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Rechtsextremismus: Terroranschlag von Halle: Die irre Gedankenwelt des Attentäters

Rechtsextremismus

Terroranschlag von Halle: Die irre Gedankenwelt des Attentäters

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    Der angeklagte Stephan B. sitzt zu Prozessbeginn im Landgericht.
    Der angeklagte Stephan B. sitzt zu Prozessbeginn im Landgericht. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    Was am 9. Oktober in Halle geschehen ist, ist einigermaßen klar. Der rechtsextreme Attentäter von Halle filmte, wie er an der Tür der Synagoge scheiterte, er nahm auf, wie er zunächst eine Frau und später einen jungen Mann erschoss. Das Ganze streamte er live ins Internet. „Es ist eine neue Dimension der Menschenverachtung, die durch diese Tat hier in Deutschland stattgefunden hat“, sagt Kai Lohse von der Bundesanwaltschaft. Es sei ein Anschlag gewesen, der uns allen gegolten habe, allen Menschen in Deutschland. Doch um die Frage „Was ist passiert?“ geht es vielen Beobachtern, Nebenklägern und sonstigen Betroffenen des Prozesses gar nicht so sehr, der am Dienstag in Magdeburg begann. Sie wollen vor allem verstehen, wie aus dem Angeklagten, einem hageren, eher kleinen Mann mit fliehendem Kinn, hoher Stimme und kurz geschorenem Haar, ein rechtsextremer Terrorist werden konnte.

    Terroranschlag von Halle: Riesen-Interesse zu Prozessbeginn

    Der erste Prozesstag gibt darüber einiges preis. Lange hatten die Nebenkläger, die Besucher, Journalisten und auch der Angeklagte selbst am Dienstag auf den Prozessbeginn warten müssen: Das Gericht war nicht gut auf den Andrang der schon vor Tagen akkreditierten Journalisten vorbereitet, der Prozessbeginn verzögerte sich um zwei Stunden.

    Neun Monate nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Halle muss sich der Angeklagte nun vor Gericht verantworten.
    Neun Monate nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Halle muss sich der Angeklagte nun vor Gericht verantworten. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    In der 121-seitigen Anklage wirft die Bundesanwaltschaft Stephan Balliet 13 Straftaten vor, er soll die 40-jährige Jana L. und den 20-jährigen Kevin S. ermordet haben. Ein Massaker hatte er anrichten wollen, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur wollte er – wie er vor Gericht freimütig einräumt – eine Synagoge stürmen und möglichst viele Juden töten.

    Minutenlang lässt sich der Angeklagte bei jeder Gelegenheit über Muslime und Schwarze aus. Der Mann aus einem 1000-Seelen-Dorf in Sachsen-Anhalt sieht in ihnen Eroberer, die ihn aus der Gesellschaft verdrängen wollten. In seiner absurden Logik macht er Juden für diese vermeintliche Eroberung verantwortlich. Schlussendlich tötete er keine Jüdin und keinen Juden, weil er es nicht schaffte, die Tür der Synagoge zu überwinden. „Jetzt hab ich mich global lächerlich gemacht“, habe er da gedacht.

    Als er dann aus einer „Kurzschlussreaktion“ heraus, wie er sagt, eine Frau erschoss und dabei auch die Reifen seines Mietwagens zerstörte, sei ihm endgültig klar geworden, dass er seinen Plan nicht werde umsetzen können. Um wenigstens noch überhaupt etwas „zu erreichen“, sei er einfach die Straße heruntergefahren und bei der ersten Gelegenheit, einem Dönerimbiss, ausgestiegen. Auch sein zweites Mordopfer habe er nicht gezielt getötet, überhaupt habe er ja viele Weiße getroffen, das sei überhaupt nicht der Plan gewesen.

    Defekte Waffe verhinderte bei Attentat in Halle eine größere Opferzahl

    Dass dem Mann am 9. Oktober nicht noch mehr Menschen zum Opfer fielen, lag an zahlreichen Pannen mit seinen selbst gebauten Waffen. Das Internet sei sein einziger sozialer Kontakt jenseits der Familie gewesen, sagt der Angeklagte. Schon seit Teenager-Jahren sei das so. Dort könne er offen kommunizieren, das könne er im echten Leben in Deutschland nicht. Dort habe er auch seine Waffen oder die Teile dafür besorgt, dort lud er vor der Tat ein sogenanntes Manifest hoch und dort streamte er auch das Video seiner Tat.

    Warum? „Weil die Aufnahme, die Übertragung wichtiger ist als die Tat selbst“, sagt er ganz selbstverständlich. Ein Video könne Menschen zeigen, dass sie nicht allein sind, und sie zum Nachahmen animieren. So sei das auch bei ihm selbst gewesen mit dem Attentäter, der in Neuseeland zwei Moscheen angriff und dabei 51 Menschen tötete. „Es wehrt sich ein weißer Mann, obwohl er weiß, dass er nicht gewinnen kann“, beschreibt Balliet seinen Eindruck vom Video des Mannes, den er als sein Vorbild nennt.

    Halle-Attentäter bezeichnet sich zu Prozessbeginn selbst als Versager

    Der 28-Jährige, das wird zu Prozessbeginn deutlich, weiß genau, welche Botschaft er auf der großen Bühne des Prozesses senden will. Es ist eine Botschaft, die viele rechts-extreme Verschwörungstheoretiker seit Jahren verbreiten, mit den Schlagworten Weltherrschaft, Verdrängung und 2015. Wenn er davon loslegt, kann er sich kaum halten. Kleinlaut und kurz angebunden ist der Angeklagte hingegen, wenn es um ihn geht, um sein Leben und seine Angehörigen. „Die Tat hat keinen Bezug zu meiner Familie“, beteuert der Angeklagte.

    Nur knapp beantwortet er die persönlichen Fragen der Richterin und sagt dabei, dass er schon immer ein Einzelgänger war, mit durchschnittlichen Schulnoten, aber ohne Freunde. Er erzählt von seiner kurzen Zeit bei der Bundeswehr, wie er danach nach Magdeburg ging, um zu studieren, dann nach Halle wechselte und das Studium aus gesundheitlichen Gründen abbrach. Wie er seitdem nichts mehr machte, nicht arbeitete, nicht studierte und in einem Zimmer im Haus seines Vaters wohnte. Er sei offensichtlich ein Versager, sagte der Angeklagte. Auch wenn ihm dieser Gedanke erst nach dem gescheiterten Angriff auf die Synagoge gekommen sei. (mit dpa)

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