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Übergewicht: Abnehmen auf dem OP-Tisch

Übergewicht

Abnehmen auf dem OP-Tisch

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    Jeder fünfte Deutsche ist fettsüchtig, zwei von hundert sogar extrem fettsüchtig. Wo gewöhnliche Methoden nicht anschlagen, kann auch operiert werden.
    Jeder fünfte Deutsche ist fettsüchtig, zwei von hundert sogar extrem fettsüchtig. Wo gewöhnliche Methoden nicht anschlagen, kann auch operiert werden. Foto: dpa

    Das Leben in der modernen Welt ist bequem geworden: Wer Lust auf eine Leberkässemmel verspürt, gelangt meist ohne Treppen überwinden zu müssen durch eine sich selbst öffnende Schiebetür an die Theke einer Metzgerei. Und das ist nur ein Beispiel, das Dr. Stefan Gölder beim „1. Augsburger Rundtischgespräch Adipositas und metabolische Chirurgie“ anführte.

    Die Folgen von Nahrungsüberfluss und Bequemlichkeit: 51 Prozent der Deutschen sind übergewichtig, jeder Fünfte fettsüchtig und zwei Prozent der Deutschen sogar extrem fettsüchtig. Ein Riesenproblem rolle da auf uns zu, warnte der Oberarzt an der III. Medizinischen Klinik des Augsburger Klinikums.

    In Hungerphasen wird zuerst die Muskulatur abgebaut

    Diäten führen längst nicht immer zum gewünschten Erfolg, viele Gründe dafür sind seit langem bekannt: Der menschliche Körper ist auf Hungerphasen optimal eingestellt und reduziert während dieser Phasen seinen Energieverbrauch, wie Gölder berichtete. Und: Wer abnehmen will, muss gegen das eigene Gehirn anarbeiten, denn einer der stärksten Triebe ist der Sättigungstrieb. Bekannt ist aber auch: Als Erstes greift der Körper bei

    Proteinfasten – also Abnehmen über eine kalorienarme Diät mit Eiweißzusatz, um den Muskelabbau zu verhindern – funktioniere im ersten Jahr sehr gut, nach drei Jahren allerdings liege der durchschnittliche Gewichtsverlust bei gerade mal sechs Kilogramm. Das mag für manchen ein schöner Erfolg sein – bei extremer Fettsucht ist er sehr bescheiden. Und speziell um extrem Fettsüchtige mit einem Body-Mass-Index von über 40 oder gar über 50 ging es bei dem Rundtischgespräch am Augsburger Klinikum – und um die Frage, wie diesen Menschen nötigenfalls auch mit chirurgischen Mitteln geholfen werden kann.

    Magenverkleinerung durch Klammernaht

    Dabei gehe es in keiner Weise um Kosmetik, wie Privatdozent Dr. Johann Spatz von der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie erklärte. ,„Krankhafte Adipositas verringert die Lebenserwartung des Betroffenen dramatisch, wenn man ihm nicht rechtzeitig hilft“, betonte der Leitende Oberarzt, der sich am „Zentrum für Morbide

    Am ältesten sei von diesen Verfahren das Magenband, das kurz nach der Einmündung der Speiseröhre um den Magen gelegt wird und mit dieser Engstelle dafür sorgt, dass nicht mehr so viel Nahrung aufgenommen werden kann. Es sei einmal sehr populär gewesen, habe aber einen Nachteil: Flüssiges mit viel Kalorien, etwa erwärmte Nuss-Nougat-Creme, „geht immer noch durch“, so Spatz.

    Standard sei derzeit der Magenbypass, der bedeutet, dass die Nahrung an einem Großteil des Magens vorbeigeleitet wird. Und: Im Kommen sei der „Schlauchmagen“, der technisch relativ einfach anzulegen sei, so Spatz – ein Teil des Magens wird mit einem Klammernahtgerät abgetrennt. Im Gegenteil zum Magenband, das wieder entfernt werden könne, sei diese Maßnahme freilich irreversibel (unumkehrbar).

    Lebenserwartung steigt durch OP

    „Dürfen wir überhaupt an gesunden Organen operieren?“ Diese Frage stellte Spatz in den Raum. Klar ist, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Patienten dementsprechend günstig ausfallen muss. Und das tut es offenbar: „Die Patienten können zehn, zwölf oder fünfzehn Lebensjahre hinzugewinnen“, erklärte der Oberarzt. Demgegenüber sei das Risiko durch den Eingriff selbst sehr gering: Daten an über 85000 – schwerkranken – Patienten weltweit zeigten eine Sterblichkeit bei dem Eingriff im Bereich von 0,07 bis 0,16 Prozent.

    Wie die Referenten deutlich machten, geht es aber nun nicht darum, jeden extrem Übergewichtigen unters Messer zu legen. Vielmehr müssten zuvor alle konservativen Maßnahmen ausgeschöpft sein. Und der Patient muss bestimmte Voraussetzungen mitbringen: Er muss auf jeden Fall den festen Willen haben, sein Leben zu ändern. „Die Operation unterstützt den Patienten, wenn er den Weg der Veränderung gehen möchte“, unterstrich Gölder. „Nur dann macht die Operation Sinn.“ Spatz äußerte sich ähnlich: „Wir wollen dem Patienten eine Chance geben, dass er die notwendige Umstellung seiner Essgewohnheiten lebenslang durchhalten kann“, sagte er.

    Dass Chirurgie „bei weitem nicht reicht“, erklärte auch Professor Matthias Anthuber, Chefarzt der Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Klinikum. Es sei vielmehr ein vertrauensvoll arbeitendes Netzwerk nötig, damit der Erfolg beim Patienten ankomme. Zu diesem Netzwerk zählen, wie bei der Tagung angesprochen wurde, neben Chirurgen Gastroenterologen, Endokrinologen, Psychologen bzw. Psychiater, Ernährungsberater und andere Fachleute mehr. Es gebe ein „außerordentlich gutes Team“ und „außerordentlich gute Ergebnisse“, so Anthuber.

    Da die erforderlichen OP-Zahlen, Strukturen sowie die Ergebnisqualität vorhanden sei, strebe man noch heuer eine Zertifizierung des Zentrums für Morbide Adipositas durch die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie an.

    Operationen kommen auch für Diabetes in Betracht

    Am Klinikum Augsburg kümmert man sich in diesem Zentrum seit nunmehr genau fünf Jahren um extrem fettsüchtige Patienten. Es gibt zweimal wöchentlich Sprechstundentermine für Betroffene, so die Chirurgin Dr. Susanne Becker, die auch berichtete, dass an krankhafter Fettsucht hierzulande sechsmal so viele Menschen sterben wie im Straßenverkehr. Fast jede Woche werde ein schwergewichtiger Patient in Augsburg operiert. Insgesamt hätten sich im vergangenen Jahr 130 neue Patienten in der Sprechstunde vorgestellt; für weniger als die Hälfte davon habe man eine Operation ins Visier genommen. „Wir prüfen die Patienten auf Herz und Nieren, ob sie den Eingriff wirklich wollen und ob sie es ausreichend lange mit konservativer Therapie versucht haben“, so Becker.

    Wie es bei der Tagung weiter hieß, gibt es immer mehr Daten, dass sich durch die Operation auch ein eventuell bestehender Diabetes ganz erheblich verbessern kann. Möglicherweise wird man deshalb in Zukunft auch vermehrt Patienten operieren, die an Typ 2-Diabetes leiden und einen BMI von weniger als 40 haben. Dr. Sophie Krüger, Chirurgin am Stadtkrankenhaus Schwabach, einem Referenzzentrum für Adipositaschirurgie, glaubt zwar nicht, „dass man jeden Patienten gleich operieren sollte“, doch am Ende der Behandlungsstrategie könne auch eine Operation stehen.

    Denn „für ausgewählte Patienten“ könne sie eine gute Therapieform sein, so Krüger gegenüber unserer Zeitung. Ein Diabetes sei zwar auch durch eine Operation nicht heilbar, aber es könne gelingen, die Symptome zum Verschwinden zu bringen, die Blutzuckerwerte zu normalisieren und den Medikamentenverbrauch zu reduzieren

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