Es war am Mittwoch vor Morgengrauen, als die Ermittler Luigi N. in das Untersuchungsgefängnis von Verbania brachten. N. ist 56 Jahre alt, verheiratet, er hat zwei erwachsene Kinder. Sein Großvater und Vater betrieben bereits die Seilbahn von Stresa am Lago Maggiore hinauf auf den Monte Mottarone. N. ist heute der Inhaber der Betreibergesellschaft Ferrovie del Mottarone. Für die Ermittler ist er einer der drei Verantwortlichen für das Unglück, bei dem am Sonntag 14 Menschen ihr Leben verloren. Dabei war die mit 15 Menschen besetzte Kabine der Bergbahn am Mottarone abgestürzt. Nur ein fünfjähriger Junge aus Israel überlebte schwer verletzt.
N. war am späten Dienstagabend in die Kaserne der Carabinieri von Stresa zur Vernehmung gerufen worden. Die drei Beschuldigten, unter ihnen auch der Verantwortliche für den Seilbahnbetrieb, der 63-jährige Gabriele T., sowie der 51-jährige Enrico P., für Wartung und Instandhaltung verantwortlicher Direktor, waren zunächst als Zeugen vernommen worden. Im Verlauf der Vernehmung, so berichten die Ermittler, belasteten sich die drei Männer selbst.
„Sie haben ihre Verantwortung eingeräumt“, sagte Carabinieri-Kommandant Alberto Cicognani, der zusammen mit Staatsanwältin Olimpia Bossi die Vernehmungen durchführte. „Sie waren sich sicher, dass das Seil niemals reißen würde, und sind deshalb ein Risiko eingegangen, das fatale Folgen hatte“, fügte Cicognani in einem Telefoninterview mit dem Sender Rai 3 hinzu. Das Gesamtbild, das sich aus den Vernehmungen ergeben hatte, sei „schlimm und erschütternd“. Ermittelt wird unter anderem wegen fahrlässiger Tötung.
Zwei fatale Ereignisse kamen an der Seilbahn in Norditalien zusammen
Angesichts des Geständnisses der drei Männer ist das Seilbahnunglück am Mottarone bei jetzigem Erkenntnisstand auf menschliches Versagen zurückzuführen. Zwei entscheidende Ereignisse kamen dabei zusammen. Zum einen riss das Zugseil, das die Kabine hinauf zur Bergstation gezogen hatte. Der Grund dafür ist bislang nicht bekannt. Unter normalen Umständen hätte dann eine Notbremse greifen müssen, die die Kabine am Tragseil fixiert hätte. Stattdessen rutschte die bereits fast in der Bergstation angekommene Kabine mit hoher Geschwindigkeit am Tragseil bergab, löste sich vom Seil und stürzte ab. Die Notbremse schaltete sich nicht ein, da die Verantwortlichen zuvor offenbar eine sogenannte Gabel nicht entfernt hatten, die den Notfallmechanismus für Testfahrten unterbindet.
Italienische Medien zeigten Fotos der Notbremse und der roten, im Normalbetrieb zu entfernenden Gabel. Die Vernehmungen von zehn Mitarbeitern der Seilbahn-Betreibergesellschaft hatten am Dienstag diesen Sachverhalt bestätigt. Der Grund für die wissentliche Blockade des Notbremssystems durch die Verantwortlichen lag den Ermittlern zufolge in technischen Störungen der Anlage, die durch den Einsatz der Gabel behoben werden konnten. Dadurch wurde aber das Notbremssystem deaktiviert.
Die Störungen an der Seilbahn am Lago Maggiore gab es wohl seit Wochen
Zeugen zufolge war die Anlage am Tag vor dem Unglück etwa eine halbe Stunde außer Betrieb. Wie es heißt, hätten die technischen Störungen bereits seit mehreren Wochen bestanden. Offenbar entschieden die Verantwortlichen dann, den Betrieb nach monatelanger Lockdown-Pause trotz dieser Störungen und ohne das Funktionieren der Notbremse aufzunehmen. „Man wollte die Seilbahn in Betrieb halten, auch als sich das Problem offenbarte“, sagte Carabinieri-Kommandant Cicognani.
Staatsanwältin Olimpia Bossi erklärte, dass diese Entscheidung getroffen wurde, „um ständiges schlechtes Funktionieren und Stillstand der Seilbahn“ zu vermeiden. Es seien Reparaturversuche unternommen worden, ohne Erfolg. „Das System hatte offensichtliche Mängel, weshalb ein größerer Eingriff notwendig gewesen wäre, der die Anlage zum Stillstand gebracht hätte“, sagte die Staatsanwältin. Mit anderen Worten: Die Verantwortlichen wollten nach den auch für Seilbahnen geltenden Corona-Beschränkungen nicht den Ausfall weiterer Einnahmen riskieren und nahmen in der falschen Annahme, dass das Zugseil niemals reißen würde, den Tod der 14 Menschen fahrlässig in Kauf.
Aus Stresa heißt es, Seilbahn-Inhaber N. sei wegen der Todesopfer am Boden zerstört, sehe sich aber auch als Opfer einer Medien-Kampagne. Die Turiner Zeitung La Stampa schrieb von den „zwei Gesichtern Luigi N.s“. Er habe alles gewusst, wollte aber „nicht auf die Einnahmen eines schönen Sonntages mit gutem Wetter verzichten“. Nach anderen Berichten soll N. bereits vor Jahren nicht genügend zur Instandhaltung der Anlage unternommen haben und musste den Betrieb der Seilbahn deshalb zwischenzeitlich abgeben.
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