In diesen Tagen kommt ja mal wieder einiges zusammen, das uns Deutsche mit – manchmal klammheimlicher – Ver- und Bewunderung auf „die“ Briten blicken lässt. Mit Bewunderung also wird auf die bevorstehenden, am 2. Juni beginnenden Feierlichkeiten zum 70. Thronjubiläum der Queen geblickt.
Wenn man alleine das, was deutsche TV-Sender planen, als Indiz für die deutsche Großbritannien-Begeisterung nimmt … aber hallo, dann muss es sich um wahre Liebe handeln! Geplant sind diverse Live-Übertragungen und Sondersendungen, und das ZDF schickt uns zur Einstimmung in eine „lange Nacht“ mit den Royals. Die Frage muss erlaubt sein: Zeigt sich darin eine gewisse Sehnsucht nach Pomp und Spektakel und vielleicht gar nach einer Queen oder einem King?
Mit Verwunderung dagegen blicken wohl die meisten Deutschen zwischen Altusried und Zarrentin am Schaalsee auf Premierminister Boris Johnson, der seinem Ruf als exzentrischer und populistischer Polit-Clown (Brexit! Partygate!) nahezu täglich gerecht wird. Andererseits: Spektakel ist mit ihm garantiert.
Und so mögen viele von uns die Briten für etwas sonderbar oder verrückt halten – wie die Briten umgekehrt gewiss auch uns. In gegenseitiger Ver- und Bewunderung sind wir uns dennoch verbunden, und werden es bleiben. Ein Blick unserer Redaktion auf ein besonderes Verhältnis und eine besondere Insel:
Keep calm and carry on
Das Leben ist für Festland-Europäer nicht immer einfach in London. Wer einwandern will, muss mittlerweile Geld und Zeit investieren, die Mieten sind teuer, die Häuser klein. Gleichzeitig gibt es jedoch mindestens genauso viele Dinge, für die man die Insel und ihre Bewohner schätzen, ja lieben kann. Dazu gehört die beeindruckende Fähigkeit der Briten, in Krisensituationen die Ruhe zu bewahren. Nach dem berühmten Motto „Keep calm and carry on“ – „Ruhe bewahren und weitermachen“. So lesen sie, wenn die U-Bahn in London mal wieder zwischen zwei Stationen feststeckt, weiter ungerührt Zeitung. Selbst im Fall eines Feueralarms verlassen sie entspannt das Gebäude.
Die besten Geschichten hört man allerdings über Postboten der „Royal Mail“. Sie sind es, die Briefe in entlegenen Teilen des Landes auch noch austragen, wenn ihnen bei einer Überschwemmung das Wasser bereits bis zur Hüfte reicht. Noch beeindruckender sind die Kommentare, die sie danach abgeben: Sie seien schon ein kleines bisschen nass geworden, heißt es dann. Und es sind Untertreibungen wie diese, für die man die Briten einfach lieben muss. (Susanne Ebner berichtet für unsere Redaktion aus London.)
Hecken und Humor
Das ist schon eine besondere Art von perfidem Humor: Da fährt man durch das wundervolle Südengland mit seinen wundervollen Landschaften und Steilküsten und sieht, oh Wunder!, nichts. Denn rechts und links der unfassbar schmalen Straßen (in Deutschland bessere Feldwege und ein Horror nicht nur für Wohnwagenfahrer) erstrecken sich kilometerlang Trockensteinmauern und Hecken, Hecken und Trockensteinmauern. Angekommen am westlichsten Punkt Englands, Land’s End, sieht man vor lauter Nebel wieder nichts, erst recht nicht den Geist, der angeblich im „The Land’s End Hotel“ herumspukt. Geister, muss man wissen, gehören hier zur Grundausstattung.
Schließlich darf man sich von einem wundervollen Engländer jedenfalls sagen lassen, dass man da ja einen langen Weg auf sich genommen habe, um nichts zu sehen. Oh dear! Ja, England macht es einem nicht immer leicht, aber das tut es auf denkbar sympathische Weise. Und wer bitte kann ernsthaft etwas gegen kilometerlange Hecken und Humor haben, der so trocken ist wie eine südenglische Trockensteinmauer? (Daniel Wirsching hat in London studiert und reist bald wieder dorthin.)
Vom Recht auf Besuche im Pub
Zunächst wird immer übers Wetter geredet, und da schon wird mir warm ums Herz. Das ist keineswegs nur „lovely“ oder „awful“, sondern wird mit viel Liebe zur Scheußlichkeit beschrieben. Im Grunde sind die Briten froh, wenn sie über den horizontalen Regen herziehen können, da gibt es doch mehr zu sagen als über einen langweiligen Sommertag. Zum Glück sind diese rar. Das Wetter ist eines dieser Themen zum Einstieg, wenn man Freunde oder Bekannte im Pub trifft. Zum ersten Pint wie als Gesprächsaufwärmung der Blick nach draußen, ab dem zweiten der tiefere Blick nach innen.
Der Pub gehört zum Alltag. „In the old days“ stellte er so etwas wie das Wohnzimmer für die Gemeinde dar. Und noch immer gibt es Pubs, die daherkommen wie aus dem Bilderbuch vergangener Jahrhunderte entsprungen. An der Theke wird nicht selten die Welt neu erfunden; manchmal ist sie nach einigen Pints eine bessere, zumindest eine interessantere. Premier Boris Johnson nannte es „das uralte und unveräußerliche Recht frei geborener Menschen“, in den Pub zu gehen. Viel Pathos? Klar. Aber er hat ja recht. (Katrin Pribyl berichtete für uns aus London, nun aus Brüssel.)
Unruhe im Unterhaus
Zuletzt ist es ein wenig ruhiger geworden. Natürlich, es wird noch immer geschrien, es gibt das „Hear, hear“-Geraune, zwischendurch die lauten „Order“-Rufe, aber so wie zu den Hochzeiten des Brexits geht es im britischen Unterhaus nicht mehr zu. Schade eigentlich, denn die hitzigen Debatten zwischen den Abgeordneten sind zwar auf einer zwischenmenschlichen Ebene durchaus bedenklich, gleichzeitig aber herrlich skurril, typisch britisch eben.
Da sind die Vertreter der beiden großen Parteien, getrennt durch einen großen Tisch, auf dem allerhand liegt, ein goldenes Zepter, historische Kisten. Und da sind die Redner, denen eben diese Kisten als Pulte dienen. Lustvoll beleidigen sie die Kontrahenten, geben sie auch mal der Lächerlichkeit preis. Nur körperliche Auseinandersetzungen sind verboten: Die Abgeordneten der Parteien sitzen, das ist ein Relikt aus dem Mittelalter, genau zwei Degenlängen entfernt.
Aus Deutschland schaut man fasziniert auf dieses Parlament, das nicht einmal genug Sitzplätze für seine Mitglieder hat. So sind sie eben, die Briten: skurril, dabei aber sehr unterhaltsam. (Sarah Schierack hat in Durham im Nordosten Englands studiert.)