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Rassismus-Debatte: Wieder stirbt ein schwarzer Autofahrer bei einer Polizeikontrolle in den USA

Rassismus-Debatte

Wieder stirbt ein schwarzer Autofahrer bei einer Polizeikontrolle in den USA

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    Die Mutter von Tyre Nichols (Mitte) weint und wird von Tyres Stiefvater bei einer Pressekonferenz mit dem Bürgerrechtsanwalt Ben Crump in Memphis, Tennessee, getröstet.
    Die Mutter von Tyre Nichols (Mitte) weint und wird von Tyres Stiefvater bei einer Pressekonferenz mit dem Bürgerrechtsanwalt Ben Crump in Memphis, Tennessee, getröstet. Foto: Gerald Herbert, AP/dpa

    Es ist ungewöhnlich, dass sich der amerikanische Präsident zu einem laufenden Gerichtsverfahren äußert. Am Donnerstag vergingen nur wenige Stunden von der Meldung, dass fünf Polizisten wegen der brutalen Tötung eines schwarzen Autofahrers angeklagt wurden, bis zur Stellungnahme von Joe Biden. Darin sprach der 80-Jährige nicht nur den Hinterbliebenen sein Beileid aus und versprach eine schnelle und vollständige Aufklärung. Er schloss sich auch dem Aufruf der Familie zu friedlichen Demonstrationen an, mahnte aber: "Empörung ist verständlich, aber Gewalt ist nie akzeptabel."

    Der Appell des Weißen Hauses zeigt: Die gewaltsame Festnahme des 29-jährigen Tyre Nichols im Zuge einer Verkehrskontrolle vor drei Wochen in Memphis war "heimtückisch, rücksichtslos und inhuman", wie es die örtliche Polizeichefin Cerelyn Davis formulierte. Und sie hat angesichts ihres Ablaufs, des Ortes und der offenbar extrem verstörenden Bilder das Potenzial, das von Rassismus und Polizeigewalt geprägte Amerika wie nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd im Mai 2020 erneut in Aufruhr zu versetzen.

    Tyre Nichols wurde wegen angeblich "rücksichtslosen Fahrstils" gestoppt

    Tyre Nichols arbeitete nach amerikanischen Medienberichten in der Spätschicht bei einem Paketdienst. Gewöhnlich fuhr der Vater eines vier Jahre alten Sohnes während seiner Arbeitspause gegen 19 Uhr abends kurz zum Essen beim Haus seiner Mutter vorbei. Ob Nichols am 7. Januar auch arbeitete, ist unklar. Laut den Anwälten seiner Familie kehrte er abends von einem Ausflug in einen Park zurück, wo er Fotos vom Sonnenuntergang geschossen hatte. Rund hundert Meter vom elterlichen Haus entfernt wurde er nach Angaben der Behörden von der Polizei wegen seines "rücksichtslosen Fahrstils" gestoppt. Danach soll er zu Fuß geflüchtet sein. Es kam zu mehreren "Konfrontationen" mit den Beamten. Drei Tage später starb er im Krankenhaus.

    Was sich genau ereignet hat an diesem Abend, wird das ganze Land an diesem Wochenende auf mutmaßlich schockierenden Bildern sehen können. Die Staatsanwaltschaft hat sich nämlich entschlossen, das rund einstündige Videomaterial, das von den Körperkameras der Polizisten und stationären Überwachungskameras festgehalten wurde, an diesem Freitagabend um 18 Uhr Ortszeit (1 Uhr MEZ am Samstagmorgen) zu veröffentlichen.

    Die Anwälte der Familie, die die Aufnahmen schon gesehen haben, beschreiben sie als "abscheulich". Demnach haben die Polizisten Elektroschocker und Pfefferspray gegen Nichols eingesetzt, ihn gefesselt und drei Minuten lang brutal zusammengeschlagen. Eine Autopsie belegt starke Blutungen durch heftige Schläge. Die Verteidiger vergleichen den Fall mit dem des Afroamerikaners Rodney King, der 1991 nach einer Verfolgungsjagd in Los Angeles von der Polizei brutal zusammengeschlagen wurde. Der Freispruch der vier weißen Polizisten führte damals zu den schwersten Rassenunruhen in den USA seit den 1960er Jahren.

    Die Polizisten wurden aus dem Dienst entlassen

    Im aktuellen Fall handelt es sich bei den fünf mutmaßlichen Tätern freilich um Schwarze, und die Behörden bemühen sich durch eine ungewöhnlich schnelle Reaktion, eine Eskalation zu vermeiden. Die Polizisten wurden aus dem Dienst entlassen und am Freitag von der Staatsanwaltschaft wegen Totschlags, schwerer Körperverletzung, Entführung und Fehlverhaltens im Dienst angeklagt. Laut Medienberichten sind die männlichen Ex-Beamten zwischen 24 und 32 Jahre alt und arbeiteten seit zwei bis fünf Jahren bei der Polizei. Nach dem Strafrecht des Bundesstaats Tennessee drohen ihnen bei einer Verurteilung 15 bis 60 Jahre Haft.

    Polizeigewalt mit oftmals rassistischem Hintergrund ist ein strukturelles Problem in Amerika. Präsident Biden wollte die Auswüchse durch ein Gesetz bekämpfen, das jedoch im Kongress hängenblieb. Zugleich nimmt jedoch die Kriminalität in vielen Städten zu, was in der Bevölkerung den Ruf nach einem härteren Durchgreifen der Ordnungskräfte lauter werden lässt.

    Die 620.000-Einwohner-Stadt Memphis im Südwesten von Tennessee spiegelt diesen Konflikt wie in einem Brennglas. Die Blues-Metropole spielt eine zentrale Rolle im Kampf der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, deren Anführer Martin Luther King hier 1968 erschossen wurde. Zwei Drittel der Einwohner sind schwarz. Zugleich zeigt die Kriminalitätsrate nach oben. Mit 346 Morden wurde 2021 ein neuer Negativrekord erreicht. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung war im vorigen Jahr eine Sondereinheit der Polizei mit dem Namen "Scorpions" eingerichtet worden, die die Sicherheit auf den Straßen verbessern sollte. Einige der nun verhafteten Beamten sollen zu dieser Truppe gehört haben.

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