Rauch steigt aus dem Krater auf. „Das ist größtenteils Wasserdampf“, beruhigt Lotte von Lignau. Die Deutsche ist eine jener Führerinnen und Führer, die mit kleinen Touristengruppen das Vulkansperrgebiet im Süden der spanischen Kanareninsel La Palma betreten dürfen. Über einen mit Steinen markierten Weg geht es durch eine unberührte Asche- und Lavalandschaft, in der neues Leben erwacht und wieder Bäume sprießen, bis (fast) an den Rand des Vulkantrichters. In dessen Tiefe brodelt es.
Vor zwei Jahren brach hier, im Gebirgszug Cumbre Vieja, auf etwa 1000 Meter Höhe, die Hölle aus. Mitte September öffnete sich plötzlich die Erde und der Berg begann, Feuer, Gestein und Magma zu spucken. Tausende von Menschen mussten Hals über Kopf fliehen, weil sich der Lavastrom ihren Häusern näherte. Wie auch Lotte von Lignau, ihr Mann und die drei Kinder. „Plötzlich riefen die Nachbarn: Der Vulkan ist ausgebrochen“, erinnert sie sich. „Ich konnte es überhaupt nicht fassen.“ Ein Schock, der bis heute nicht vergessen ist. „Die Erdbeben wurden immer stärker, das Grollen des Vulkans war tierisch laut, es kam ohne Pause Asche runter, die Fenster schepperten.“
7000 Menschen mussten wegen dem Vulkanausbruch auf La Palma ihre Häuser verlassen
In aller Windeseile wurden ein paar Sachen zusammengepackt. Dann sprang die Familie ins Auto. „Das alles kam mir vor, wie in einem schlechten Katastrophenfilm“, erzählt von Lignau. „Wir sind dann erst einmal zu Freunden in den Norden der Insel geflüchtet.“
Rund 7000 Menschen, die unterhalb des Vulkangebirges im Südwesten der Insel lebten, mussten ihre Häuser verlassen. Zudem mussten mehrere Tausend Urlauber evakuiert werden. La Palma ist besonders bei Deutschen, Österreichern und Schweizern beliebt. Die Deutschsprachigen sind die größte Gruppe unter den ausländischen Bewohnern und Besuchern der Vulkaninsel.
85 Tage dauerte der Albtraum. Dann, kurz vor Weihnachten, verstummte der Vulkan. Er hatte zehn Prozent der Insellandschaft zerstört. Mehr als 1000 Wohngebäude wurden von der Lava verschlungen. Auch im Ort La Laguna, in dem die 41-jährige von Lignau lebt. „Aber wir haben noch Glück gehabt. Unser Haus blieb verschont. Hätte der Ausbruch noch ein paar Wochen länger gedauert, wäre unser Grundstück auch weg gewesen.“
Dörfer verschwanden unter der Lava, Bananenplantagen wurden vernichtet
Wie durch ein Wunder kamen keine Menschen um. Aber es entstand milliardenschwerer Schaden: Mehrere Dörfer verschwanden unter der Lava. Hunderte Bananenplantagen, neben dem Tourismus die wichtigste Einnahmequelle der Insel, wurden vernichtet.
Schon wenige Tage nach Ende der Eruption rollten Bagger und schweres Räumgerät an, um zu retten, was zu retten ist. Häuser, die dem Lavafluss und Ascheregen standhielten, wurden freigeschaufelt. Neue Straßen wurden durch die haushohe Lavaschicht gefräst. Stellenweise ist der Boden auf den Lavafeldern noch immer heiß, Gase kommen aus dem Boden. Auch am Kraterrand im Vulkangebirge Cumbre Vieja droht noch Gefahr. Man darf sich – aber nur mit Führer – bis zu 200 Meter nähern. „Giftige Gase, hohe Temperaturen, instabiles Gelände“, warnt ein Schild. Die umliegende Vulkanlandschaft ist Sperrgebiet. „Wenn man das nicht abgesperrt hätte, müsste man da die Leute aus dem Krater fischen“, sagt Wanderführerin von Lignau, die mit ihrem Unternehmen „Graja Tours“ Wanderungen durch die Vulkanlandschaft anbietet.
Aber es gehe natürlich auch darum, diese einzigartige Natur zu schützen, die der Vulkan hinterlassen habe. „Die Aschelandschaft muss man sich wie eine schwarze Neuschneedecke vorstellen.“ Eine Landschaft der Kontraste: tiefschwarze Asche, aus der hellgrüne Kiefern sprießen, dazwischen blauer Himmel: „Das ist ein echtes Naturspektakel.“ Die Insel, die unter dem Vulkan viel gelitten habe, sei so immerhin mit einer neuen Attraktion entschädigt worden.
Die 85.000 Inselbewohner, die in den vergangenen 100 Jahren schon mehrere Eruptionen mitmachten, haben gelernt, mit ihren Vulkanen zu leben. Die Vulkanerde gilt als besonders fruchtbar. Lava und Asche werden im Straßen- und Häuserbau verwendet. Auch von Lignau und Ehemann Peter haben dies genutzt, um auf ihrem Grundstück aus Vulkanmaterialien für Urlauber ein Ferienhaus zu bauen.
Jetzt müssen nur noch die Touristen zurückkehren. Erst kam die Corona-Pandemie. Dann verschreckte vor zwei Jahren der Vulkanausbruch die Besucher. Der von Lava umgebene Badeferienort Puerto Naos ist wegen giftiger Gase noch immer nicht bewohnbar. Im vergangenen Jahr kamen knapp 150.000 Urlauber auf die Insel. Dieses Jahr könnten es mehr werden. „Wir haben schwierige Jahre hinter uns“, sagt Lotte von Lignau. „Aber wir sind jetzt guter Dinge, dass der Tourismus wieder Fahrt aufnimmt.“