Etwa zwei Monate nach dem gewaltsamen Einmarsch Russlands in die Ukraine sprach das russische Staatsfernsehen ein Drohung gegenüber Grossbritannien aus, die es in sich hat: Mühelos könne Moskau, wenn es wolle, die kompletten britischen Inseln im Meer verschwinden lassen. Eine Möglichkeit sei Russlands neue Interkontinentalrakete – "ein Knopfdruck genügt, Boris, und England ist weg. Und zwar ein für allemal", so Putins Vertrauter Dmitry Kisseljow Anfrang Mai zur besten Sendezeit. Eine weitere „Option, Großbritannien zu versenken“ ginge allerdings den Seeweg: die Unterwasser-Bombe "Poseidon". Was dann auf die britische Insel zukomme: eine 500 Meter hohe, radioaktive Tsunami-Welle, nach der kein Leben mehr möglich sei.
Doch was steckt hinter dem russischen Schreckgespenst "Poseidon"? Wie gefährlich ist sie, wer verfügt über sie – und gibt es sie überhaupt wirklich?
Was ist "Poseidon"? Russlands Unterwasserdrohne
Seit 2015 fällt der Name "Poseidon" in Putin-Reden und westliche Geheimdienstberichte. Das Waffensystem ist nach dem griechischen Meeresgott benannt und wird auch unter der Typbezeichnung 2M39 gelistet. Es handelt sich um eine Art riesigen Torpedo oder Unterwasser-Bombe mit rund 20 Metern Länge und 40 Tonnen Gewicht.
"Poseidon" kann mittels Nuklearantrieb mit 200 Kilomentern pro Stunde einen Nuklearsprengkopf unter Wasser ins Ziel befördern. Die Reichweite soll bei 10.000 Kilometern liegen. Befördert werden könnten die Torpedos in den neuen Belgorod-U-Boote. Mit 184 Metern Länge handelt es sich um die größten U-Boote der Welt. Sie sollen Platz für mehrere "Poseidons" bieten.
Russlands Unterwasserdrohne: Gibt es „Poseidon“ wirklich?
Als 2015 die ersten Gerüchte über die neuartige Waffe auftauchten, tippten die westlichen Geheimdienste noch auf einen Bluff – einem ziemlich übertriebenen. Erstmals erwähnte Putin das Waffensystem offiziell 2018, als er in seiner Rede der Nation vom neuartige Atomtorpedo schwärmte, das seine nukleare Fracht geräuschlos durchs Meer befördern werde. Doch öffentlich vorgeführt haben die Russen ihre Unterwasserdrohne nie. Mittlerweile gilt die Existenz von „Poseidon“ dennoch als unbestritten. Der norwegische Geheimdienstchef Nils Andreas Stensønes sagte 2021 in einem Interview mit dem amerinaischen Nachrichtensender CNN, die Spione hätten „Poseidon“ bereits „in der Testphase“ beobachten können.
Russlands Unterwasserdrohne: Was macht „Poseidon“ so gefährlich?
Eine große Gefahr geht von der Sprengkraft der Waffe aus. Der Torpedo kann mit einem Atomsprengkopf von bis zu 100 Megatonnen Sprengkraft bestückt werden – damit wäre „Poseidon“ die größte jemals gebaute Nuklearwaffe der Welt. Die Sprengkraft wäre demnach 8000 mal so groß wie die Hiroshima-Bombe.
Das Tükische an „Poseidon“, das vor allem bei den westlichen Geheimdiensten für Kopfzerbrechen sorgt: Das Antriebsgeräusch der Unterwasserdrohne ist noch unbekannt. Die Dienste können also mit ihren Unterwassersensoren im Atlantik nicht gezielt auf „Poseidon“ hören. Unter diesen Umständen wäre die Waffe also tatsächlich – wie von Putin angepriesen – "unaufhaltsam".
Kann die Unterwasserdrohne „Poseidon“ einen Tsunami auslösen?
Die mögliche radioaktive Gefahr ist nur ein Aspekt der "Poseidon"-Drohung. Die andere ist der Tsunami, den die Bombe mit der Unterwasser-Detonation auslösen soll. Hierbei sind Experten allerdings höchst skeptisch. An die gewaltige Energie eines Seebebens, das für gewöhnlich starke Tsunamis auslöst, könnten nicht mal alle Atomwaffen Russlands auf einmal herankommen – ganz zu schweigen von einer Flutwelle mit 500 Metern, wie sie Kisseljow in seiner TV-Rede androht. Greg Spriggs, Nuklearwaffen-Physiker des Livermore National Laboratory, schätzte bereits 2017 die Gefahr einer Monsterwelle durch eine Atombombe als gering ein. "Die Energie in großen Nuklearwaffen ist wie ein Tropfen im Eimer verglichen mit der Energie eines natürlich auftretenden Tsunamis", so Spriggs in einem Interview. "Ein Tsunami, der von einer Nuklearwaffe ausgelöst wird, könnte nicht sehr groß sein."
Russlands "Poseidon":Wieso eine Unterwasserdrohne?
Russlands Konkurrenz setzt auf Raketenabwehr. China forscht ausgiebig zu Satelliten, Amerika rüstet eine "Space Force" auf, die Raketenabwehr in der Luft macht also Fortschritte. Eine Lösung für Russland, diese Raketenabwehr zu umgehen, könnte Putin im tiefen Meer sehen. Deshalb auch die Hinwendung Russlands militärischen Unterwassertechnologie. Dass sich Russland als Seemacht versteht und die maritime Kriegsführung als wichtig erachtet, zeigte Putin etwa in einem Video auf Youtube, bei dem er drei Atom-U-Boote gleichzeitig aus der arktischen See durch das dicke Eis brechen und auftauchen ließ.