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"Tatort"-Kolumne: Neuer "Tatort" aus der Schweiz: Zu viel für einen Abend

"Tatort"-Kolumne

Neuer "Tatort" aus der Schweiz: Zu viel für einen Abend

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    Sarah Ritschel ist eine von vier "Tatort"-Kritikerinnen und -Kritikern unserer Redaktion.
    Sarah Ritschel ist eine von vier "Tatort"-Kritikerinnen und -Kritikern unserer Redaktion. Foto: Montage: AZ

    Singvögel waren in höheren Gesellschaftskreisen einst eine beliebte Delikatesse. Wo Menschen Vögel schießen, schießen die Vögel jetzt zurück. Jedenfalls in den Augen der sechsjährigen Ella (Maura Landert). Für sie kann es nur ihr Kanarienvogel gewesen sein, der ihren Eltern und einem Rennradfahrer Kugeln in die Köpfe jagte. Denn außer Mama, Papa, dem Vogel in seinem Käfig und eben dem Radler war weit und breit niemand zu sehen auf dem Feldweg, auf dem der Dreifachmord geschah.

    Weil der Mörder vielleicht oft der Gärtner, ziemlich sicher aber nie der Kanarienvogel ist, entwickelt sich der neue Schweizer "Tatort" zu einem vollgepackten Fall, dessen Erzählstränge zurückreichen in den Bosnien-Krieg der 90er-Jahre und voraus in eine Zukunft, in der der Himmel den Drohnen statt den Vögeln gehört. 

    "Tatort" aus Zürich: Lieber zwei Folgen statt einer

    Die Episode "Blinder Fleck" (Sonntag, ARD, 20.15 Uhr) ist ein Gemisch aus Kriegsdrama und Science-Fiction, beides aufrüttelnd erzählt, aber leider in der Summe überfrachtet. Zumal nahezu jede und jeder hier auch noch zwei Gesichter hat: der charmant gelockte Vogelbeobachter, der Kriegsverbrecher, der heute in Hightech investiert, und die wettergegerbte Witwe, die sich in den Mörder ihrer Tochter verliebt. Zu viel für einen Sonntagabend.

    Lieber hätten die Drehbuchautorinnen Karin Heberlein und Claudia Pütz mit Regisseur Tobias Ineichen daraus zwei Fälle für die Schweizer Kommissarinnen gemacht. Prognose: Es wären zwei gute geworden. So ist es nur ein durchschnittlicher.

    Bringen die junge Zeugin in Sicherheit: Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher, links), ihre Kollegin Tessa Ott (Carol Schuler) mit Ella Perrier (Maura Landert).
    Bringen die junge Zeugin in Sicherheit: Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher, links), ihre Kollegin Tessa Ott (Carol Schuler) mit Ella Perrier (Maura Landert). Foto: Sava Hlavacek, ARD Degeto/SRF

    Der aber ist reich an Szenen, die einen so schnell nicht mehr loslassen. Etwa, als Tessa Ott (Carol Schuler) am Tatort das Auto der Opfer genauer unter die Lupe nimmt und sich unter dem gelb schimmernden Plisseerock der toten Frau etwas bewegt. Es ist Ella, die sich nach den Schüssen stundenlang zwischen den Beinen der toten Mutter versteckte – und anschließend Kommissarin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) gar nicht mehr loslassen will. Die sonst so kontrollierte Ermittlerin wird von späten Muttergefühlen durchströmt, hat sie doch zu ihrem eigenen Sohn – man konnte seine Existenz in all den "Tatort"-Jahren fast vergessen – ein ziemlich zerrüttetes Verhältnis. Er lebt in den Niederlanden und hat ihr bis heute nicht verziehen, dass sie schon früher den Beruf über die Familie stellte.

    Noch so eine Szene mit Potenzial für die Best-of-"Tatort"-Chronik: die Verfolgungsjagd zwischen Ott und einer bewaffneten Drohne, aufgenommen aus der Flugperspektive. Eine Mörderin ohne Gesicht und Fingerabdruck, bei der aber trotzdem jemand den Finger am Abdruck haben muss. So viel sei verraten: Der Vogel ist es wirklich nicht.

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