Wenn sich „Tatort“-Verantwortliche etwas trauen wollen oder sollen, kommt meist Verqueres oder Verkopftes heraus. Oder es entsteht ein „Tatort“ wie „Der Mörder in mir“ (Sonntag, ARD, 20.15 Uhr). Dessen Ende ist wirklich ungewöhnlich für einen „Tatort“ – einen zumal, wie man ihn nicht unbedingt aus Stuttgart erwartet, wo Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) inzwischen wie ein altes Ehepaar agieren.
Das Aufbrechen des „Tatort“-Formats gelingt mit Lannert und Bootz nur bedingt
Für diesen Mut, mit Sehgewohnheiten zu spielen – Trommelwirbel! –, ein Lob an Niki Stein (Buch und Regie). Stein, muss man wissen, hat bereits so manchen außergewöhnlichen „Tatort“ verantwortet, allen voran die Münchner Folge „Norbert“ von 1999. Andererseits, und nun scheppert die Trommel: Steins Idee, das „Tatort“-Format aufzubrechen, ist halbherzig umgesetzt; seine holzschnittartigen Figuren sind eben das – hölzern. Und im Falle der neuen Kommissaranwärterin Marlene (Julia Dorothee Brunsch), die schon mal mit Knicks abgeht, noch dazu devot. Sogar Anwalt Ben Dellien (Nicholas Reinke) bleibt seltsam blass und lässt einen kalt.
Dellien ist der Täter, das ist vom nächtlich-verregneten Anfang an klar. In einem Moment der Unachtsamkeit überfährt er einen Obdachlosen, der sein Rad am Straßenrad schiebt, plakativ am Ortsschild „Elend“ vorbei. Ein Unfall, den Dellien zu verschleiern sucht. Denn er beging Fahrerflucht und ließ den „Foxy“ genannten Obdachlosen verbluten.
Für Gerichtsmediziner Vogt (Jürgen Hartmann) ist das Mord. Für die hochschwangere Frau von Dellien (eiskalt: Christina Hecke) dagegen Schicksal. Der Obdachlose sei halt „ein armer Hund“ gewesen.
Der "Tatort" ähnelt den Stücken von Ferdinand von Schirach
Und so geht es in diesem „Tatort“ nicht um Spannungsaufbau, sondern um die Frage nach Recht und Gerechtigkeit: Wird Dellien davonkommen oder dem Obdachlosen wenigstens posthum Gerechtigkeit zuteil? Eine Frage, die sich Lannert und Bootz mit reichlich Pathos stellen, und die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Nachdenken bringen soll. Sie sollen sich auch fragen, wie sie selbst gehandelt hätten.
Der Stuttgarter „Tatort“ als Schirach-Stück also – samt der für den ehemaligen Strafverteidiger und Erfolgsschriftsteller typischen, unerwarteten Schlusswendung. Bloß: Was in den (verfilmten) Erzählungen von Ferdinand von Schirach besonders gut als Kammerspiel vor Gericht funktioniert, trägt nicht über 90 Minuten „Tatort“.
Der nämlich buchstabiert die Gerechtigkeitsfrage zu wenig aus, seine Figuren sind nicht mehr als Teile einer Versuchsanordnung. Zudem will er konventionell den Fortgang von Ermittlungen zeigen, wo doch Ermittlern und Zuschauern alles deutlich vor Augen steht. Dramatisch ist das nur manchmal.