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Tennislegende: Verspottet, aber nicht verachtet: Boris Becker ist der Tollpatsch der Nation

Tennislegende

Verspottet, aber nicht verachtet: Boris Becker ist der Tollpatsch der Nation

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    Ist jetzt auf Bußgang: Ex-Tennis-Profi Boris Becker, hier mit seiner Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro und Sohn Noah in London.
    Ist jetzt auf Bußgang: Ex-Tennis-Profi Boris Becker, hier mit seiner Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro und Sohn Noah in London. Foto: Tayfun Salci, Zuma Press Wire/dpa

    Eigentlich war mit der bloßen Choreografie dieses Boris-Becker-Brimboriums schon alles gesagt, was man in achteinhalb Stunden Sat.1-Programm an einem Dienstagabend über Boris Becker überhaupt hätte sagen können. Zur Primetime ein Exklusivinterview: Fünf Tage nach seiner vorzeitigen Haftentlassung in London äußerte sich der 55-Jährige erstmals ausführlich zu seiner Verurteilung wegen Tricksereien in einem Insolvenzverfahren und seiner Zeit hinter Gittern.

    Wer aus unerfindlichen Gründen nicht mitbekommen hat, wie Becker überhaupt in diesem TV-Beichtstuhl in München-Unterföhring landete, sah anschließend in knackigen 60 Minuten eine Affärenparade, Boris Becker: Vom Helden zum Häftling. Drei Verlobungen, zwei Ehen, vier Kinder, unzählige Fettnäpfchen, am Ende null Geld. Es war dann schon Mitternacht, als sich auf dem Bildschirm ein 17-jähriger Rotschopf aus der deutschen Provinz per Ass zum jüngsten Wimbledon-Sieger aller Zeiten schlug.

    Die Beichte, der Fall, der Triumph. In dieser Reihenfolge – Boris Beckers sportliches Vermächtnis, eingemottet im Nachtprogramm zwischen einer Naturdoku über Albanien und den Sexy Sportclips.

    Boris Becker: Ein Mann per Du mit dem Boulevard

    Beckers Interview verfolgten im Schnitt nur 1,55 Millionen Menschen. Fast dreimal so viele beobachteten dann doch lieber Horst Lichter dabei, wie er im ZDF alten Trödel an schillernde Antiquitätenhändler vermittelte. Einen Quotenhit landete Sat.1 also nicht, aber die Gazetten waren natürlich voll von Becker: Die britische Sun schreibt von „Becker’s Battle“, von Beckers Kampf. Der selbst nicht immer ganz im Windschatten fahrende Ex-Radsport-Profi Jan Ullrich fühlt „mit Boris total mit, er macht gerade die schwerste Zeit seines Lebens durch“. Die Bild titelt zuverlässig: „Boris hatte im Knast TODES-Angst.“ 

    Boris. Ein Mann per Du mit dem Boulevard. Einmal mehr weinte, bereute, dankte und gelobte er in aller Öffentlichkeit Besserung. Ist das der Anfang eines erneuten Comebacks?

    „Ich war in vielerlei Hinsicht positiv überrascht“, sagt Jo Groebel, einer der bekanntesten Medienpsychologen Deutschlands. „Die Tendenz ist immer zu sagen: Wer im Licht der Öffentlichkeit steht, der kann überhaupt nicht mehr authentisch sein. Aber das war der echte Becker.“

    Zur Öffentlichkeit hatte Becker über die Jahre eine Hassliebe entwickelt. Sie hat ihn reich gemacht und gleichzeitig zu einer tragischen Figur, weil sie eben nicht nur seinen Aufstieg, sondern auch seinen Niedergang begleitete. Er habe in Deutschland seine „Privatheit völlig verloren“, sagte Becker einmal. In Großbritannien blieb er der ehrenhafte TV-Experte bei der BBC. In Deutschland dagegen wurde er vom Wimbledon-Star zur Witzfigur. 

    Becker wurde bemitleidet und verspottet, aber nicht verachtet. Er blieb "das Bobbele"

    Er gestand, seine Tochter Anna nicht in einer Besenkammer, sondern „auf der Treppe zwischen zwei Toiletten“ gezeugt zu haben. Er zwängte sich in lächerliche Kostüme, um seine Privatfehde mit Comedian Oliver Pocher in einem Gladiatorenkampf auf der Mattscheibe auszutragen. Er wurde „Sonderattaché für Sport und kulturelle Angelegenheiten in der Europäischen Union“ für die Zentralafrikanische Republik und machte selbstironisch Werbung für ein Kreditvergleichsportal.

    Und im Gegensatz zu Fußballstars wie Franz Beckenbauer oder Uli Hoeneß verziehen ihm die Deutschen das alles. Becker wurde bemitleidet und verspottet, aber nicht verachtet. Er blieb „das Bobbele“. „Becker dient vielen als Projektionsfläche. Er war mal ein strahlender Einzel-Held, international bekannt, der uns Deutsche stolz machen konnte. Und anders als bei Beckenbauer oder Hoeneß konnte man ihm nie attestieren, dass das alles nur aus Kalkül geschieht“, sagt Medienexperte Groebel. Becker entspreche einem Bild, das man eigentlich nicht mit einem Superstar verbindet: das des Tollpatsches. „Da kann man sich als Kleinbürger gut reinfinden.“

    Beckers Leben soll jetzt selbstbestimmt und schuldenfrei sein. Passt das zusammen?

    Kurz bevor Becker Ende April in London offiziell zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, sagte sein Anwalt Jonathan Laidlow im Schlussplädoyer, sein Mandant sei „hoffnungslos mit Geld“ gewesen. Becker stand da als Mann, der einmal exzellent einen Ball über ein Netz schlagen konnte, aber keine Ahnung von Geschäften hatte – man mag das jetzt glauben oder nicht. Becker saß 231 Tage ab, kam nun wegen einer Sonderregelung für straffällige Ausländer frei und sagt: „Natürlich war ich schuldig. Ich habe Fehler gemacht, den falschen Leuten zugehört.“

    Diese Zeit soll jetzt vorbei sein. Becker will, so umschreibt er das am Ende seines zweistündigen Sat.1-Gesprächs, den Kreis seiner Gefolgsleute sorgfältiger auswählen, mit seiner Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro wohl auswandern, raus aus Deutschland, sein Leben soll selbstbestimmt und schuldenfrei sein. Die Frage ist nur, ob sich das nicht gegenseitig ausschließt. 

    Becker kommerzialisiert sein Scheitern. Mehr als eine halbe Million Euro soll er für seinen TV-Auftritt bekommen haben, schreibt die Sun. Der Streamingdienst Apple TV+ prahlt mit „drei Jahren exklusivem Zugang“ zu Becker und hat bereits eine zweiteilige Serie in der Pipeline. Das ein oder andere Buch wird wohl auch geschrieben werden. „Was bleibt ihm anderes übrig?“, sagt Groebel. Als Psychologe weiß er: „Menschen haben in sich bestimmte Persönlichkeitstendenzen, die bleiben. Becker wird immer Interesse an öffentlicher Anerkennung haben. Da geht es nicht nur zwingend um Geld, sondern auch darum, für sich selbst Respekt und Würde herzustellen. Das ist ihm mit dem Interview sicherlich gelungen.“ Die große Becker-Show, sie ist wohl noch nicht zu Ende.

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