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Foto: Montage: AZ
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Sarah Ritschel ist eine von vier "Tatort"-Kritikerinnen und -Kritikern unserer Redaktion.

"Tatort"-Kolumne
31.12.2022

Neuer "Tatort": In Köln zahlt man mit Blutgeld

Von Sarah Ritschel

Schenk und Ballauf ermitteln in einem verschworenen Viertel. Starke Charaktere und ein zeitgemäßes Thema entschädigen für Lähmungserscheinungen im Team.

Feinkosthändler Viktor Raschke hat ein paar besondere Spezialitäten im Angebot. Dem ganzen multikulturellen Viertel zwingt er sie auf. Schutzgelderpressung, Schläge, Wucherkredite. Niemand wagt aufzumucken – erst recht nicht, als eines Nachts ein persisches Restaurant brennt, darin eine verkohlte Leiche gefunden wird.

Es ist das Lokal von Freddy Schenks Tochter Sonja und ihrem syrischen Freund Karim. Der Kommissar (Dietmar Bär) sieht die Familie in Gefahr, ergreift sofort „Schutzmaßnahmen“, wie die neue „Tatort“-Folge aus Köln (Neujahr, ARD, 20.15 Uhr) vieldeutig heißt (Regie: Nina Vukovic, Drehbuch: Paul Salisbury).

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Foto: Martin Valentin Menke, WDR/Bavaria Fiction GmbH
Foto: Martin Valentin Menke, WDR/Bavaria Fiction GmbH

Freddy Schenk (Dietmar Bär) kommt am Tatort an: Das Restaurant seiner Tochter ist ausgebrannt.

Dass Schenk eine Tochter hat, konnten selbst jahrzehntelang treue Krimifans schon mal vergessen: Nathalie Spinell war 1999 zum letzten Mal in dieser Rolle aufgetreten. Stark erzählt, wie Vater und Tochter einander erst nicht über den Weg trauen, Gespräche zu Verhören werden, Heimlichkeiten in Verdacht münden – und am Ende doch die Familienliebe siegt.

Aber natürlich werden echte Kriminaler wieder einmal die Hände vors Gesicht schlagen, würde das große „B-Wort“ (Zitat Max Ballauf alias Klaus J. Behrendt) eine solche Ermittlungskonstellation in der Realität doch niemals erlauben: Klar, Schenk ist befangen.

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Was verheimlicht Frida Schenk (Maira Helene Kellers, vorne) ihrer Mutter Sonja (Natalie Spinell) und ihrem Großvater Freddy (Dietmar Bär)?

Dass er eine gestandene Frau als Tochter hat, noch dazu eine Enkelin im Teenie-Alter, zeigt, wie lange die Kölner Kommissare sich schon ermittelnd die Sonntagabende um die Ohren schlagen. Die Behäbigkeit, die seit einiger Zeit im Team eingetreten ist, vor allem bei Ballauf, wird auch dieser „Tatort“ nicht los. Obwohl die Themen – Ausländerhass, Parallelstrukturen, Verdächtigungen rein aufgrund der Herkunft – kaum gegenwärtiger sein können. 

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Die empathisch gezeichneten Nebenfiguren sind es, die die 90 Minuten tragen. Sie leben im selben Viertel – was hier passiert, dringt nicht nach außen. Sie eint die Angst vor den Schutzgelderpressern Raschke und die Hoffnung, dass ihre bescheidenen Lebensträume sich erfüllen: Da ist die türkische Bäckerin (entschlossen: Günfer Çölgeçen), deren Mann ein Doppelleben führte. Nebenan die Wirtin (wehmütig: Almut Zilcher), die ihre Kneipe nach ihrem Hund benannt hat und vor Falschaussagen nicht zurückschreckt, damit der Dackel eine neue Hüfte bekommt. Und eben der Syrer Karim Farooq (verzweifelt: Timur Isik), der sein eben renoviertes Lokal in Flammen sieht.

Sie alle könnten für die verkohlte Leiche verantwortlich sein. Es handelt sich um Nico, Sohn der Kieztyrannen. Bald stellt sich heraus: Auch er hatte zwei Gesichter. So wie dieser „Tatort“, der an den Lähmungserscheinungen der Ermittler leidet und das Einschalten trotzdem belohnt.

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