Vielleicht sollte man als "Tatort"-Kritiker nicht in den dazugehörigen Pressemappen schmökern, bevor man sich den Film ansieht. Denn diese Pressemappen können einem so schwer im Magen liegen wie ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Man liest also zu "Die Blicke der Anderen" (ARD, 20.15 Uhr), dass es sich nicht nur um ein "Highlight aus dem Programm" handelt, sondern um den "Tatort" zur ARD-Themenwoche "Wir gesucht! – Was hält uns zusammen?". Das lässt im Kritikerhirn Blaulichter aufblitzen: Haben Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) weniger einen Fall zu lösen, was ihre sonntägliche Pflicht wäre, denn ein Gesellschaftsproblem, was nicht zu ihrer Aufgabenbeschreibung gehört? Benötigt der Kritiker gar Kirschwasser, um das zu überstehen?
Er schaut lieber die Folge, von der er nun bereits weiß, dass es um Blicke, "die Anderen" und um eine Frau geht, "die von ihrer Umgebung zur Außenseiterin erklärt wird". Dann sieht er einen Mähdrescher, wie er am Rande eines Neubaugebiets im Breisgau mäht und drescht. Und wie in einem wirklich großen Neubau offensichtlich großes Unglück wohnt. Jedenfalls findet die von der Schwiegertochter ungeliebte Schwiegermutter dort ein blutgetränktes Bett im Schlafzimmer vor, sonst jedoch niemanden. Von ihr stammt auch der Satz, der noch öfters zu hören sein wird: "Sandra isch halt Sandra."
Ist sie besorgt, traumatisiert, eine Täterin? Lisa Hagmeister spielt diese Sandra Vogt eindrucksvoll
Gemeint ist Sandra Vogt (Lisa Hagmeister), deren Mann und jüngster Sohn verschwunden sind. Ihr jugendlicher Sohn kann sie nicht leiden. Tobler und Berg finden sie im Restaurant der Autobahnraststätte Mahlberg Ost. Ist sie besorgt, traumatisiert, eine Täterin? Sie gibt den Ermittlern Rätsel auf. Warum verweigert sie ihnen ihre Hilfe bei der Suche nach Mann und Sohn? Warum sagt sie nicht, was nach der Party passierte, die sie in der Tatnacht besuchte, um erst gegen 7.00 Uhr für nicht einmal eine Stunde wieder in ihren Neubau zurückzukehren? Mag es andere Spuren geben, Sandra Vogt ist das Zentrum der Handlung – und Lisa Hagmeister spielt sie eindrucksvoll.
Verkopft ist "Die Blicke der Anderen" zum Glück nicht, dafür ermüdend spannungsarm und konventionell: Tobler und Berg arbeiten naheliegendste Fragen ab und werfen sich Blicke zu. Neubaugebiet und Kleinstadt werden in abgenutzten Bildern als eng, die Einwohner als abweisend und kleingeistig skizziert – und Vogt eben als Außenseiterin. Warum genau? Ach ja: "Sandra isch halt Sandra." Wahrscheinlich soll dieser plakative "Tatort" die ARD-Themenwochen-Frage "Was hält uns zusammen?" ebenso plakativ beantworten: keine Ausgrenzung, gelingende (Familien-)Beziehungen... Kirschwasser braucht es hier nicht. Aber Kaffee.