Eine echte Überraschung stellte die Nachricht nicht dar, ein Schock war sie dennoch für die französische Welt des Kinos und darüber hinaus: Gérard Depardieu wurde seit Montagmorgen in einem Pariser Polizei-Kommissariat verhört. Französischen Medien zufolge ging es um den zweifachen Vorwurf der sexuellen Belästigung am Rande von Dreharbeiten vor wenigen Jahren. Eine Sprecherin seiner Anwaltskanzlei bestätigte entsprechende Berichte.
Eine Klägerin wirft dem Schauspieler sexuelle Übergriffe im Jahr 2014 am Set des Kurzfilms „Le Magicien et les Siamois“ von Jean-Pierre Mocky vor. In einem Interview sagte die Frau, zum damaligen Zeitpunkt 24 Jahre alt, er habe „seine Tatzen überall auf meinen Körper“ gelegt. Eine zweite Klage bezieht sich auf Vorfälle am Set zum Film „Die grünen Fenster“ von Jean Becker 2021. Eine heute 53-jährige Bühnenbildnerin wirft Depardieu vor, er habe anstößige Kommentare gemacht, sie „brutal gepackt“ und ihr „die Taille und den Bauch bis hinauf zu den Brüsten durchgeknetet“.
13 Frauen beschuldigen Depardieu, kritisieren aber auch das „System“
Die Betroffene hat sich auch dem Investigativ-Magazin „Mediapart“ anvertraut, das vor einem Jahr eine umfassende Untersuchung über die Anschuldigungen von 13 Frauen gegen den heute 75-Jährigen veröffentlicht hat. Demnach habe er vor allem junge Schauspielerinnen oder in der Hierarchie schwach gestellte Mitarbeiterinnen, wie Regieassistentinnen oder Kostümbildnerinnen, skrupellos begrabscht und bedrängt, Grunzgeräusche und unflätige Bemerkungen von sich gegeben. Viele sprachen aber auch von einem „System“, das dem mehrfach preisgekrönten Darsteller, der in über 200 Filmen spielte, absolute Narrenfreiheit ermöglichte – die er nutzte. Nur wenige der Frauen wandten sich an die Justiz.
Zu ihnen gehörte die Schauspielerin Charlotte Arnould, die Anzeige wegen zweimaliger Vergewaltigung 2018 in Depardieus Pariser Stadtpalais erstattet hat. Arnould war damals 22 Jahre alt. Die Ermittlungen laufen noch, während jene nach einer Klage der Schauspielerin Hélène Darras, die sich auf mutmaßliche Übergriffe im Jahr 2007 bezogen, wegen Verjährung eingestellt wurden.
Frankreichs Präsident Macron verteidigte Depardieu
Ein Dokumentarfilm über Depardieu mit Aufnahmen von einer Reise nach Nordkorea 2018, wo er eine Übersetzerin heftig bedrängte, Frauen als „große Schlampen“ bezeichnete und sexuelle Bemerkungen über ein reitendes Mädchen machte, sorgte in Frankreich Ende des vergangenen Jahres für einen Aufschrei. Doch wie sehr der Umgang mit der Ikone die französische Filmszene und das Land allgemein spaltete, zeigte die Veröffentlichung mehrerer offener Briefe. Die einen klagten ihn und all jene, die ihn stets gewähren ließen, an; die anderen – darunter seine Kinder, ehemalige Lebensgefährtinnen oder Filmpartnerinnen wie Fanny Ardant – stellten ihn als Opfer einer Medienhetze dar. „Nie und nimmer habe ich eine Frau missbraucht“, verteidigte er sich selbst in einer Stellungnahme. Präsident Emmanuel Macron empörte mit seiner Aussage, er lehne jegliche „Menschenjagd“ ab und Frankreich könne stolz auf Depardieu sein.
Doch der tiefe Fall der einstigen Ikone scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Umstritten war Depardieu bereits aufgrund seiner Alkoholexzesse, der Vorwürfe der Steuerflucht und seiner Freundschaft mit Diktatoren, darunter Russlands Präsident Wladimir Putin, der ihm 2013 die russische Staatsbürgerschaft verlieh. Die Häufung der Vorwürfe der sexuellen Belästigung und Vergewaltigung drohen sein Image nun gänzlich zu zerstören. Er erhält kaum mehr Angebote, das Pariser Wachsfigurenkabinett entfernte seine Figur.
Ob es nach dem Verhör am Montag zu formellen Ermittlungen kommt, stand vorerst noch nicht fest. Nach seiner Befragung habe der 75-Jährige am Montagabend die Wache in Paris wieder verlassen können, sagte sein Anwalt Christian Saint-Palais: „Das Polizeigewahrsam wurde beendet. Er wurde nicht auf der Wache behalten.“