Wandern und Bergsteigen in den Alpen wird nach Einschätzung von Experten durch den Klimawandel risikoreicher. "Die Gefahr im Gebirge wächst, das ist keine Frage", sagt Rolf Sägesser, "Fachleiter Ausbildung und Sicherheit Sommer" beim Schweizer Alpen-Club SAC, der Deutschen Presse-Agentur.
Dabei sei der Drang in die Natur seit der Corona-Pandemie noch stärker als zuvor. "Da hilft nur eins: das Verhalten anpassen. Die Berge bieten aber so viel Raum, da kann man den Gefahrenzonen ausweichen", so Sägesser, der seit fast 40 Jahren Bergführer ist. Angesichts der Risiken wächst nach Angaben der Bergführer in Österreich der Bedarf an fachmännisch geführten Touren.
Zur aktuellen Hochsaison sei es teils schwierig, noch Bergführer buchen zu können, sagt der Präsident des Salzburger Bergsportführerverbands, Wolfgang Russegger. "Manch einer will sich einen Gletscher anschauen, bevor es sie nicht mehr gibt", sagt der 35-Jährige über eines der Motive.
Gletscher werden immer gefährlicher
Gerade Gletschertouren seien aufgrund des Klimawandels und der dadurch vermehrten Spalten heikler denn je. Auch die Gewittergefahr und das Risiko für Starkregen seien gestiegen. Obendrein seien manche Wege zum Teil unbenutzbar geworden. "Viele haben weder das Wissen noch die Zeit, sich auf längere Touren gründlich vorzubereiten und die Gefahren zu erkennen", so Russegger.
Als spektakuläres Beispiel für die neue Risiko-Dimension gilt der Bergsturz am Tiroler Fluchthorn im Juni. Dort brach der ganze Gipfel weg und gewaltige Gesteinsmassen - insgesamt eine Million Kubikmeter, das entspricht der Ladung von rund 120.000 Lastwagen - rutschten ab. Als Ursache gilt das Auftauen des Permafrosts - also des Eises im Fels. "Das Eis ist der Klebstoff der Berge und dieser Klebstoff geht jetzt schön langsam verloren", sagte der Tiroler Landesgeologe Thomas Figl damals.
Bilder, die manchen zum Nachdenken zu bringen scheinen. So reicht die Kundschaft der rund 1400 Bergführer in Österreich laut dem Experten von Familien mit Kindern bis hin zu ambitionierten Bergsteigern. Sie buchten oft mehrtägige Touren. Der Tagessatz für einen Bergführer liegt in Österreich bei rund 540 Euro. Unter den Gästen seien auch Touristen, die ausschließlich einen Instagram-Spot erreichen wollten. Ein beliebtes Motiv, das dann sofort auf Instagram gestellt werde, sei zum Beispiel die spektakuläre Himmelsleiter am Donnerkogel. "Einige sind überrascht, dass sie dafür einen mehrstündigen Klettersteig bewältigen müssen", sagt Russegger.
Bergführer-Nachwuchs fehlt
Die Nachfrage könnte in Österreich in den nächsten Jahren auf ein noch knapperes Angebot treffen. Viele Bergführer würden aus Altersgründen ausscheiden, so Russegger. Und Nachwuchs zu finden, sei nicht einfach. "Gesucht wird der alpine Allrounder, der schon sehr gut klettern und Ski fahren kann, bevor er in die dreijährige Ausbildung geht." Aber viele junge Sportler könnten nur entweder das eine oder das andere. Auch Frauen seien kaum unter den Bewerbern. Das Senken der Hürden sei keine Option. Die Kunden müssten sich darauf verlassen können, dass ihr Bergführer bestens ausgebildet sei.
Der Schweizerische Bergführerverband SBV macht eigene Erfahrungen: "Es sind nicht wirklich mehr Menschen, die Bergführer in Anspruch nehmen, aber die Anfragen sind vielfältiger", sagt SBV-Geschäftsführer Pierre Mathey der dpa. Weniger Leute buchten Bergführer für die Besteigung von 3000 oder 4000 Meter hohen Gipfeln, mehr dagegen für berühmte Gipfel über 4000 Meter. Insgesamt seien aber weniger Bergsteiger und mehr Wanderer unterwegs. In der Schweiz sind laut Mathey 1550 Bergführer im Einsatz, darunter 43 Frauen.
"Es gibt Touren, die wir früher problemlos begangen haben, dort sind heute Schutthalden mit Blöcken so groß wie Einfamilienhäuser", sagt Sägesser mit Blick auf die Bergsteiger. "Früher waren sie mit Schnee oder Gletschereis überdeckt. Und es gibt Touren, die gehen praktisch gar nicht mehr. Das wären im Hochsommer Todesfallen."
Manche hochalpinen Touren sollten nicht mehr im Juli oder August, sondern eher im Mai oder Juni stattfinden, wenn es noch kälter ist. Er nennt die Eiger Nordwand, die er 1986 durchstieg: "Da war es ein Bruchteil so gefährlich wie heute." Damals vorhandene Eisfelder seien heute fast verschwunden. "Heute kann man die Tour praktisch nur noch in den Winter- bis Frühlingsmonaten unternehmen."
Wanderer seien der Gefahr von Felsstürzen zwar seltener ausgesetzt. Aber wenn eine Wanderung durch felsiges Steilgelände führe, könne es bei hohen Temperaturen besser sein, die Tour früh am Tag zu beginnen, um die Steinschlaggefahr zu reduzieren, sagt Sägesser.
(Von Christiane Oelrich und Matthias Röder, dpa)