Sie sind die letzten ihrer Art in Deutschland. Doch auch für die Atomkraftwerke (AKWs) "Emsland", "Neckarwestheim 2" und "Isar 2" gehen bald die Lichter aus, Ende 2022 sollen sie abgeschaltet werden.
Danach will Deutschland seine Energie umweltbewusster generieren, etwa über Windkraftwerke oder Solarpanels. Also die sogenannten erneuerbaren Energien. So lautete seit rund einem Jahrzehnt der Plan.
Doch dann griff Russland die Ukraine an und Deutschlands Verbraucher sahen sich rasant gestiegenen Energiekosten ausgesetzt. Und diese Entwicklung war wohl erst der Anfang, schwant nicht nur Experten. Um dem entgegenwirken und insgesamt flexibler agieren zu können, wird seit März immer häufiger und lauter nach einem Festhalten an der Atomkraft über den Jahreswechsel hinaus gerufen.
AKWs in Deutschland: Habeck will Energiereserven anlegen
Gerade beim Bestreben von Wirtschaftsminister Robert Habeck, Energiereserven anzulegen, könnten die AKWs helfen. Auch viele andere europäische Länder wie Frankreich oder Großbritannien wollen weiter an den Kraftwerken festhalten, neue bauen. Der Businessinsider verwies darauf, dass die Europäische Union (EU) Atomkraft und Erdgas als nachhaltig eingestuft hat, womit Investitionen in neue Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich bewertet werden.
Trotz der Kritik an den immensen Kosten und dem anfallenden Atommüll wurde ein Festhalten an der in AKWs produzierten Energie daher zuletzt immer populärer. Zum Leidwesen einiger Regierungsparteien.
Habeck, ehemaliger Grünen-Parteichef, bremste die Befürworter jedoch bereits kurz nach Kriegsbeginn wieder ein, als er betonte, dass die drei vor der Abschaltung stehenden Kraftwerke "nur unter höchsten Sicherheitsbedenken und möglicherweise mit noch nicht gesicherten Brennstoffzulieferungen" weiter betrieben werden könnten. Dies könne wohl niemand wollen.
Die Probleme sind schnell benannt: Es mangelt kurzfristig an der nötigen Zahl an Brennstäben, weil diese für die Zeit nach 2022 verständlicherweise nicht mehr nachgeordert wurden. Auch das Wiederhochfahren eines abgeschalteten AKW wäre eine komplizierte und langwierige Angelegenheit. Es entstünde also in jedem Fall eine zeitliche Lücke, in der Deutschland ohne Atomenergie auskommen müsste.
AKW wieder hochfahren? Inbetriebnahme laut Experte "technisch relativ unproblematisch"
Aber wie sieht ein Experte die Aussichten, ein Atomkraftwerk zurück ans Netz zu holen? Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland äußerte sich Uwe Stoll. Und der wissenschaftlich-technische Geschäftsführer bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) macht den Atomkraft-Freunden Hoffnung: "Technisch kann man relativ unproblematisch ein Kernkraftwerk wieder in Betrieb nehmen."
Er verweist auf die jährliche Revision in jeder Anlage, bei der diese routinemäßig runter- und wieder hochgefahren werde. Bei "Isar 2" war dies planmäßig im September 2021 zum letzten Mal der Fall, bei "Emsland" Anfang Mai 2022, bei "Neckarwestheim 2" einen Monat später. Der Vorgang dauert mehrere Wochen.
Doch auch Stoll erinnert an den Materialengpass: "Die Betreiber haben sich auf die vereinbarte Laufzeit eingerichtet und so mit dem Brennstoff geplant." Die Herstellung der entsprechenden Brennelemente dauere "zwölf bis 15 Monate - das ist ein langwieriger Prozess".
Hinzu komme: Spezielle Teile wie die Röhren für die Brennstäbe müssten neu gefertigt werden, denn es seien keine Lagerbestände vorhanden. Ein Import sei auch keine Lösung, da in anderen Ländern abweichende Maße verwendet würden.
AKW vor Abschaltung: Anlage wird "mit scharfen Chemikalien gereinigt - dekontaminiert"
Als weiteres Problem skizziert Stoll einen gängigen Vorgang zur Vorbereitung der Abschaltung: "Haben sich die Betreiber darauf eingerichtet, die Anlage abzubauen, wird sie mit scharfen Chemikalien gereinigt - also dekontaminiert." Dadurch könne das Material der Rohre und Messleitungen so stark angegriffen werden, dass zur Sicherheit nicht mehr auf sie zurückgegriffen würde.
Alles in allem scheinen also sehr hohe Hürden zu lauern, sollte das Aus für die AKWs rückgängig gemacht werden. Ohnehin betont auch Stoll, eine Rolle rückwärts auf diesem Gebiet "müsste gesellschaftlich gewollt sein".
Immerhin diese Unterstützung scheint gegeben: Anfang März ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Civey für die Augsburger Allgemeine, dass sich 70 Prozent der Befragten für eine Laufzeitverlängerung des noch bestehenden AKW-Trios aussprachen. Anfang Juni stimmten 50 Prozent der Teilnehmer einer Insa-Umfrage im Auftrag der Bild angesichts der Energiekrise für eine Rückkehr zur Stromerzeugung mittels Atomkraftwerken.