Das handelsübliche „Tatort“-Ermittlungs-Klein-Klein ist die Sache des LKA-Mannes Felix Murot wirklich nicht. Bei ihm muss es entweder das große Shakespeare-Gemeuchel sein wie „Im Schmerz geboren“ oder er ändert gleich den Lauf der Geschichte, indem er Adolf Hitler über den Haufen schießt – so geschehen in einer Traumsequenz der vorletzten Murot-Folge. Jetzt hat er erneut die Möglichkeit, den Ausgang des Zweiten Weltkriegs zu beeinflussen: „Murot und das 1000-jährige Reich“, eine Mischung aus Spionagethriller und Heimatfilm vor dem Hintergrund des dahinsiechenden Nazi-Reichs (ARD, Sonntag, 20.15 Uhr).
Autopanne in der „Tatort“-Provinz
Da werden die Murot-Verächter im Netz wieder stöhnen, denn die Autoren Michael Proehl, Dirk Morgenstern und M. X. Oberg haben sich eine Geschichte ausgedacht, die erneut Krimi-Gewohnheiten ignoriert. Vordergründig geht es um den in Südamerika untergetauchten Nazi-Kriegsverbrecher Hagen von Strelow, der nach Deutschland überstellt wird, um ihm hier den Prozess zu machen. Aber das ist nur ein Vorwand, um eine komplett in der Vergangenheit angesiedelte Story aufzutischen. Sonderermittler Rother (Ulrich Tukur) strandet im Mai 1944 wegen einer Autopanne mit seinem Adjutanten, jenem schnöselig-ehrgeizigen Leutnant von Strelow (Ludwig Simon), in einem winzigen Kaff. Plötzlich stürzt ein englisches Jagdflugzeug ab und wenig später liegen vier tote Feldjäger im Wald. Sie bleiben nicht die einzigen Todesopfer, denn der Pilot von der Insel hatte hochbrisante Unterlagen dabei. In den Händen der deutschen Militärführung würden sie den Lauf der Weltgeschichte ändern. Bei der Jagd nach den verschwundenen Papieren werden die Verhältnisse im Dorf komplett auf den Kopf gestellt und Hagen von Strelow kann ungehemmt seinen mörderischen Fanatismus von der Leine lassen.
Der „Tatort“-Ermittler glaubt nicht an den Endsieg
Dabei kollidiert er immer wieder mit Sonderermittler Rother, der zwar ein gewaltiges NS-Parteiabzeichen spazieren trägt, aber offenkundig nicht mehr zu den Endsieggläubigen zählt. Er betäubt sich abends lieber mit einem Opium-Pfeifchen – eine hübsche Verbeugung der Autoren vor Sherlock Holmes, dem berühmtesten Junkie unter den Detektiven. Diesen Murot-Tatort hat Regisseur M. X. Oberg ebenso liebe- wie stimmungsvoll ausgestattet und für die Dreharbeiten das Freilichtmuseum Hessenpark im Taunus mit Beschlag belegt.
Natürlich dürfen bei einer Murot-Folge skurrile Elemente nicht fehlen. Ulrich Tukur, der im richtigen Leben mit seinen „Rhythmusboys“ als Musiker durch die Lande zieht, singt in der rappelvollen Ortskneipe erst mehrheitsfähig über Hitlers Lieblingsblume, das Edelweiß – um dann umstandslos in ein englisches Spottlied zu verfallen, das so tatsächlich auf der Insel gesungen wurde und dem Nazi-Führungspersonal gewisse Defizite im Schrittbereich andichtet („Hitler has only got one ball...“). Das ist einer dieser schrägen Momente, für die man die Murot-„Tatorte“ aus Wiesbaden lieben muss (oder hassen kann, wie's beliebt). Möge Ulrich Tukur dem „Tatort“ noch lange erhalten bleiben!
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