Luftaufnahmen zeigen am Mittwoch das ganze Ausmaß der Zerstörung: Die Schiffsbrücke des unter portugiesischer Flagge fahrenden Frachters „Solong“ ist ausgebrannt, die Container an Bord sind schwarz verkohlt, der Bug ist deformiert. Auch der US-Öltanker „Stena Immaculate“, der Millionen Liter Kerosin für die US-Luftwaffe an Bord hatte, weist massive Schäden auf. Ein großes Loch klafft an der Seite, wo der Tanker vom Frachter gerammt wurde.
Die verheerende Kollision, die zu einer Rauchentwicklung führte, die sogar aus dem Weltall zu sehen war, ereignete sich am Montagvormittag vor der Küste der englischen Stadt Hull aus bisher noch weitgehend ungeklärten Gründen. 36 Seeleute konnten gerettet werden. Ein Besatzungsmitglied der „Solong“ wird noch vermisst, ist jedoch mit großer Sicherheit nicht mehr am Leben. Während weiterhin Besorgnis über mögliche Umweltauswirkungen besteht, läuft die Suche nach der Unglücksursache auf Hochtouren.
Am Dienstag wurde ein 59-jähriger Mann wegen des Verdachts der „fahrlässigen Tötung” festgenommen. Es handelt sich um den Kapitän der „Solong” und nach Angaben der deutschen Reederei Ernst Russ, der das Schiff gehört, um einen russischen Staatsbürger. Neue Erkenntnisse gab es auch zum Zustand des Frachters. Wie aus Hafenkontrollunterlagen hervorgeht, wurden bei einer Kontrolle im irischen Dublin im Juli mehrere Mängel beanstandet. Demnach sei unter anderem die „Notfallsteuerstand-Kommunikation/Kompassablesung“ des Schiffes „nicht lesbar” gewesen. Das Problem bezeichnete der Marine- und Sicherheitsexperte David McFarland jedoch als „eher geringfügig“. Überdies seien die Rettungsmittel nicht ordnungsgemäß gewartet worden. Keiner der Mängel war so gravierend, dass das Auslaufen des Schiffes untersagt wurde, hieß es in britischen Medien. Der Reederei zufolge seien die Mängel umgehend behoben worden.
Tankerunfall in der Nordsee: Die deutsche Reederei spricht von einem „tragischen“ Vorfall
Was war also passiert? Der Verband Deutscher Reeder (VDR) erklärte auf Anfrage, dass die genaue Ursache des Vorfalls noch unklar sei und die laufenden Untersuchungen abgewartet werden müssten. Jede Reederei müsse ein Sicherheitsmanagementsystem betreiben, „dessen Einhaltung regelmäßig vom Flaggenstaat überprüft und zertifiziert wird“. Zu den Aufgaben des Kapitäns gehöre „die Wartung des Schiffs, die Meldung von Mängeln an die Reederei und die Durchführung regelmäßiger Notfallübungen wie Evakuierungen oder Brandbekämpfung“. Es sei „tragisch“, dass die „Solong“ „trotz dieser umfassenden Sicherheitsvorkehrungen“ kollidiert sei.
Darüber hinaus bleibt die Sorge um die Umwelt. Befürchtet wurde unter anderem, dass neben dem giftigen Kerosin auch schweres, teerartiges Treibstofföl aus den Schiffen austreten könnte. „Wenn davon etwas ins Wasser gelangt, kann das für Vögel und Robben katastrophal sein. Ihre Federn und Felle werden verklebt, was zu Unterkühlung führen kann“, sagte der Wissenschaftsjournalist Thomas Moore. David Craven von der Naturschutzorganisation „Yorkshire Wildlife Trust“ betonte die Bedeutung des englischen Küstengebiets für den Naturschutz: „Dort brüten viele bedrohte Vogelarten wie Papageientaucher, Trottellumme und Basstölpel.“ Eine Ölpest könnte daher verheerende Folgen für die empfindlichen Ökosysteme und geschützte Tierarten in der Region haben.
Die möglichen Auswirkungen auf die Umwelt seien weniger gravierend als zunächst befürchtet. Der größte Teil des ausgelaufenen Kerosins sei verdunstet oder verbrannt, das Risiko, dass Schiffsdiesel austreten könne, ist Experten zufolge reduziert worden. Es sei überdies nicht mit einem Sinken des Frachters oder des Öltankers zu rechnen, hieß es vonseiten des britischen Verkehrsministeriums.
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