Vor rund einem Jahr entstand „The Queue“. So wurde die Schlange in London genannt, die geschätzt mal sieben und auch mal weit mehr als zehn Kilometer lang war, und zum Sarg von Königin Elizabeth II. führte. Dort standen Briten stundenlang an, um sich in Westminster Hall von ihr zu verabschieden. Am 8. September 2022 starb die Queen – ein Jahr nach ihrem Ableben reisen viele Menschen nun zu ihrem Grab in der St George's Chapel auf Schloss Windsor in dem gleichnamigen Städtchen, etwa eine Autostunde von London entfernt.
„Es war immer viel los, aber seit letztem Jahr ist es hier oft wirklich voll, und ich glaube nicht, dass sich das bald ändern wird“, erzählt Janet White, eine Aufseherin in der Kirche an diesem regnerischen Septembertag. Besucher erreichen das Grab in einer Seitenkapelle, indem sie das Gotteshaus im Inneren einmal umrunden. Eine Frau, die aus den englischen Midlands angereist ist, wirkt sichtlich gerührt. „Ich habe Gänsehaut“, sagt sie. Wie sie hatten Millionen Menschen im Vereinigten Königreich und weltweit die emotionale Beerdigung der Monarchin live im Fernsehen verfolgt.
Ein Feuer zerstörte den Nordost-Flügel von Schloss Windsor
Was Schloss Windsor und der Windsor Great Park für die Queen bedeuteten, erfahren Besucher bei einer Führung. „Hier verbrachte sie ihre Kindheit, hier verweilte sie während des Zweiten Weltkrieges und hier zog sie nach ihrer Hochzeit ihre eigene Familie groß“, erklärt ein Audioguide den Gästen. Zu ihnen zählen auch Rafael und Pamela Rech aus Brasilien. Sie zogen einen Besuch auf Schloss Windsor einer Führung durch den Buckingham-Palast vor. „Es wirkt auf uns viel interessanter und schöner“, sagt der 42-Jährige. Eine Ansicht, die die Queen offensichtlich teilte.
Während die privaten Räume der königlichen Familie nicht zugänglich sind, offenbart ein Rundgang durch den repräsentativen Teil des Schlosses dessen bewegte, rund 1000-jährige Geschichte. In der St George's Hall werden Besucher an ein Unglück erinnert, welches sich am 20. November 1992 ereignete. An jenem Tag im sogenannten „Annus horribilis“, dem schrecklichen Jahr, in welchem drei königliche Ehen in die Brüche gingen, zerstörte ein Feuer den Nordost-Flügel des Schlosses. Die Queen begutachtete den Schaden damals persönlich, gekleidet in Regenmantel und Gummistiefeln.
Die Queen hielt sich regelmäßig auf Schloss Windsor auf
Ohne die Monarchin, so sagen Mitarbeiter auf dem Schloss, sei es nicht mehr so, wie es einmal war. Schließlich hielt sie sich, anders als Charles III., regelmäßig dort auf. Nach dem Tod von Elizabeth II. arbeiten auf dem Anwesen deutlich weniger Menschen als früher. Weil große Empfänge nun seltener stattfinden, kann die Schlossküche häufiger im Rahmen einer Führung besucht werden. Jener Ort, an dem Köche einst Gerichte für die Queen zubereiteten, ist laut dem Palast die „älteste funktionierende Küche des Landes“.
Die Erinnerung an die Monarchin, sie sind auch jenseits des Schlosses noch frisch. Fast jeder in Windsor, so scheint es, kann eine Geschichte erzählen. „Wir sahen sie häufig im großen Park von Windsor Castle reiten. Nicht mehr in ihren Neunzigern, aber auf jeden Fall in ihren Achtzigern. Sie war für uns sehr präsent“, sagt die 62-jährige Min Ward, die nur wenige Minuten vom Schloss entfernt wohnt. „Und wir wussten, wann sie zu Hause war.“ War sie anwesend, wurde auf Schloss Windsor ihre Flagge gehisst.
Junge Erwachsene stehen der Monarchie kritisch gegenüber
Im Umkehrschluss wüssten sie nun auch, dass Charles III. nur selten hier sei. Verübeln würden sie ihm das nicht, scherzt ein Bewohner, schließlich seien hier durch den nur wenige Kilometer entfernten Flughafen Heathrow ständig Flugzeuge zu hören. Über den King reden die Bewohner respektvoll. Schließlich bringt das Schloss viele Touristen in das Städtchen und sichert den Menschen damit auch in Zeiten gestiegener Inflation und hoher Lebenshaltungskosten einen gewissen Wohlstand.
Dabei ist die allgemeine Krise des Landes auch in Windsor sichtbar, etwa wenn vor einem Museum unweit des Schlosses Wohnsitzlose auf Kartons nächtigen. Menschen in Windsor machen auch darauf aufmerksam, dass es für Charles III. schwerer wird, die jüngere Generation zu erreichen. Schließlich stehen Umfragen zufolge gerade junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 24 Jahren dem Königshaus überwiegend kritisch gegenüber.
Im März brachten einige ihren Protest auch auf Schloss Windsor zum Ausdruck. Ein queeres Paar legte sich während einer Führung in ein Bett, das um das Jahr 1670 für König Charles II. gefertigt wurde. Dort aßen sie dann Junkfood und blätterten in Prinz Harrys Autobiografie „Spare“ (deutsch: „Reserve“). Das Paar war Teil der Jugendbewegung „No More Royals”, welche sich für ein Ende der Monarchie einsetzt und stattdessen ein gewähltes Staatsoberhaupt fordert. Elizabeth II. wäre sicher „not amused” gewesen.