Ob sich Prinz Andrew tatsächlich in den USA wegen Missbrauchsvorwürfen vor Gericht verantworten werde müssen? Über diese Frage wurde weltweit diskutiert. Dann die Überraschung: Der Sohn der britischen Queen hat sich mit Virginia Giuffre auf einen Vergleich geeinigt. Doch was bedeutet das für ihn und das Königshaus?
Ließ man in einem Kiosk den Blick über die britischen Boulevardblätter schweifen, sah man vor allem einen: Prinz Andrew, mal im Smoking, mal in Uniform, immer aber mit ernster Miene und gesenktem Blick. Daneben die Nachricht, die viele Menschen bewegt und erbost: Der Herzog von York vermeidet einen Prozess durch einen außergerichtlichen Deal mit der US-Amerikanerin Giuffre. Diese wirft ihm vor, sie als Minderjährige mehrfach missbraucht zu haben. In New York reichte sie Zivilklage ein.
"Scheinheiliger Royal zahlt ein Missbrauchsopfer aus, das er angeblich nie getroffen hat"
Die Zeitung Daily Star schrieb nicht ohne Spott: „Scheinheiliger Royal zahlt ein Missbrauchsopfer aus, das er angeblich nie getroffen hat.“ Die Daily Mail titelte: „Die finale Zehn-Millionen-Dollar-Schande des Herzogs“. Die Nachricht über die Einigung war unerwartet gekommen: Denn eigentlich hatte der tief gefallene Prinz vor rund drei Wochen auf eine Verhandlung vor einem Geschworenengericht bestanden – um seine Unschuld zu beweisen, wie es damals hieß.
Er soll die heute 38-jährige Virginia Giuffre drei Mal auf dem Anwesen seines Freundes Jeffrey Epstein – ein mittlerweile toter Millionär und Sexualstraftäter – missbraucht haben. In London, New York und auf den Jungferninseln. Epstein und dessen Ex-Freundin Ghislaine Maxwell hätten einen Missbrauchsring aufgebaut und sie an Andrew vermittelt. Giuffre verklagte ihn auf Schadensersatz; er beteuerte, sich nicht an sie erinnern zu können.
Schließlich die Kehrtwende, die am Dienstagabend ebenso bekannt wurde, wie dass der Prinz eine „bedeutende Spende“ an eine von Giuffre gegründete Organisation zugunsten von Missbrauchsopfern leisten werde. Von zehn bis zwölf Millionen Dollar ist die Rede.
Auch wenn Andrew um Entschuldigung bat - ein Schuldeingeständnis ist es nicht
Zudem erklärte Andrew, dass er seine Verbindung zu Epstein bedauere. Er lobte in einem Gerichtsdokument den „Mut von Giuffre und anderen Überlebenden, für sich selbst und andere einzustehen“. Auffallend ist dabei der Tonfall des 61-Jährigen – besonders im Vergleich zu seinem Interview mit der BBC-Journalistin Emily Maitlis im Jahr 2019. In dem versäumte es Andrew, sein Mitgefühl für Epsteins Opfer auszudrücken.
Doch auch wenn er nun um Entschuldigung bat für das Leid, das Giuffre erfahren habe – ein Schuldeingeständnis ist das nicht. Moderator und Royals-Experte Piers Morgan echauffierte sich darüber in der Sun: Die allerletzte Person, von der Giuffre „Unterstützung braucht, ist ein Mann, der jahrelang mit bösartigen Sexhändlern rumgehangen hat und gerade riesige Geldsummen bezahlt, um einem Prozess wegen seiner eigenen angeblichen Beteiligung zu entgehen“.
Die außergerichtliche Einigung erspart Andrew zwar eine Verhandlung vor Gericht, Beobachter bezweifeln jedoch, dass er sich rehabilitieren und seine einstige Stellung im Königshaus zurückerlangen wird können. Adelsexpertin Penny Junor hält das „für sehr, sehr unwahrscheinlich“. Derselben Meinung ist Joe Little, Herausgeber des Magazins Majesty. Dafür sei die Monarchie durch Andrews Verbindung mit Epstein zu sehr beschmutzt worden, ist sie sich sicher.
Und auch die Einigung wirft Fragen auf: vor allem danach, wer die Kosten für den Deal in Millionenhöhe trägt. Die Zeitung The Telegraph geht davon aus, dass unter anderem die Queen dafür aufkommen wird – um einen Schlussstrich unter den Skandal zu ziehen, der einen Schatten auf ihr 70-jähriges Thronjubiläum in diesem Jahr und die Feierlichkeiten zu werfen drohte.
Das sagen Beobachter über den Deal mit Virginia Giuffre
Insgesamt gesehen ist die Einigung für das Königshaus, so betonen Beobachter, eine eher gute Nachricht. Nick Goldstone, Anwalt bei der Londoner Kanzlei Ince, beschreibt den Deal als „eine große Erleichterung für diese Institution“ und „einen guten Tag für die königliche Familie“. Ein Gerichtsverfahren wäre zu einer medialen Schlammschlacht geworden, die der Monarchie in jedem Fall geschadet hätte.
Ebenfalls erleichtert ist wohl Virginia Giuffre. Schließlich habe sie das geschafft, „was niemand sonst erreicht habe: Prinz Andrew dazu zu bringen, seinen Unsinn zu beenden und sich auf die Seite der Opfer sexuellen Missbrauchs zu stellen“, sagte Lisa Bloom, Anwältin mehrerer Opfer von Epstein.