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"Tatort"-Kolumne: Der Münster-"Tatort" treibt schon wieder seltsame Blüten

"Tatort"-Kolumne

Der Münster-"Tatort" treibt schon wieder seltsame Blüten

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    Andreas Frei ist einer von vier "Tatort"-Kritikerinnen und -Kritikern unserer Redaktion.
    Andreas Frei ist einer von vier "Tatort"-Kritikerinnen und -Kritikern unserer Redaktion. Foto: Augsburger Allgemeine (Illustration)

    Nicht wundern, ist nur 'ne Fernsehkrimi-Überdosis, da schleicht der Zynismus schon mal ums Haus – und muss dann raus. Also: Was für ein lässiger Mord! Und das nach einer Minute 17. Eine ältere, etwas gebrechliche Dame spaziert an der niederländischen Küste über eine Seebrücke und stupst mit ihrem Gehstock – samt Giftspritze, wie sich später herausstellt – ganz sanft einen am Geländer telefonierenden jungen Mann. Kurz schiebt sich der Wagen eines Süßigkeitenhändlers zwischen Kamera und Opfer, und als er weg ist, schwupps, fehlt der Handy-Mann. Um Sekunden später tot in der Nordsee zu treiben. Und die Lady? Wackelt weiter, zerbricht dann ihren Stock, entsorgt ihn im Mülleimer, legt Lippenstift auf, öffnet ihr strahlendes rotes Haar und schlendert mit einem leichten Lächeln um die Mundwinkel davon. Wie nennt man eigentlich das weibliche Pendant zum Gentleman-Killer?

    Der neue Münster-"Tatort" "Unter Gärtnern" (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD) hat noch ein paar mehr solcher ungewöhnlichen Momente. Den entgeistert in seinem Sessel sitzenden Historiker Professor Ulrich Winer (Hans Uwe Bauer) beispielsweise, nachdem die lässige Killerin Sabine Schmid (wunderbar und viel zu kurz zu sehen: Sibylle Canonica), zu der er augenscheinlich eine besondere Beziehung hatte, selbst tot im Nachbargarten zusammengebrochen ist. Und aus den Lautsprecherboxen klingt das epische "Shine On You Crazy Diamond" von Pink Floyd. Erstaunlich diesmal auch, wie schlüpfrig so mancher Dialog ist und wie viel nackte Haut durchs Bild hüpft oder auf dem Seziertisch liegt. Dann gibt es für Münster-Verhältnisse einen RICHTIGEN Schreckmoment. Und abseits des üblichen Gekalaueres ist es sogar wirklich lustig, wie der Bestattungsdienst erst die tote Mörderin davonschafft und dann auf einer zweiten Bahre zwei dahingeschiedene Eichhörnchen, die nebst der Leiche und einer Ladung Nüssen im Gras lagen.

    Verrückte Typen und mögliche Motive finden sich im neuen Münster-"Tatort" zuhauf

    Wie der Titel der Episode verspricht, hätte man nun Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und Gerichtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) in der Kleingartenkolonie zu Ende ermitteln lassen können. Verrückte Typen und mögliche Motive finden sich da zuhauf. Und Sprüche wie: "Diese Fair-Trade-Spießer wollen doch alle loswerden, die noch Kirschlorbeeren in ihrem Garten haben" oder "Diese Pflanzen-Faschisten waren einfach nur scharf auf Sabines Parzelle, so sieht das aus". Dann finden Boerne und Assistentin "Alberich" (ChrisTine Urspruch), die ihm natürlich zu Recht, aber diesmal schon sehr penetrant die Miese-Sprüche-Kasse unter die Nase hält, auf dem Gelände auch noch ein Skelett. Ein kleines, schrullig-schauriges Kammerspiel hätte Regine Bielefeldt, die Münster-erprobte Drehbuchautorin, daraus machen können.

    Buddeln im Schrebergarten: (von links) Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), Silke Haller (ChrisTine Urspruch) und Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl).
    Buddeln im Schrebergarten: (von links) Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), Silke Haller (ChrisTine Urspruch) und Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl). Foto: Thomas Kost, WDR/Bavaria Fiction GmbH/dpa

    Doch die Lösung des Falls liegt eben nicht in diesem gemütlich-blumigen Ambiente. An der Stelle kippt die Geschichte dann auch, weil sie zu dick aufträgt. Klar, Münster und Übertreibung, anders geht es gar nicht. Es ist nur schade, wenn die Story darunter leidet. Die tote Mörderin wird also mit der Explosion einer Autobombe in Brüssel in Verbindung gebracht, mit verschwundenen Al-Kaida-Terroristen und einem Bombenanschlag in Stockholm. Weil das offensichtlich noch nicht reicht, kommt auch noch die große Politik ins Spiel, und zwar die ganz große.

    Am Ende schlürfen Thiel und Boerne ausgerechnet am niederländischen Strand, direkt vor der Seebrücke aus der Einstiegsszene, gemütlich Cocktails. Zwei Bierchen in einer der Münsteraner Gartenparzellen hätten es auch getan.

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