Müssen Senioren und Seniorinnen künftig alle paar Jahre ihren Führerschein erneuern? Untersagt die Europäische Union jungen Autofahrerinnen und Autofahrern bald die nächtliche Heimfahrt? Ein Entwurf aus Brüssel sorgt derzeit für Furore.
Im Zuge der Überarbeitung der alten EU-Führerscheinrichtlinie präsentierte die zuständige Berichterstatterin Karima Delli Anfang dieser Woche ihre Vorschläge im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat den Brüsseler Vorstoß direkt entschieden zurückgewiesen. „Das ist ein massiver Eingriff in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger. Diese Vorschläge sind empörend“, sagte der FDP-Politiker unserer Redaktion. „Wir haben bei den älteren Autofahrern keine signifikanten Unfallzahlen und damit keinen Grund für einen Generalverdacht“, legte Wissing nach. Er könne außerdem überhaupt nicht verstehen, warum jüngere Autofahrer abends von der Straße verbannt werden sollten. Die Pläne Dellis, die den französischen Grünen angehört, sollen ihr zufolge für weniger Tote im Straßenverkehr sorgen. Doch der CDU-Europa-Abgeordnete Jens Gieseke sprach von einem „Verbotsprogramm“ und kündigte „massiven Widerstand“ an. „Das ist ein Jahr vor der Europawahl ein verheerendes Signal an die Bürger.“ Tatsächlich würden die Maßnahmen insbesondere die jüngsten und ältesten Autofahrer in der EU treffen.
So soll es den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, „besondere Vorschriften für Fahranfänger“ festzulegen, „um das Fahren in der Nacht, und zwar von Mitternacht bis sechs Uhr, zu beschränken“, wie es in dem 122 Seiten langen Papier heißt.
Strengere Regelungen fordert die Französin Delli auch für höher Betagte. So sollen häufiger ärztliche Kontrollen oder Maßnahmen wie Auffrischungskurse vorgeschrieben werden können. Um solche Schritte durchzusetzen, wäre der Führerschein für Menschen ab 60 Jahren nur noch sieben Jahre gültig, ab 70 höchstens fünf Jahre und ab 80 Jahren würde er nach zwei Jahren ablaufen.
Neue Führerscheine für schwere Autos?
Ein besonderer Aufreger dürfte für einen Teil der Deutschen das Reizthema Geschwindigkeitsbegrenzung sein. Denn der Entwurf verlangt nach Altersklassen gestaffelte Tempolimits. Demnach wären für Fahranfänger 90 Kilometer pro Stunde als Grenze vorgesehen. Während der SPD-Europaparlamentarier Thomas Rudner solche Begrenzungen als "komplett realitätsfern und in der Praxis schwer umsetzbar" bewertete, kritisierte Jan-Christoph Oetjen, der verkehrspolitische Sprecher der FDP im EU-Parlament, den Vorstoß als "Tempolimit durch die Hintertür". Unter dem Deckmantel der Verkehrssicherheit würden die Grünen "weit über das Ziel hinausschießen".
Einer der vielen umstrittenen Punkte: die Einführung eines gesonderten Führerscheins für schwere Autos. Für alle Führerscheine der Klasse B soll künftig eine Gewichtsgrenze von 1800 Kilogramm gelten. Wer größere Autos bis zu 4250 Kilogramm fahren will, etwa SUVs oder Familienvans, müsste dafür einen zusätzlichen Führerschein machen mit dem Namen B+. Die Fahrerlaubnis für die schweren Pkw dürften Bürgerinnen und Bürger erst ab 21 Jahren erwerben. Es sei paradox, monierte CDU-Politiker Gieseke. "Während wir alle künftig elektrisch fahren sollen und dafür schwere Batterien in die Autos bauen, schafft die Berichterstatterin neue Gewichtsgrenzen."
Bisherige Führerscheine wären von neuen Regeln nicht berührt
In dem Papier ist vermerkt, dass bisherige Führerscheine von den neuen Regeln nicht berührt wären, was wiederum Verwirrung stiftete. Was genau soll mit bereits ausgegebenen Führerscheinen passieren? Die Frage der Umschreibung in das angedachte System B/B+ würde sich spätestens stellen, sobald ein derzeitig gültiger Führerschein erneuert werden muss.
Zwar ist die Zahl der Verkehrstoten in der EU von mehr als 51.000 im Jahr 2001 auf knapp 20.000 im Jahr 2021 deutlich gesunken. Doch das Ziel, die Summe der Todesfälle in jenem Zeitraum um 75 Prozent zu verringern, hat die Gemeinschaft verfehlt, beklagte Delli. Bereits seit Jahren verfolgt die EU im Rahmen der sogenannten "Vision Zero" das Ziel, die Zahl der Menschen, die auf den Straßen sterben, bis 2050 gegen null zu bringen.