Die Ukraine genießt nach einer erfolgreichen Gegenoffensive im Osten des Landes ein Momentum, doch dieses soll aus der Sicht Moskaus nun unterbrochen werden. Nach den Niederlagen in Charkiw haben die Separatisten nun Referenden in vier ukrainischen Gebieten abgehalten. Es soll in diesen um den Anschluss an Russland gehen. Doch kann man dabei überhaupt von Referenden sprechen? Und wie soll ein derartiges Referendum ablaufen? Eine Erläuterung.
Was ist ein Referendum?
Die wichtigste Frage vorneweg. Bei einem Referendum handelt es sich um ein Instrument einer direkten Demokratie. Es beschreibt eine Abstimmung von allen Bürgerinnen und Bürgern, welche wahlberechtigt sind. Die Vorlage für ein derartiges Referendum muss entweder von einer Regierung, dem Parlament oder einer Institution ins Leben gerufen werden, welche die Regierungsgewalt ausübt.
Ein Referendum genießt eine große Bedeutung bezüglich der politischen Legitimität, da die Meinung der kompletten Bevölkerung zu einem politischen Thema eingeholt wird. Referenden können innerstaatlich, international oder supranational abgehalten werden. Inwiefern ein Referendum dann auch die politischen Geschehnisse beeinflusst, hängt aber sehr stark von den Rahmenbedingungen in der Gesellschaft und der Politik in dem Land oder der Region ab, in welcher abgestimmt wird.
Referenden in der Ukraine: Putin erklärt Annexion
In den vier ukrainischen Gebieten konnte vom 23. bis zum 27. September über einen Anschluss der Territorien an Russland abgestimmt werden. Betroffen sind die Regionen Luhansk und Donezk im Osten und Saporischschja und Cherson im Süden der Ukraine. Bei Luhansk und Donezk handelt es sich um zwei Regionen im Donbass, in denen Russland die dortigen selbsternannten "Volksrepubliken" kurz vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine als unabhängig anerkannt hat. In Cherson und Saporischschja wurden hingegen im Laufe der Invasion prorussische Verwaltungen eingesetzt.
Am 30. September 2022 erklärte Putin, dass die vier Gebiete annektiert werden und damit ab sofort zum russischen Staatsgebiet gehören sollen.
Erklärung von Ukraine-Referendum: Russland-Beitritt und Referenden stellen völkerrechtlichen Verstoß dar
Die Legitimität spielt bei einem Referendum eine wichtige Rolle – und diese ist bei den Referenden in der Ukraine nicht gegeben. Es gibt mehrere Faktoren, welche dagegen sprechen, dass eine Abstimmung in den Regionen unter angemessenen demokratischen Bedingungen stattfinden kann. Der wohl wichtigste Faktor ist dabei der Kriegszustand, welcher in den Regionen allgegenwärtig ist. Ein weiterer die autoritäre Führung der "Volksrepubliken". Was Moskau will, das geschieht in den "Volksrepubliken", in denen hohe Ämter mit russischen Armeeangehörigen und Geheimdienstlern besetzt sind. Außerdem ist der Vorlauf der Referenden ungewöhnlich kurz und viele Ukrainer können gar nicht abstimmen. Fast drei Millionen Menschen flohen schon im Jahr 2014 vor der russischen Okkupation. Viele weitere während der aktuellen Invasion.
Russland hatte im Jahr 2014 die ukrainische Halbinsel Krim auf eine ähnliche Weise annektiert. Das damalige Referendum wurde international nicht anerkannt. Auch vor den nun anstehenden Referenden hat sich die internationale Gemeinschaft stark gegen eine Legitimität der Abstimmungen gestellt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach beispielsweise von "Scheinreferenden", die "nicht akzeptiert werden können". Diese seien "nicht gedeckt vom Völkerrecht und von den Verständigungen, die die Weltgemeinschaft gefunden hat".
Tatsächlich stellen die "Referenden" einen völkerrechtlichen Verstoß dar, da sie gegen das Humanitäre Völkerrecht verstoßen, welches klare Regelungen für Besatzungsmächte vorgibt. Da die Referenden aus den genannten Gründen nicht nur aus ukrainischer Sicht keine demokratische Grundlage haben, sind die Begriffe "Pseudo-Referenden" oder "Scheinreferenden" passend.
Scheinreferenden in der Ukraine erklärt: Was würde ein Anschluss an Russland bedeuten?
Da es sich in jeder der vier ukrainischen Regionen um Scheinreferenden handelt, ist es keine große Überraschung, dass die Abstimmungen zugunsten Moskaus ausgefallen sein soll. Aus der Sicht von Russlands Präsidenten Wladimir Putin stehen die Gebiete dadurch unter dem Schutz der Atommacht Russland.
Putin hätte nach seiner Sicht der Dinge auch die Möglichkeit, die Regionen unter der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen zu verteidigen. Ein Angriff auf diese käme nämlich dann für Moskau einem Angriff auf Russland gleich. Putin könnte die Teilmobilmachung, die er angekündigt hat, nachträglich rechtfertigen und wohl auch eine Generalmobilmachung in Russland erklären. Die Pseudo-Referenden werden daher als Reaktion auf die erfolgreiche Gegenoffensive der Ukrainer gesehen. Die russische Politologin Tatjana Stanowaja glaubt, dass sich Putin nach dem Scheitern des Plans, die Gebiete rasch unter russische Kontrolle zu bringen, nun für die Referenden entschieden hat.