„Du heißt Gérard Depardieu. Gegen dich läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigungen und sexuellen Aggressionen. Du widerst einen an, aber das Schlimmste ist, dass die Französinnen und Franzosen immer noch auf deiner Seite sind.“ Dies schrieb die französische Regisseurin Andréa Bescond, die sich im Kampf gegen sexuelle Belästigung und Sexismus in der Kinoszene engagiert, im vergangenen November im sozialen Netzwerk Instagram. Das investigative Online-Magazin Mediapart hat ihre Worte nun in einer umfassenden Recherche zum äußerst fragwürdigen Umgang des französischen Star-Schauspielers mit Frauen aufgegriffen. 13 Schauspielerinnen, Statistinnen, Maskenbildnerinnen und Technikerinnen berichten darin über etliche Fehltritte und anzügliche Bemerkungen Depardieus während Dreharbeiten zu elf Filmen zwischen 2004 und 2011.
Demnach betatschte er sie oftmals vor aller Augen, legte seine Hand auf den Po oder die Oberschenkel der meist sehr jungen Frauen oder ließ sie in ihre Slips wandern. Er machte Grunzgeräusche, befragte sie nach ihren sexuellen Vorlieben oder bot ihnen an, sie „mit in meine Loge zu nehmen“. Wer sich am Filmset beschwerte, bekam meist zu hören: „Ach komm schon, das ist eben Gérard.“ Neun der 20 von Mediapart befragten Regisseure und Produzenten der betroffenen Filme reagierten nicht, zehn von ihnen gaben an, sich nicht an Beschwerden oder mögliches Fehlverhalten von „Gégé“, wie Depardieus Name von Bewunderern liebevoll abgekürzt wird, zu erinnern.
Seit 2020 läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Depardieu
Über keine andere Person habe sie so viele Klagen erhalten wie über den heute 74-Jährigen, bekräftigte hingegen Andréa Bescond. Seit 2020 läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Depardieu, da ihn die Schauspielerin Charlotte Arnould beschuldigt, sie im Jahr 2018 in seinem Pariser Stadtpalais mehrmals vergewaltigt und sexuell belästigt zu haben. Der Schauspieler selbst streitet alle Vorwürfe ab, auch die nun veröffentlichten. Bei einer Befragung durch die Polizei stellte er sich als Gentleman dar, der „den Frauen gerne den Hof macht“, aber „gegen jede Form von Gewalt, ob verbal, physisch oder psychologisch“ sei.
Ihrer Redaktion sei es darum gegangen, die „Banalisierung“ von Depardieus frauenverachtenden Verhalten aufzudecken, sagt Marine Turchi, Journalistin bei Mediapart. Viele mit ihm befreundete Berühmtheiten, von Catherine Deneuve bis Fanny Ardant, verteidigen ihn. Ob er betrunken Roller fährt oder in ein Flugzeug pinkelt – Depardieus Anhänger sehen darin die verzeihenswürdigen Fauxpas eines ewigen „Enfant terrible“. Lange schwärmte er für Präsident Wladimir Putin, der ihm die russische Staatsangehörigkeit verlieh. Zu Jahresbeginn sagte er allerdings, er liebe die russische Kultur, verurteilte den Krieg in der Ukraine jedoch als „verrückten und inakzeptablen Exzess“.
Einige der betroffenen Frauen äußern sich nur anonym gegen Depardieu
Laut Mediapart sind viele der nun gesammelten Anschuldigungen der sexuellen Belästigung längst bekannt oder die Szenen fanden in Anwesenheit etlicher Zeugen an Filmsets statt. Doch indem die Crewmitglieder meist nur peinlich berührt schwiegen oder sogar lachten, fühlten sich die Frauen umso stärker erniedrigt. Keine von ihnen reichte Klage ein, nur manche wagten es, sich bei der Produktion zu beschweren. Sie hatten „das Gefühl, dass ihr Wort wenig wiegen würde“, schreibt das Magazin. Allein durch die Anwesenheit des berühmten Darstellers ließen sich manche kleineren Filmproduktionen überhaupt finanzieren.
Selbst heute äußerten sich einige der betroffenen Frauen nur anonym, aus Angst um ihre Karriere oder um ihren Ruf. „Wissen Sie eigentlich, wer er ist?“, bekam eine Statistin zu hören, die sich über die aufdringlichen Annäherungsversuche des Schauspielers beschweren wollte. „Wenn Sie vor Gericht gehen, werden Sie niemals gewinnen, sondern angesehen werden wie eine Frau, die nur bekannt werden will.“ Man habe ihr geraten, „tief durchzuatmen, zu lächeln und einfach so zu tun, als sei nichts geschehen“.