Moritz Eisner kann es nicht fassen. „60. Bist du deppert?!“, murmelt er seinem Spiegelbild zu. Dann wird der Jubilar auch schon mit Glückwunschbusserln übersät, die Geburtstagstorte angeschnitten, der Schampus geköpft. Eine rauschende Party bei Moritz (Harald Krassnitzer) daheim, am Ende liegt der Kommissar auf der Couch, „blunzenfett“ und mit der Hand auf Bibis Oberschenkel. Ge bitte, die gehört da nicht hin.
Der mürrische Moritz und die (nach außen hin) coole Bibi (Adele Neuhauser), sie sollen weiter Mordtheorien, Zigaretten und die Lesebrille teilen, aber bitte nicht mehr! Dürften zumindest Zuschauerinnen und Zuschauer denken, die die Wiener Kommissare schätzen gelernt haben als Team, als Freunde mit Narben, deren Einsamkeit sie zwar immer umweht, aber nie den Fall überlagert. Am nächsten Morgen hat Moritz einen Filmriss, was Bibi ziemlich verletzt.
Zu allem Überfluss findet er sich in der Folge „Dein Verlust“ (ARD, 20.15 Uhr, Regie: Katharina Mückstein, Drehbuch: Thomas Christian Eichtinger) bald in einer Knastzelle wieder. Eisner soll den Clubbetreiber Otto Hübner erschossen haben, ein bunter Hund in der Wiener Nachtwelt. Jedenfalls spaziert einer, der aussieht wie der Kommissar, ausgiebig vor der Überwachungskamera auf und ab, die Tatwaffe liegt in dessen Mülltonne. Bibi und Polizeichef Ernstl Rauter (Hubert Kramar) wollen nicht glauben, dass ihr Kollege einen Menschen getötet haben könnte, sie ermitteln gegen die Überzeugung der „Internen“, die sich sogar schon ein schlüssiges Motiv für seine vermeintliche Tat überlegt haben. Was Eisner getrieben haben soll: die Angst um seine Tochter Claudia (Tanja Raunig), die mit ihrem hippen Freund Lukas (Julius Feldmeier) am Tatabend in der Disco des Toten gefeiert hatte.
Eisner pendelt zwischen Rebellion und Panikattacke, Fellner zwischen Verzweiflung und der Pflicht, einen klaren Kopf zu bewahren. Nur sie kann ihren Partner retten, der Schlüssel liegt in einem ihrer alten Fälle.
„Tatort“ aus Wien zeigt Verhältnis von Eisner und Fellner
„Dein Verlust“ ist ein Krimi voll reichlich kurioser Geschehnisse, die aber am Ende tatsächlich schlüssig zusammenfinden. Natürlich gibt es die Wiener Komik – Bibi kennt einen halbseidenen Discobetreiber aus dem Yogakurs, die Verfolgung eines Verdächtigen wirkt bei den in die Jahre gekommenen Kommissaren mittlerweile reichlich geriatrisch. Und wie sie sich gefühlt 25 Mal die Lesebrille hin- und herreichen, ist beste Comedy.
Vor allem aber ist all das eine berührende Nahaufnahme der Kommissare und ihres Verhältnisses zueinander. Eisner verliert im 25. Jahr seiner „Tatort“-Tätigkeit das Vertrauen in seinen Körper. Ihm entgleitet die Kontrolle. Er wolle seine Figur so erzählen, dass sie die Zuschauer berührt, sagt Darsteller Harald Krassnitzer im Begleitmaterial zum Film. Das gelingt ihm – nicht nur in der Szene, als er allein mit der Kamera in einer engen, weiß getünchten Zelle sitzt, Atemnot bekommt, wie gehetzt von bösen Geistern immer wieder stammelt: „Das gibt’s doch nicht …“ Bibi rennt derweil weinend durchs nächtliche Wien. Auf Adele Neuhausers Gesicht spiegeln sich in 90 Minuten so viele Emotionen, wie andere in einer ganzen Schauspielkarriere nicht zeigen können.
Da wird klar: Eisner und Fellner, diese zwei haben niemanden sonst außer sich gegenseitig, und noch nie waren sie mehr aufeinander angewiesen. Das weiß auch der Drahtzieher hinter der ganzen Verschwörung und sagt weise: „Wenn man alle Menschen verliert, die man liebt, ist man verloren.“