Vor einiger Zeit fuhr der Münster-"Tatort" in der großartigen Folge "Limbus" zur Hölle, wo strafverschärfend Karnevalsmusik dudelt und die Sünderseelen erst eine Nummer ziehen müssen, bis sie der Bürokraten-Satan nach ganz unten geleitet. Diesmal spielt der Münchner "Polizeiruf 110" mit dem Titel "Little Boxes" (ARD, Sonntag, 20.15 Uhr) in einer wahren Wokeness-Hölle. Hier geht es nicht Münster-like komisch zu, sondern München-like hart und selbstgerecht. Obwohl: Natürlich bietet die Folge auch schöne Momente der Leichtigkeit.
Sympathische neue Kommissarin im Polizeiruf aus München
Das liegt nicht zuletzt an der "Neuen": Nach dem Abschied der viel geliebten Verena Altenberger rückt Johanna Wokalek als Cris Blohm ins Team. Die lakonische Begründung: Sie sei halt länger im Ausland gewesen und kehre jetzt zurück. So kann sie problemlos mit dem alten Kollegen Dennis Eden weiterarbeiten, gespielt vom grundsätzlich wunderbaren Stefan Zinner. Er verkörpert das bajuwarisch-bodenständige und liebenswert humorige Element des Teams – und passt verblüffend gut zu Johanna Wokalek, die sich auf sympathisch-freundliche Art nicht aus der Ruhe bringen lässt und ebenfalls eine gewisse Leichtigkeit verströmt.
Der Fall hingegen ist bleischwer. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität wird so nackt wie tot aufgefunden. Er soll angeblich eine Frau vergewaltigt haben. Wurde er dafür bestraft? Die Polizei ermittelt im woken feministischen/antirassistischen/gender- und indentitätsgerechten/antidiskriminierenden Milieu, also da, wo sehr anstrengende Frauen sehr anstrengende Dinge sagen, die jedes Bierzelt zum Schäumen bringen: "Grundsätzlich ist Vorsicht geboten, wenn Hetero-Cis-Männer den Raum betreten." Bei solchen Sätzen muss auch Holms neuer Kollege Otto Ikwuakwu (Bless Amada) schlucken, denn der ist schwarz und eher gewohnt, wegen seiner Hautfarbe, nicht wegen seines Geschlechts diskriminiert zu werden. Er wurde ins Team beordert, weil sich die Münchner Polizei krampfhaft einen Anstrich von Diversität geben will. Mit seiner steifen und geheimnisvollen Art ist er eine gute Ergänzung zum hemdsärmeligen Zinner.
Der Polizeiruf geht auf Höllentrip nach "Wokistan"
Autor Stefan Weigl und Regisseur Dror Zahavi haben den Höllentrip nach "Wokistan" (Dennis Eden) mit viel Lust an der Zuspitzung bis hin zur Karikatur umgesetzt, die manchmal schwer zu ertragen ist. Dass dies dennoch ein ordentlicher Start eines vielversprechenden Teams geworden ist, liegt an den eingewobenen leichteren Momenten – als Eden seinen schwarzen Kollegen zum Tanz mitten im Büro bittet, zum Toleranzsong "Ebony and Ivory". Und dann darf Kommissarin Bohm später auf dem Flur auch noch zeigen, dass sie zu "Smooth Criminal" ganz ordentlich Michael Jackson imitieren kann. So viele tanzende Polizisten sind selten im Sonntagskrimi.