Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Terrorismus: Terrorangst statt Taylor Swift: „Die Lage war ernst, die Lage ist ernst“

Terrorismus

Terrorangst statt Taylor Swift: „Die Lage war ernst, die Lage ist ernst“

    • |
    • |
    Das ist der 19-jährige IS-Anhänger, der einen Anschlag am Rande der Taylor-Swift-Konzerte in Wien geplant haben soll. Das österreichische Innenministerium veröffentlichte dieses Foto bei einem Pressetermin.
    Das ist der 19-jährige IS-Anhänger, der einen Anschlag am Rande der Taylor-Swift-Konzerte in Wien geplant haben soll. Das österreichische Innenministerium veröffentlichte dieses Foto bei einem Pressetermin. Foto: Roland Schlager, APA/dpa

    Es hätten drei Tage mit drei Mega-Events in Folge werden sollen. Ganz Wien war darauf vorbereitet. Hunderttausende Fans von Taylor Swift sind in Österreichs Hauptstadt, viele sind von weither gekommen, nicht wenige freuten sich seit Monaten, wenn nicht Jahren auf einen dieser Konzertabende. In unzähligen Foren sind nun Geschichten darüber zu lesen. Von einer deutschen Familie etwa, die extra aus Kalifornien angereist ist, weil sie für die Tochter nur Karten für das Konzert in Wien ergattern konnten. Die Tochter sei seit zehn Jahren treuester Fan und habe ein Jahr lang auf das Konzert hingearbeitet, erzählt die Mutter. Die Familie habe ihren ganzen Europatrip um das Konzert geplant und „tausende Euros für völlig überteuerte Hotels in Wien“ ausgegeben.

    Für die „Swifties“, wie die Fans des US-Popstars genannt werden, ist die Absage der drei Konzerte am Mittwochabend – Swift hätte am Donnerstag, Freitag und Samstag mit ihrer imposanten „Eras“-Show im Ernst-Happel-Stadion auftreten sollen – eine Riesenenttäuschung. Doch die Trauer um die verpasste Chance, ihr Idol zu sehen, weicht schnell dem Gefühl der Erleichterung: Die Swift-Fans sind wohl einem islamistischen Attentat entgangen. Die Polizei, die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und weitere Spezialeinheiten hätten ein Blutbad verhindert, sagt am Donnerstagmittag Österreichs Innenminister Gerhard Karner vor der versammelten Presse. Mindestens zwei Jugendliche – beide sind österreichische Staatsbürger – hätten geplant, bei einem der Konzerte ein Massaker zu verüben, nun seien beide in Haft. Die unmittelbare Bedrohung sei zwar gebannt – doch die Gefahr sei weiterhin hoch. Oder wie Karner es ausdrückt: „Die Lage war ernst, die Lage ist ernst.“

    Bei den Wienern kommen Erinnerungen an das Attentat eines IS-Anhängers im Jahr 2020 hoch

    Die Stimmung in Wien ist aufgeheizt, nervös, die Sicherheitslage scheint unklar. Bei vielen Wienerinnen und Wienern kommen Erinnerungen hoch, an jenen Abend des 2. November 2020, als ein Islamist in der Innenstadt um sich schoss, vier Menschen tötete und Dutzende schwer verletzte. Er war ein Sympathisant der Terror-Organisation „Islamischer Staat“. Dieses Mal, so viel steht fest, nahm der Staatsschutz anders als vor vier Jahren Warnungen aus dem Ausland ernst – und handelte rechtzeitig.

    Am Mittwochvormittag machen Nachrichten und Bilder aus dem kleinen niederösterreichischen Ort Ternitz, der zum Bezirk Neunkirchen südlich von Wien gehört, die Runde. Spezialeinheiten der Polizei haben dort ganze Häuserblocks abgeriegelt und evakuiert, es bestehe der Verdacht einer Gefährdung durch Sprengstoff, sagt gegen Mittag ein Sprecher des Landespolizeikommandos Niederösterreich. Die Hintergründe des Einsatzes bleiben den ganzen Tag über im Unklaren. Erst nach und nach dringt an die Öffentlichkeit, wen das riesige Polizeiaufgebot in dem sonst so verschlafenen Ort im Visier hat.

    Schon am Morgen haben die Spezialkräfte einen 19-Jährigen verhaftet. In seiner Wohnung finden sie Chemikalien, genauer gesagt zwölfprozentiges Wasserstoffperoxid, das Ausgangsmaterial für Sprengstoff, von dem die Beamten auch eine fertiggestellte Menge sicherstellen. Die Polizisten entdecken Sprengvorrichtungen, Zünder, Kabel und weiteres technisches Zubehör. Dazu mehrere Macheten und Messer sowie 21.000 Euro Falschgeld – und ein voll funktionsfähiges Blaulicht mit einer Art Martinshorn, wie es die Polizei verwendet. Wie sich später herausstellt, hat der 19-jährige, dessen Eltern aus Mazedonien stammen sollen, das Blaulicht zuvor an einem Auto getestet. Der Plan, sagt Österreichs oberster Verfassungsschützer Omar Haijawi-Pirchner, sei offenbar gewesen, sich mit dem Blaulicht Zugang zum Tatort zu verschaffen – oder von diesem nach begangener Tat zu flüchten. Der junge Mann sei dem Verfassungsschutz seit einiger Zeit bekannt gewesen, sagt Haijawi-Pirchner. Den entscheidenden Hinweis auf die Bedrohungslage, das gibt auch der DSN-Direktor zu, sei allerdings von einem anderen Geheimdienst gekommen. US-Behörden haben dem Vernehmen nach die Österreicher informiert.

    Am Mittwoch fanden Spezialkräfte in der Wohnung eines 19-Jährigen  im niederösterreichischen Ort Ternitz unter anderem Sprengstoff und Waffen.
    Am Mittwoch fanden Spezialkräfte in der Wohnung eines 19-Jährigen im niederösterreichischen Ort Ternitz unter anderem Sprengstoff und Waffen. Foto: Alex Halada, APA/dpa

    Am Mittwochabend, während der Großeinsatz in Ternitz noch läuft, nehmen Polizisten in Wien einen weiteren Jugendlichen fest. Er ist 17 Jahre alt, soll einen türkisch-kroatischen Hintergrund haben – und er arbeitet seit Kurzem für ein Unternehmen, das für die Taylor-Swift-Events Dienstleister des Konzertveranstalters Barracuda Music ist. Verhaftet wird er direkt vor dem Ernst-Happel-Stadion. Wie der 19-Jährige sei auch bei ihm in letzter Zeit eine „klare soziale Veränderung eingetreten“, wie es Haijawi-Pirchner ausdrückt. Er habe gerade erst mit seiner Freundin Schluss gemacht.

    Der Hauptverdächtige soll den Terroranschlag seit Juli vorbereitet haben

    Der Hauptverdächtige wiederum habe seinen Job gekündigt mit den Worten, „noch etwas Großes“ vorzuhaben. Seit Juli soll er den Terroranschlag vorbereitet haben. In einem Video, das er ins Internet stellt und später wieder löscht, schwört er dem Anführer des Islamischen Staats die Treue, auf seinem Handy finden die Beamten umfangreiches IS-Propagandamaterial. Im Lauf seiner Vernehmung habe er schließlich vollumfänglich gestanden, heißt es: Er habe vorgehabt, vor dem Stadion eine Bombe zu zünden oder mit der Machete zahlreiche Menschen zu töten. „Beide Optionen“ habe er in Betracht gezogen, sagt Haijawi-Pirchner. Auch eine dritte Person, ein 15-Jähriger mit türkischem Hintergrund, sei „polizeilich angehalten“ worden – ermittelt werde jetzt, ob es sich um einen Mitwisser oder Unterstützer der anderen beiden handle. Als tatverdächtig gilt er jedenfalls aktuell nicht. 

    Geht es um eine Gruppe? Um ein loses Netzwerk? Seit wann wussten die Behörden über die Pläne der Jugendlichen Bescheid? Zahlreiche Fragen beschäftigen nun die Ermittlungsbehörden – und, nur wenige Wochen vor der Nationalratswahl am 29. September, natürlich auch die Politik. Die oppositionellen Sozialdemokraten verlangen die sofortige Einberufung des nationalen Sicherheitsrats, die Österreicherinnen und Österreicher seien „verunsichert, weil nicht klar ist, ob weiterhin Gefahr besteht und wie groß diese ist“, schreibt SPÖ-Chef Andreas Babler auf der Plattform X. Die Regierung müsse für Transparenz sorgen. Ähnlich die liberalen Neos: Sie fordern eine sofortige Lagebesprechung im Kanzleramt, Parteichefin Beate Meinl-Reisinger sieht einen enormen Image-Schaden für Wien und für Österreich: „Überall können Veranstalter und Sicherheitsbehörden Konzerte durchführen. Nur bei uns nicht? Sind wir dermaßen herabgewirtschaftet?“

    Auch in London, der letzten Station von Taylor Swift auf ihrer Europa-Tour, wird bereits intensiv über die Sicherheitslage diskutiert. Und was bedeutet der Wiener Vorfall für die restlichen acht Konzerte von Adele in München? Die nächsten beiden finden an diesem Freitag und am Samstag statt. Eine Anfrage unserer Redaktion bei der zuständigen Konzertagentur Leutgeb Entertainment bleibt unbeantwortet. Der für die Welttour zuständige Veranstalter Live Nation teilt auf Anfrage mit, man stehe in engem Kontakt mit den Sicherheitsbehörden und nehme deren Empfehlungen ernst. „Alle Fans können davon ausgehen, dass die Sicherheit der Besucher, Mitarbeiter und Künstler stets Vorrang hat“, so Live Nation. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagt unserer Redaktion, hinsichtlich der Adele-Konzerte „liegen uns derzeit keine konkreten Gefährdungshinweise vor“. Die abstrakte Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus sei aber weiterhin sehr hoch. „Unsere Polizeipräsidien sind sensibilisiert, die Schutzmaßnahmen für Einrichtungen und Veranstaltungen engmaschig zu überprüfen und erforderlichenfalls zu erhöhen. Für Großveranstaltungen erarbeitet die Polizei zusammen mit den Veranstaltern und allen beteiligten Behörden umfangreiche Sicherheitskonzepte.“

    Der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bei einer Pressekonferenz zu den aktuellen Erkenntnissen nach der Festnahme der Terrorverdächtigen.
    Der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bei einer Pressekonferenz zu den aktuellen Erkenntnissen nach der Festnahme der Terrorverdächtigen. Foto: Alex Halada, APA/dpa

    In Wien bleiben der Innenminister und seine Beamten Antworten auf die genauen Umstände der Ermittlungsarbeit wie auch der plötzlichen Absage der Konzerte zunächst schuldig. Ja, es habe Kontakt zu den Veranstaltern gegeben, so Karner und Haijawi-Pirchner. Welche Informationen über die Gefährdungslage ausgetauscht wurden, wollten der Innenminister und der DSN-Chef allerdings nicht preisgeben. „Wir haben das Menschenmögliche gemacht als Polizei, dass diese Veranstaltung durchgeführt werden kann“, sagt Franz Ruf, der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit. Die Entscheidung, die Konzerte abzusagen, habe allein der Veranstalter getroffen. Auch die Frage, ob und wie die Festgenommenen im IS verankert sind, konnte oder wollten die Beamten nicht beantworten. Dass die beiden Jugendlichen tatsächlich Teil der Strukturen der IS-Terroristen waren, bezweifeln indes US-Medien. TV-Sender wie CBS oder ABC News berichten über US-Ermittler, die nicht davon ausgehen, dass IS-Kader die geplante Aktion in Wien koordiniert hätten. DSN-Chef Haijawi-Pirchner spricht dagegen von zahlreichen Interaktionen und einem Datenaustausch auf den Mobiltelefonen der Jugendlichen.

    Eine Expertin sagt: Das könnte ein möglicher Auftakt einer neuen Welle islamistischen Terrors in Europa sein

    Das Zusammentreffen des Krieges im Nahen Osten mit neuen Formen sozialer Medien bei gleichzeitigem Fortbestehen einer „dschihadistischen Subkultur“ – das seien die Gründe für die erneute Zunahme von Radikalisierung unter Jugendlichen, sagt Daniela Pisoiu. Die Politikwissenschaftlerin forscht am Austrian Institute for International Affairs (OIIP) zu Extremismus, Radikalisierung und Islamismus. Nicht nur die Fähigkeiten der IS-Rekrutierer, auch die Technik in sozialen Medien würden immer ausgefeilter, sagt sie und verweist auf den speziellen Algorithmus, mit dem die umstrittene Plattform Tiktok arbeitet.

    Dieser setzt den Nutzern immer rascher das vor, was sie besonders interessiert – im Falle der Jugendlichen eben Bilder des Leids aus Palästina. Inzwischen würden Terroristen auch mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Und: „Egal, welchen Status die angesprochenen Jugendlichen haben – was die Mitgliedschaft in extremistischen Gruppen immer anbietet, ist eine Erhöhung, ein gesteigerter Status.“ Für die Jugendlichen bedeute der Nahost-Konflikt eine existenzielle Frage, es gehe um Leben oder Tod. „Das lässt alles andere, egal ob Job, Familie oder Beziehungen, unwichtig erscheinen.“ Pisoiu hält die aktuellen Fälle durchaus für den möglichen Auftakt einer neuen Welle islamistischen Terrors in Europa – getragen von einer neuen Generation.

    Am Abend kommen Tausende Fans von Taylor Swift in der Wiener Innenstadt zusammen

    Das vereitelte Attentat dient nun der ÖVP von Kanzler Karl Nehammer und seinem Innenminister Karner als Beweis für den erfolgreichen Umbau des österreichischen Verfassungsschutzes. Die Vorgängerbehörde des DSN, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), sei von seinem Vorgänger, dem jetzigen FPÖ-Spitzenkandidaten Herbert Kickl, „zertrümmert“ worden, wird Karner am Donnerstag nicht müde zu betonen. Nun klappe die Vernetzung mit internationalen Partnerdiensten wieder. Dass es Karner auch um den ÖVP-Wahlkampf geht, zeigt die Tatsache, dass er die Messerattacke von Southport mit drei toten Kindern in den Zusammenhang mit islamistischen Anschlägen stellt – obwohl die Motive des dortigen Attentäters nach wie vor unklar sind und die britischen Ermittler einen terroristischen Hintergrund verneinen. Am Nachmittag spricht Kanzler Nehammer den traurigen „Swifties“ sein Mitgefühl aus, lobt die Arbeit des neu aufgebauten DSN – und spricht von einem „Selbstmordanschlag“, den der Haupttäter mit zwei Mittätern durchführen habe wollen.

    Trost gibt es nicht nur von Politikern oder sogar den Österreichischen Bundesbahnen, die allen angereisten Fans mit Ticket die Fahrkarten rückerstatten. Am Abend lassen sich Tausende Swift-Fans nicht davon abbringen, in der Wiener Innenstadt zusammenzukommen. Auf zahlreichen Plätzen singen die meist jungen Anhänger Lieder ihres Idols, eine evangelische Kirche öffnet eigens ihre Pforten und spielt drinnen Swift-Songs. Die klare Botschaft dabei: Wir alle zusammen sind stärker als der Hass. (mit anf und klu)

    Diskutieren Sie mit
    6 Kommentare
    Thomas Keller

    Auf einem Jugendwerkhof hätten die geneigten Kids keine Zeit mehr für Dummheiten gehabt. Aber ich denke auch in AT haften Eltern für ihre Kinder.

    Jochen Hoeflein

    Gegen Hassprediger und erkannte IS Anhänger hilft am Ende nur sie auf Dauer weg zu sperren oder sie in ihre geliebte "kulturelle" Heimat zu deportieren. Unabhängig vom Alter sind diese Leute nicht umerziehbar- jede Bemühung hierzu umsonst. Keine Gnade für IS Anhänger unabhängig von ihrer Nationalität.

    |
    Walter Koenig

    Gilt das auch für Unterstützer des Kriegsverbrechers Putin, Herr Höflein?

    Marianne Böhm

    Haben sie den Artikel gelesen.. hier geht es nicht um Putin, sondern um den islamistischen Terror, der nicht weniger schlimm ist und uns genauso alle treffen kann. Es ist keine Frage sondern eine Feststellung, bitte keine Antwort...!

    Thomas Keller

    Ich denke auch in AT gibt es ein Führungszeugnis das beim Arbeitgeber vorgelegt werden muss. Da kann man den Kids schon mal viel Erfolg auf dem weiterem Lebensweg wünschen. Ein Ladendiebstahl oder Cannabisbesitz sind schon etwas anderes als sich den Rattenfängern anzuschliessen. Auch haben die Eltern wohl stark versagt.

    Jochen Hoeflein

    Sie verwechseln hier Äpfel mit Birnen. Geistige Unterstützer Putins bei uns planen keine Terroranschläge planen gegen Institutionen oder Unbeteiligte. Hier geht es nicht um den UA Krieg, sondern zugereiste "Flüchtlinge" die sich dem IS anschliessen wollen und durch einschlägige Taten auffallen wollen. Werden von allen Mächten bekämpft ob USA, Ru oder arab Staaten mit wenigen Ausnahmen.

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden