Im Laufe der letzten 20 Jahre wurde Axel Milbergs Klaus Borowski vom Choleriker zum freundlichen Ermittler-Flaneur. Als einsamen Wolf und schlauen Fuchs beschrieb ihn ein Kritiker anlässlich seines ersten "Tatort"-Einsatzes am 30. November 2003, und das zumindest ist Borowski geblieben. In seinem vorletzten Fall "Borowski und das unschuldige Kind von Wacken" (ARD, Sonntag, 20.15 Uhr) – Milberg kündigte im März seinen Abschied an –, kämpft dieser Wolfsfuchs erst einmal gegen eine Stechmücke an, die ihm den Platz im Wohnmobil streitig macht.
Ja, der stets erholungsbedürftig aussehende Borowski sucht tatsächlich Erholung, und es ist klar, dass er grandios scheitert. Im Radio läuft auf NDR 1 Welle Nord Paolo Contes "It's wonderful. It's wonderful. It's wonderful. Good luck my baby", doch nichts ist wundervoll. Glück? Hatte das Baby, das tot auf einem Parkplatz bei Kiel in der Nähe von Prostituierten-Wohnwagen gefunden wurde, gewiss nicht in seinem kurzen Leben. "Frühgeburt mit Komplikation", "Gewaltanwendung von außen", stellt die Gerichtsmedizin fest.
Damit beginnt ein "Tatort", der im Gegensatz zu vorangegangenen Murot-Experimenten oder München-Komödien mal wieder klassische Ermittlerarbeit zeigt, sich mal wieder für seine (Neben-)Figuren interessiert und sie gelungen charakterisiert. Und bevor es zu betulich und vorhersehbar wird, hält das Drehbuch von Agnes Pluch ein Drama bereit, das auch nach dem Abspann nachdenklich stimmt.
Der neue Borowski-Fall: eine Art Landkrimi mit hörenswert-kontrastierendem Soundtrack
Die Suche nach der Mutter des Säuglings führt Borowski weg aus seinem Wohnmobil und hin nach Wacken in Schleswig-Holstein, wo gerade das weltbekannte Heavy-Metal-Festival "W:O:A", das Wacken Open Air, aufgebaut wird. Was wollte die junge Frau dort? Ist sie noch dort, ist sie überhaupt noch am Leben? Was Borowski nicht weiß, die Zuschauer allerdings schon seit Minute drei: Sie rennt in Todesangst vor jemandem davon, dann ein Schrei, dann wird sie bewusstlos über ein Feld geschleift.
Borowski und Kollegin Sahin (Almila Bagriacik) stoßen auf Dorfbewohnerinnen und -bewohner, die verdächtig wirken, besonders die, die so durchschnittlich erscheinen. Fast beiläufig dringt Borowski immer tiefer in eine Dorfgemeinschaft vor, in der jeder und jede ein Geheimnis hat. Das "W:O:A" bleibt dabei leider nur Kulisse und steht wie ein Fremdkörper in der Handlung. Eine vertane Chance für diesen "Tatort", der eine Art Landkrimi mit hörenswert-kontrastierendem Soundtrack geworden ist.
Harte Klänge, weiches Herz: Am Ende sieht man Borowski vor der Bühne, mehr Kuschelbär denn Wolf oder Fuchs und endlich angekommen. Anders als in seiner Jugend, in der er sich auf dem Weg zum Love-and-Peace-Festival auf Fehmarn mit seiner Freundin stritt und sie erst Jahrzehnte später, in "Borowski und der Schatten des Mondes", als Skelett erneut vor sich hatte. "God was never on your side" singt Lemmy Kilmister von Motörhead zum Finale. Gott ist abwesend, die Welt ist schlecht – und sie verliert mit Klaus Borowski, das ist gewiss, einen Guten.