätzt.

    Zur historischen Dürre kommen hausgemachte Probleme: Die Bevölkerung Montevideos ist kontinuierlich gewachsen, die Versorgungsinfrastruktur für das Wasser aber ist nicht mitgewachsen. Der Blick auf Südamerika, auf den globalen Süden, muss auch Deutschland als Mahnung dienen, warnen Experten hierzulande. Nachrichten von extremer Dürre und deren Folgen kommen in diesen Wochen aus Frankreich, aus Spanien, aus Italien – und immer wieder aus Deutschland selbst. Vor wenigen Tagen forderte Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen die Industrie zum Wassersparen auf. Poolbesitzern riet sie, lieber "in die wunderbare Natur zu gehen". Der Bund setzt auf eine Nationale Wasserstrategie, Kommunen überlegen, Wasserentnahmen zu regulieren.

    Ein Griff an den Wasserhahn in Montevideo verdeutlicht den Bewohnerinnen und Bewohnern überaus anschaulich, wie ernst die Lage bei ihnen ist. Es dauert fast eine halbe Minute, bis sich der Wasserdruck stabilisiert. Es röchelt kräftig im Wasserhahn, bis endlich etwas herausfließt. Noch. Die Menschen reagieren darauf beunruhigt. Viele decken sich mit Trinkwasserflaschen ein, besonders begehrt sind die großen Sechs-Liter-Kanister. Auch die Regierung hat reagiert – und die Mehrwertsteuer gesenkt. Zeitungen veröffentlichen jetzt täglich die aktuellen Preise für Trinkwasserflaschen.

    Einer der Gründe: Das seit drei Jahren anhaltende La-Niña-Phänomen

    Die Experten der Stunde sind die Meteorologen. Sie müssen erklären, warum es so lange nicht geregnet hat und wann wieder Hoffnung auf mehr Regen besteht. Ein Gespräch also mit einem Experten, mit Nestor Santayana, Direktor für Meteorologie und Klima des uruguayischen Instituts "Inumet". "Eine der Hauptursachen ist das seit drei Jahren anhaltende La-Niña-Phänomen", sagt er. Unter "La Niña" versteht man Anomalien an der Oberfläche des tropischen oder äquatorialen Pazifiks. Diese Abweichungen vom Normalen sorgen, klimatologisch betrachtet, für ein Wasserdefizit in der südlichen Region Südamerikas. Und davon ist Uruguay betroffen.

    Santayana nennt noch einen zweiten Einflussfaktor, nämlich die natürliche Variabilität der Atmosphäre: "Wir haben beispielsweise im letzten Sommer gesehen, wie die Südatlantische Konvergenzzone, die ZCAS, über Zentral- und Nordbrasilien sehr aktiv war." Das habe einen Effekt erzeugt, bei dem nördlich der ZCAS kontinuierliche Niederschläge auftraten, die die Luftfeuchtigkeit und die Niederschläge im Süden dieser Zone aber begrenzten. Weniger kompliziert formuliert: Brasilien litt unter Regenfluten mit Toten und Obdachlosen, während in Uruguay und Argentinien der Frühling und Sommer mit einem deutlichen Regen-Defizit endeten. Davon betroffen war wiederum besonders die Landwirtschaft in Uruguay. Ein Notprogramm der Regierung musste Bauern helfen.

    Wann kehrt die Normalität in Uruguay zurück?

    Eine Antwort auf die große Frage, die sich alle in Uruguay stellen, gibt es trotz aller Erklärungen und Erklärungsversuche nicht: Wann kehrt die Normalität zurück?

    Das Leben geht auch in nicht normalen Zeiten weiter, und ein bisschen erinnert es in Uruguay an die Corona-Pandemie, an die Zeit, als sich die Menschen täglich über Inzidenzen und Krankenhausbelegungen informierten. Diesmal sind es die Wettervorhersagen und die Updates zum Salzgehalt des Wassers, die die Menschen Tag für Tag abrufen.

    Der Salzgehalt des Trinkwassers ist zu einem bedeutenden Thema geworden. Denn der wegen mangelnder Investitionen in die Kritik geratene staatliche Wasser-Versorger OSE mischt das letzte Restwasser aus dem Stausee mit dem Wasser des Rio de la Plata, an dessen Ufern Montevideo und die argentinische Hauptstadt Buenos Aires liegen. Der El Observador ab.

    Berichte über Übelkeit bei Menschen, die Leitungswasser nutzten

    Salz im Trinkwasser: Aus der Stadtverwaltung von Montevideo hieß es, es bestehe eine Gefahr für Schwangerschaften, weil "Hinweise auf einen Zusammenhang mit zwei Bereichen von Missbildungen, im Gesicht und im Herz-Kreislauf-System", deuten. Bürgermeisterin Carolina Cosse kündigte die kostenfreie Verteilung von Trinkwasserflaschen an schwangere Frauen an. Trotz einer Erklärung des Gesundheitsministeriums, der zufolge der Gebrauch des Wassers gesundheitlich unbedenklich sei.

    Doch ist dem wirklich so? Es gibt daran Zweifel in Montevideo. Berichte über Übelkeit bei empfindlichen Menschen, die sich mit dem Wasser aus der Leitung Tee oder Kaffee kochten, häufen sich. Und es gibt sie ja, die Warnungen, nicht allzu lange zu duschen. Und das, nicht nur, um Wasser zu sparen – sondern auch, weil heißes allzu salz- oder chlorhaltiges Wasser ungesunde Dämpfe verursache. Zur Beruhigung scheinen solche Warnungen eher nicht beizutragen. Vor einer Autowaschanlage liest man auf Schildern: "Wir waschen nicht mit dem Wasser des OSE, wir haben einen Brunnen." Damit wird signalisiert: Es wird kein "offizielles" Trinkwasser verbraucht. Und man will so Kunden die Angst vor salzhaltigem Wasser – nicht nur auf dem Autolack – nehmen.

    Auf diesem Schild vor einer Autowaschanlage steht: "Wir benutzen kein Trinkwasser des Versorgers OSE, wir haben eigene Brunnen."
    Auf diesem Schild vor einer Autowaschanlage steht: "Wir benutzen kein Trinkwasser des Versorgers OSE, wir haben eigene Brunnen." Foto: Tobias Käufer

    Ängste, Sorgen, Hilflosigkeit. Montevideos Erzbischof, Kardinal Daniel Sturla, rief Pfarreien dazu auf, am Ende der Gottesdienste um Niederschlag zu bitten: "Unser Gott, in dem wir leben, uns bewegen und existieren, wir bitten Dich, dass Du uns den nötigen Regen schenkst." Ein entsprechender Twitter-Beitrag des Kardinals, der mit Regenwolken bebildert war, erzielte bislang eine Reichweite von mehr als einer halben Million Aufrufe. Und das bei gerade einmal knapp 3,5 Millionen Uruguayern.

    "Öffentliche Gesundheit steht auf dem Spiel"

    Hilfe für Montevideo könnte auch vom Bürgermeister der etwa drei Autostunden entfernten Stadt Salto kommen. Der machte dem Wasserversorger OSE nach eigenen Angaben ein Angebot: "Unsere Thermalquellen haben ausreichend Wasser, um den Bedarf der Region zu decken", zitierten ihn lokale Medien. Sein Vorschlag: Pro Stunde bis zu 200 Kubikmeter Wasser aus dem Thermalbrunnen von Arapey zu gewinnen, das für den menschlichen Verbrauch geeignet ist. "In einer Zeit, in der die öffentliche Gesundheit auf dem Spiel steht, sind wir uns darüber im Klaren, dass alle Regierungsebenen, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten zusammenarbeiten müssen, um der Bevölkerung zu helfen", sagte er.

    In Montevideo versuchen sich die Menschen gegenseitig zu helfen so gut es geht. Sie decken sich mit Trinkwasserflaschen ein. Sie treffen sich zu Bürgerversammlungen. Eine ist kurzfristig im Viertel "Barrio Sur" in Hafennähe anberaumt worden. Das Motto des Abends: "Wir verteidigen das Wasser." Es wird auf den Versorger OSE geschimpft. Auf Politiker, die sich die Schuld gegenseitig zuschieben. Jede und jeder der Versammelten weiß: Die Lage ist ernst. "Wir müssen unsere Infrastruktur modernisieren, und wir müssen die Umwelt und das Klima besser schützen", sagt einer der Anwesenden. Es sind ungewohnte Szenen in Montevideo, einer der Hauptstädte mit der höchsten Lebensqualität in ganz Lateinamerika. Wie sagte Meteorologe Nestor Santayana noch? "Dies ist eine historische Situation, mit der wir konfrontiert sind."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden