Rund einen Monat ist es nun her, dass der 46-jährige George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz starb. Sein Tod hat nicht nur in den USA, sondern weltweit eine breite Debatte über Rassismus entfacht - über offensichtlich rassistisch motivierte Straftaten, aber auch über (oftmals unbeabsichtigten) Alltagsrassismus.
Letzteren zu identifizieren und ihm zu begegnen, fällt vielen Menschen jedoch gar nicht so leicht. Rassistische Äußerungen passieren oft gar nicht aus böser Absicht, sondern aus Unwissenheit oder Unbedachtheit - auch bei Journalisten, deren Berichte ja eigentlich möglichst wertfrei und korrekt Sachverhalte wiedergeben sollten.
Rassistische Begriffe vermeiden: Glossar hilft, den richtigen Ausdruck zu finden
Aus diesem Grund haben die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), ein bundesweiter Zusammenschluss von Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen und Wurzeln, ein Glossar zum Thema erstellt. Zwar klingt der Untertitel "Wörterverzeichnis mit Formulierungshilfen, Erläuterungen und alternativen Begriffen für die Berichterstattung in der Einwanderungsgesellschaft" leicht sperrig, die einzelnen Einträge sind jedoch verständlich formuliert und bieten Erklärungen, warum bestimmte Begriffe problematisch sind. Hauptsächlich richtet sich das Glossar zwar an Menschen in Medienberufen, bietet aber auch einen Mehrwert für alle, die einen Einstieg suchen, sich über Alltagsrassismus zu informieren.
Ferda Ataman, die als Journalistin unter anderem für Spiegel Online und den Tagesspiegeltätig war, ist Co-Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen und hat das Glossar mitverfasst. Sie erklärt: "Sprache verändert sich und passt sich an. Da sind noch nicht alle Menschen auf dem gleichen Stand. Deshalb ist es gerade im Journalismus wichtig, dass fachlich und sachlich sauber gearbeitet wird."
Ob die Begriffe langfristig ihren Weg in die Alltagssprache finden werden? "Wir sagen nicht, wie Menschen sich ausdrücken sollen. Das ist nicht unsere Aufgabe", stellt Ataman klar. "Es wäre aber natürlich wünschenswert, dass die Menschen eine Sensibilität dafür entwickeln, dass sie in einem Einwanderungsland wie Deutschland auf ihre Wortwahl achten."
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind nicht dasselbe
Ein Teil der Gesellschaft steht sich verändernder Sprache skeptisch gegenüber. Nicht nur in sozialen Netzwerken monieren sich Internettrolle über die "Sprachpolizei" - vor zwei Jahren verwendete sogar Bundesinnenminister Horst Seehofer den Begriff. Ihnen entgegen Ataman: "Die Debatte über Politische Korrektheit halte ich für inhaltlich daneben. Allein das Wort 'Sprachpolizei' ist eine Erfindung - es gibt keine Sprachpolizei. Wir wissen alle: Man darf alles sagen außer Volksverhetzung, jeder kann sich ausdrücken, wie er mag." Und sie ergänzt: "Deshalb ist es uns und anderen aber auch freigestellt zu sagen, dass es keinen Sinn ergibt, über Fremdenfeindlichkeit zu sprechen, wenn man Rassismus meint."
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus werden immer noch oft synonym verwendet. Im Glossar heißt es dazu: "Fremdenfeindlichkeit/Ausländerhass sind als Synonyme für Rassismus und rassistische Tatmotive ungenau, da es selten um tatsächliche Fremde wie etwa Tourist*innen geht. Von der vermeintlichen 'Ausländerfeindlichkeit' sind oft deutsche Staatsangehörige betroffen. [...] Präziser ist es, die Straftaten und Motive als rassistisch, rassistisch motiviert, rechtsextrem, rechtsterroristisch oder neonazistisch zu bezeichnen."
Ferda Ataman ist 1979 in Stuttgart geboren, ihre Eltern stammen aus der Türkei. Sie erklärt: "Viele Menschen leben in zweiter oder dritter Generation hier, sind in Deutschland geboren. Wenn sie jemand rassistisch diskriminiert, ist das keine Fremdenfeindlichkeit. Wer das so bezeichnet, übernimmt die Sicht der Täter, macht Leute wie mich zur Fremden. Nicht jeder, der Ali heißt, ist ein Ausländer und fremd."
Ein anderes Beispiel: Wenn es um Rassismus geht, stellt sich für viele schon die Frage: Wie darf ich Schwarze eigentlich nennen? Dass das N-Wort, das wir an dieser Stelle nicht reproduzieren, rassistisch ist, haben mittlerweile die meisten verstanden. Aber wie sieht es mit den Worten "Farbige" oder "Dunkelhäutige" aus? Im NdM-Glossar heißt es dazu: "'Wenn es um Rassismus, unterschiedliche Erfahrungen und Sozialisationen geht, ist der politisch korrekte Begriff Schwarze. In allen anderen Fällen gibt es aber meistens gar keinen Grund, dazu zu sagen, ob eine Person Schwarz oder weiß ist.' Begriffe wie 'Farbige' oder 'Dunkelhäutige' lehnen viele ab. Farbige/farbig ist ein kolonialistischer Begriff und negativ konnotiert." Als Alternative führt das Glossar die Selbstbezeichnungen People of Color (PoC, Singular: Person of Color), Black and People of Color (BPoC) oder Black and Indigenous People of Color (BIPoC) auf.
Neues Vokabular erlernen? War doch auch in der Corona-Krise kein Problem
Für Menschen, die jahrelang andere Begriffe verwendet haben, mögen solche Selbstbezeichnungen erstmal ungewohnt klingen, eine Umgewöhnung mag anstrengend erscheinen, vor allem wenn man "es ja gar nicht böse meint". Ferda Ataman hat dafür kein Verständnis: "Wir haben uns seit der Corona-Krise bereitwillig neues Vokabular angeeignet, das können wir auch in der Rassismus-Debatte. Wer da mitreden will, muss sich auch darauf einlassen und sollte nicht beleidigt sein, wenn er noch etwas Neues lernen muss. Viele denken: 'Ich kenne jemandem mit Migrationshintergrund, ich kann da mitreden.' Aber ganz so einfach ist es eben nicht."
Wichtig ihr zufolge: "Wenn man korrigiert oder angesprochen wird, dass man etwas auch anders ausdrücken kann, dann sollte man nicht beleidigt reagieren, sondern nachfragen." Dafür brauche es eine gewisse Offenheit, eine Bereitschaft, sich anders auszudrücken - selbst wenn der Ausdruck, den man bislang verwendet habe, nicht böse gemeint gewesen sei.
Ferda Ataman kennt das anfängliche Missbehagen, sich neue Ausdrucksweisen anzueignen, von sich selbst: "Ich habe mich schwer getan mit dem Gendersternchen, diese Lücke mitzusprechen. Mein erster Reflex war: Das will ich nicht." Doch dann habe sie eingesehen, dass manche Menschen sich eben weder durch die weibliche noch die männliche Form angesprochen fühlen. Warum also nicht die inklusive Ausdrucksweise verwenden, wenn es sie gibt? Ihre Meinung dazu ist klar: "Mir tut es nicht weh, meine Sprechweise da zu ändern."
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