Das Untergenre "Knast-Krimi" kommt in der Geschichte des Fernsehkrimis auf ungezählte Einträge. Dem "Tatort" ist es ebenfalls nicht fremd, man denke an die Kölner Folge "Franziska", die 2014 erst nach 22 Uhr gesendet werden durfte. Wegen ihrer Brutalität. Brutal geht es auch im Münchner Knast-Krimi "Das Wunderkind" (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD) zu, doch zumeist routiniert. Zu routiniert.
Nachdem die obligatorischen Verdächtigen-Fotos angebracht sind, werfen sich die Münchner Dauerermittler Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr die möglichen Motive für den blutigen Mord in der Gefängnis-Dusche an Gefängnis-Oberschurke Roland Gumbert (Ralph Herforth) etwas gelangweilt zu. Sie haben 18 potenzielle Täter und ihnen fällt ein: Rache, Eifersucht, Rivalität, Drogengeschäfte, korrupte Beamte. Am Ende, wenn sich dieser "Tatort" zu schnell auflöst und jedes Motiv irgendwie zutage tritt, bleibt vor allem ein unerwarteter Gefühlsausbruch im Gedächtnis.
Kommissar Franz Leitmayr nimmt der Fall emotional ziemlich mit
Zur Klärung des Falls sind die Kommissare in einen Raum der JVA (gedreht wurde in der von Landshut) gezogen und befragen einen Verdächtigen nach dem anderen. Bei Dieter Scholz (Carlo Ljubek) explodiert Leitmayr: "Mein Vater hat sich jeden Tag entschuldigt, am nächsten Tag gab's wieder Prügel." Ihn berührt das – mögliche weitere – Schicksal des jungen Ferdinand (eindrucksvoll: Phileas Heyblom).
Dessen Vater Dieter, der sich auf die Manipulation von Fahrgestellnummern versteht, steht kurz vor der Haftentlassung. Nach fünf Jahren sehnt er sich nichts sehnlicher herbei als ein Leben mit seinem Sohn. Der ist bei Pflegeeltern untergekommen, die ihn, das "Wunderkind" am Klavier, nach Kräften fördern – und nicht einsehen, das Sorgerecht wieder abgeben zu müssen. Lauert hinter der Fassade des geläuterten Insassen das Böse? Leitmayr jedenfalls will nicht aus dem Kopf, dass Scholz von seiner Frau wegen Kindesmisshandlung angezeigt worden war. Man glaubte der Drogenabhängigen nicht.
Der neue "Tatort" ist ein Krimi mit zu vielen Personen und Strängen und zu wenig Tiefe
Es ist der Erzählstrang des Familiendramas, der dem hier als klassische Mördersuche angelegten Knast-Krimi-Plot (verfeindete Gangs, verdächtige Beamte) eine andere Dimension hinzufügt. Thomas Stiller (Regie und Drehbuch) verheddert sich aber in einem Krimi mit zu vielen Personen, zu vielen Strängen und zu wenig Tiefe. Da geht hoffentlich noch mal mehr für Batic und Leitmayr, deren Dienstende im nächsten Jahr immer näher rückt.
Es geht hoffentlich auch schauspielerisch noch etwas, in "Das Wunderkind" wirken Nemec und Wachtveitl unterfordert. Selten blitzt auf, wozu sie und ihre Figuren imstande sind. Bei Leitmayr ist es die Szene, die die Erinnerung an seine Kindheit hervorbrechen lässt. Bei Batic das Aufeinandertreffen mit einem Mörder, den er ins Gefängnis brachte und der seitdem aufgehört hat zu sprechen. Wie Batic und der Mörder nebeneinander auf einer Bank sitzen und sich dennoch verstehen, das nimmt man so nur einem wie Batic und seinem Darsteller Nemec ab.