Ein Virus geht um in Kitas und Kinderzimmern: Nicht Corona, sondern das sogenannte RS-Virus, kurz für Respiratorisches Synzytial-Virus. Das Robert-Koch-Institut (RKI) berichtete kürzlich, dass immer mehr Ein- bis Vierjährige mit starken Symptomen in die Krankenhäuser eingewiesen werden. Laut RKI kämen aktuell doppelt so viele kleine Kinder mit schweren Atemwegsinfekten in Kliniken wie im gleichen Monat in den Jahren vor der Pandemie, Tendenz steigend.
Auch in Bayern spüre man den Anstieg, sagt Michael Gerstlauer, Oberarzt für Kinderpulmologie und -allergologie an der Kinderklinik des Uniklinikums Augsburg. Der Arzt zeichnet ein düsteres Bild der Lage: "Wir sind am Rande unserer Kapazitäten." Auch Christian Voigt, Sprecher der Kinderärztinnen und Kinderärzte für Augsburg und Nordschwaben, spricht von einer hohen Auslastung in den Kinderarztpraxen.
Aber was genau ist das RS-Virus – und wie erkennen Eltern, dass ihre Kinder betroffen sind?
Was ist das RS-Virus?
Beim Respiratorischen Synzytial-Virus handelt es sich um eine Erkrankung der oberen und tiefen Atemwege. Infektionen treten vor allem in den Wintermonaten und dem Frühjahr auf. Grundsätzlich können sich Menschen jedes Alters mit dem Virus anstecken, meistens sind aber Säuglinge und Kleinkinder betroffen.
RSV: Welche Symptome treten nach einer Infektion auf?
Kinder und Erwachsene, die sich mit dem RS-Virus infizieren, haben meist Husten und Schnupfen, manchmal mit Fieber. Gerade bei Säuglingen und Kleinkindern kann die Infektion in einzelnen Fällen aber auch schwer verlaufen und beispielsweise zu Atemstörungen oder gar zu einer Lungenentzündung führen. RSV ist eine der häufigsten Atemwegserkrankungen, mit der Säuglinge und Kleinkinder im Krankenhaus behandelt werden müssen. Bei Kindern und Erwachsenen beträgt die Inkubationszeit durchschnittlich fünf Tage. Ansteckend ist man drei bis acht Tage lang.
Warum treten aktuell vermehrt RSV-Infektionen auf?
Aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen sind die meisten Kinder im vergangenen Winter und diesem Frühjahr von einer RSV-Infektion verschont geblieben, denn durch die Hygiene-Maßnahmen und Kita-Ausfälle wurde die Ausbreitung der Keime weitestgehend gebremst. Dass aktuell wieder deutlich mehr Fälle auftreten würden, sei nicht ungewöhnlich. "Wir haben die Infekte sozusagen vor uns hergetragen, und jetzt bricht die Welle über uns herein", sagt der Augsburger Mediziner Michael Gerstlauer.
"Aktuell hat das RS-Virus Saison", sagt Christian Voigt. In die Kinderpraxen und -kliniken würden aktuell sehr viele Babys, Kinder und Jugendliche mit Erkältungssymptomen kommen. "Wir sprechen von einem Krankheitsbild einer obstruktiven Bronchitis - also einer Entzündung der Schleimhäute." Und das könne vor allem bei Babys zu einer deutlichen Verengung der Atemwege führen.
Auffallend sei laut Voigt, dass viele Kinder, die zuvor nie Lungenprobleme hatten, nun mit solchen zu kämpfen hätten.
Wer ist vom RS-Virus besonders betroffen?
Besonders gefährdet sind Fachleuten zufolge Säuglinge, Frühgeborene und Kleinkinder. Wegen der Corona-Schutzmaßnahmen sind Babys in den ersten Monaten nicht in Kontakt mit den Erregern gekommen und haben so keine Abwehrkräfte aufgebaut. Aktuell, so Gerstlauer, würden in seinem Bereich eineinhalb mal mehr Patientinnen und Patienten mit Atemwegsinfektionen behandelt als sonst um diese Jahreszeit. Auch Erwachsene mit Vorerkrankungen oder einem geschwächten Immunsystem sowie Kinder mit einem Herzfehler können schwer am RSV erkranken.
"Wir haben viele Kleinkinder im Alter von zwei bis drei Jahren, die stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen und teilweise sogar Sauerstoff brauchen", berichtet der Arzt. Bei schweren Verläufen könne es Wochen dauern, bis das Kind wieder fit wird. Meist reiche die Atemwegsinfektion auch bis tief in die Lunge.
Voigt hingegen spricht von einer "normalen" Erkältungszeit - wie auch schon vor der Corona-Pandemie. Es gebe immer wieder kleine Epidemien im ganzen Rahmen der Erkältungskrankheiten. "Wir haben 250 Erreger, die immer kursieren. Und da gibt es dann eine Zeit lang einen Erreger, der sich unter bestimmten Altersgruppen ausbreitet." Aktuell sei das der RS-Virus. Das habe Voigt zufolge auch mit dem Wetter zu tun, und dass Kinder und Jugendliche wieder in Kindergärten und Schulen zusammenkommen.
Welche Behandlung ist gegen RSV wirksam?
Bei der Therapie von RSV-Infektionen können nur die Symptome wie Husten, Schnupfen oder Fieber behandelt werden. Kinder mit schweren Verläufen und Sauerstoffbedarf sowie sehr junge Säuglinge sollten im Krankenhaus überwacht werden.
Eine Impfung gegen das RS-Virus gebe es nur für Frühgeborene und Neugeborene mit schwerem Herzfehler. Doch Voigt sagt: "Wir haben gute Medikamente gegen RSV, die den Patienten helfen."
Wann wird das Virus gefährlich?
Wenn Kinder erschwert atmen, beim Atmen pfeifende Geräusche machen, über einen längeren Zeitraum hohes Fieber haben oder nichts mehr trinken möchten, sollten Eltern mit ihnen zum Arzt gehen.
Schicke ich mein Kind mit Erkältungssymptomen aktuell in Kita und Schule?
Voigt plädiert dafür, den Alltag für Kinder und Jugendliche so normal wie möglich zu gestalten. Für Eltern ist es oft eine schwierige Entscheidung, ob sie ihr Kind mit Schniefnase oder Halsschmerzen in die Kita oder Schule schicken. Denn seit Beginn der Pandemie steht jeder mit Erkältungssymptomen immer auch unter Verdacht, sich mit Corona infiziert zu haben.
"Wer eine leichte Rotznase und gelegentlich Husten hat, soll in den Kindergarten oder die Schule gehen", appelliert Voigt. Das sei auch wichtig, denn Kinder müssten leicht krank werden, um gesund zu bleiben, sagt der Arzt. Nur so könnten die für den Körper wichtigen Abwehrkräfte aufgebaut werden. Deshalb wünscht sich der Arzt auch mehr "Coolness" von den Eltern. "Bringen Eltern ihre Kinder mit leichten Symptomen in die Praxen, dann nimmt das den Platz weg, den wir für die schwer erkrankten Kinder brauchen."
Außerdem empfiehlt Voigt, dass Eltern ihre Kinder gegen die gängigen Krankheiten impfen lassen. "Besonders die Grippeimpfung ist wichtig." Dadurch könnten schwere Krankheitsverläufe verhindert werden.