Ein Jegliches hat seine Zeit, das gilt natürlich auch für Mordwaffen. In allen Epochen wurde gehauen, gestochen, geschossen, gedrosselt und vergiftet, aber derzeit hat offenbar ein Tatwerkzeug Konjunktur, dem sich die Deutschen besonders verbunden fühlen: das Auto. Vor zwei Wochen kam im Dortmund-„Tatort“ ein moralisch verkommener Jogger unter die Räder. In der aktuellen Bremer Folge „Und immer gewinnt die Nacht“ (ARD, Sonntag, 20.15 Uhr) ist es ein Arzt, der moralisch über jeden Zweifel erhaben scheint, ein Engel im weißen Kittel, der auch da hilft, wo andere lieber die Finger von lassen würden. Mehr Selbstlosigkeit geht kaum. Wer aber fährt so jemanden mit voller Absicht über den Haufen und richtet ihn anschließend extrem übel zu?
Diesen Fragen stellt sich das immer noch recht neue Bremer Kripo-Trio in seinem zweiten Fall. Der pendelt ein wenig zwischen Knast und Palast, zwischen gediegener Unternehmervilla und Hartz-4-Bunker. Einen speziellen Auftritt bekommt der Hafen, der mit gigantischen Rotorblättern vollgestellt scheint, als wolle diese „Tatort“-Folge gleich die Energiewende voranbringen.
Zu den Gegensätzen passt es ganz gut, dass die beiden Kripo-Frauen so schön unterschiedlich besetzt sind: Die hochgewachsene Linda Selb (Luise Wolfram) mit ihrem sehr bürgerlichen Blick auf die Welt ist jederzeit in der Lage, Goethe oder den chilenischen Dichter Pablo Neruda zu zitieren. Sie duelliert sich verbal gerne mal mit ihrer deutlich kleineren Kollegin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer), die nicht nur vor Ehrgeiz brennt, sondern auch die Klugheit der Straße in sich trägt, die weiß, wie es „unten“ zugeht und wie sich das anfühlt, am breiten Ende der sozialen Pyramide zu vegetieren.
Selb und Moormann ergänzen sich gut in ihrer Gegensätzlichkeit
Sie ergänzen sich gut in ihrer Gegensätzlichkeit, beinahe so wie Großbürger Boerne und Kleinbürger Thiel in Münster, allerdings ohne Albernheiten. Der Däne Mads Andersen (Dar Salim) verkörpert in der Dreierkonstellation das Action-Element, das er diesmal nicht so intensiv auslebt. Mit seiner Vorgeschichte als verdeckter Ermittler darf ihn auch ein Hauch von Geheimnis umwehen.
Die Geschichte dreht sich im Grunde um Enttäuschungen, Schuld, Selbstaufopferung und das Gefühl, im falschen Leben festzusitzen. Das klingt bleischwer, ist es aber nicht, denn Regisseur Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“) hat kein Debattenstück gedreht, sondern einen guten, soliden Krimi mit starken Charakteren. Er zeigt in manchmal auch schmerzhaften Bildern, dass solch extrem starke Gefühle wie Liebe und Hass eigentlich zwei Seiten derselben Medaille sind. Aus einer rosa Wolke kann mit einem Mal ein blutiges Gewitter herniederfahren.